Delusion Squared / Same
Same Spielzeit: 59:02
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2010
Stil: Prog Rock


Review vom 06.11.2010


Boris Theobald
Die progressiven Newcomer von Delusion Squared geben nicht viel über sich preis - so gut wie keine Fotos, Herkunft offenbar Frankreich. Und dafür kommen sie gleich ziemlich großspurig mit einem Konzeptalbum samt mehrseitiger Story zum Einlesen um die Ecke und erzählen »the extraordinary destiny of a girl like no other«. Dafür braucht man erst einmal Zeit und fragt sich unwillkürlich, wer sie einem da stiehlt und warum. Doch nimmt man sich die Zeit, wird einem schnell klar, dass man hier eine geniale Science Fiction-Story in sich aufsaugen darf - und die musikalische Umsetzung ist fabelhaft gut.
Die Storyline spielt in einer fernen Zukunft. Nachdem die Erdoberfläche durch vernichtende Kriege nahezu unbewohnbar geworden ist, haben sich die allermeisten überlebenden Menschen in künstliche Habitate, 'Arcologies' genannt, zurückgezogen, wo die Intelligenz der Computer nach und nach völlig die Macht übernommen hat. Die Menschen werden in holografisch vorgegaukelten Scheinrealitäten bei Laune gehalten - Fortpflanzung findet streng durchgeplant und genetisch 'optimiert' statt.
Doch eine junge Frau sticht aus der gleichförmigen Masse heraus. Ihre Sehnsucht nach Natur und Individualität lässt sie gegen das System revoltieren. Sie will unbedingt schwanger werden und schafft das mit Hilfe eines 'DNA-Hackers', der sie aber verrät. Sie wird verstoßen und überlebt außerhalb der Arcologies nur dank der Hilfe der 'wild lebenden' Menschen dort. Mit ihrem Wissen, ihrem Intellekt, ihrem Eifer und ihrem Mut schafft sie es, eine neue Zukunft für die Menschheit und deren zersplitterten Populationen auf der Erde zu schaffen. »They called her the Mother-of-all-people ...«
... und ihre Stimme, das ist die von Lorraine Young, die diesem Album einen immensen Charme verleiht. Wieso eigentlich? Diese Stimme ist nicht sonderlich markant, dennoch bezaubert sie - lyrisch, melancholisch, teils gar fast zerbrechlich. Man könnte ihr stundenlang zuhören - die Kombination vor allem mit Steve Francis' Gitarrenarbeit macht süchtig. Die Gitarren, aber auch die übrige Instrumentierung bestechen durch eine ausgetüftelte Detailarbeit. Der Stil ist eine Art Symbiose aus Neo Prog mit kurzen Reisen ins psychedelische Ambiente (das meditative "By The Lake (Mourning)" - zum Dahinschmelzen!) und Progressive Metal mit präsenten, insistierenden Riffs. Und keiner der atmosphärischen Glücksmomente entsteht durch Kraft und Bombast, sondern fast alle durch Gefühl und intuitive Songwriting-Entscheidungen.
Rhythmisch verproggte Verquickungen aus Akustik- und E-Gitarre ("The Very Day") wirken ebenso unwiderstehlich wie Synthesizer-intensivierte, angespannte Düster-Drives ("Copyrightes Genes"), minimalistische Klangsphären aus entfernt hallenden Power Chords ("By The Lake (Seeding)") oder Klavier- und Spieluhr-Effekte ("Rebirth"). Und dazu gehören diese Melodien, die teils anrührend melancholisch sind, um dann wieder nahezu triumphale Wendungen in Dur-Bereiche zu nehmen ("The Betrayal", "Rebirth") - der Gesang ist mal beschwörend, mal klagend, mal ... intim - ein Genuss.
Die harmonischen Ideen und Inspiration von Delusion Squared statten diese Melodien mit zusätzlichem Tiefgang aus. Aufwärts strebende Akustik-Figuren zu Clean-Powerchords verzaubern mit der Magie von "Stairway To Heaven" ("A Creation Myth"). Verzerrte E-Gitarren entwickeln beim 'härter' ausfallenden, Riff-betonten "Sentenced" zweieinhalb Minuten lang durch kleinste harmonische Verschiebungen eine subversive Spannung, die an Queensrÿches "Suite Sister Mary" erinnert. Und seidene Akustik-Arpeggien verleihen dem introvertierten "In My Time Of Dying" diese für Delusion Squared so typische Verschmelzung von Traurigkeit und verklärtem Zauber; die bittersüße Nachdenklichkeit, die Text und Atmosphäre miteinander verbindet:
»I was a princess in a magic world
Under the holo rains
Engraving wonderlands inside my eyes

A womb of befriending ghosts where I huddled
Whispering to my brains
Artificial warmth under virtual skies

They were truly amazing
The things I'm remembering
In my time of dying«
Schon die Musik ist einzigartig und gibt denen, die Bands wie Magenta, Porcupine Tree, Galleon, Frequency Drift, Marillion oder Sylvan lieben ganz sicher viel Neues zu entdecken. Zu allerhöchsten RockTimes-Weihen reicht es schließlich ganz sicher, wenn man auch die dahinter steckende Story würdigt - ein Science Fiction-Szenario mit besonderem Tiefgang. Aldous Huxleys "Brave New World" mag ein Stück weit dafür Pate gestanden haben - und manche der 'alten' Botschaften und Mahnungen sind in der Version der Wort- und Musikkünstler von Delusion Squared aktueller denn je. Ein beeindruckendes Werk!
Line-up:
Lorraine Young (vocals)
Steve Francis (guitars, drums, keyboards)
Emmanuel de Saint Méen (bass, keyboards)
Tracklist
Remembrance
01:The Very Day (4:09)
02:In My Time Of Dying (5:52)

Delusion
03:Copyrighted Genes (7:06)
04:The Betrayal (5:11)
05:Sentenced (5:51)
06:By The Lake (Mourning) (3:12)

Enlightenment
07:By The Lake (Seeding) (4:16)
08:Rebirth (6:42)
09:What We Will Be (6:05)

Legacy
10:The Departure (2:44)
11:A Creation Myth (7:49)
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