In eine Zeit von haufenweise musikalischem Mist und den auch noch potenziert, stieß eine aus Hannover stammende Band und wollte es der Welt, zunächst allerdings der unmittelbaren Umgebung zur niedersächsischen Hauptstadt zeigen.
Etwas eigenes machen, anders sein, das war die Devise. Es der Erwachsenenwelt zeigen.
»Dir soll es besser gehen, als uns!«.
Punk war das geeignete Mittel, um ketzerisch gegen den Strom des Kommerzes zu schwimmen.
Nicht einfach, dieses Unterfangen: Da brauchte man schon die Ausdauer eines Langstreckenschwimmers, denn damals waren Depeche Mode, die Pet Shop Boys, Soft Cell oder Ultravox mit ihrer Elektronik-Schiene en vogue.
Dennoch brodelte es im Underground und Ende 1979 kam eine neue deutsche Band auf den Plan: Der Moderne Man (DMM).
Die Sex Pistols aus Großbritannien, auch wenn 1978 ohne Muntion dastehend, und die Ramones aus Amerika erfreuten sich großer Beliebtheit.
Hannover konnte und kann man durchaus als ein kulturelles Zentrum bezeichnen, schließlich gab oder gibt es Eloy, Jane, die Scorpions, Terry Hoax und nicht zuletzt Fury In The Slaughterhouse.
Der erste Moderne Man-Autritt wurde zu einem Eklat.
Nicht am Arsch der Welt, aber man sieht ihn schon deutlich, trat man in Dörverden auf. Über den Gig steht im herrlich illustrierten Booklet zum Digipack, dass »die Augenzeugenberichte über Eier werfende Bundeswehrsoldaten und den Konzertabbruch durch den Veranstalter, weil dem Publikum der Sänger auf den Keks gegangen sei, …« geschrieben.
Bis zum letzten Aufgebot, nein, Line-up war Der Moderne Man immer ein Quartett.
Erst in der fünften Besetzung wurde die Kapelle ein Quintett, weil der Saxofonist sowie Keyboarder Thomas 'Tonio Scorpio' Schnura dazu kam und den Sound der Combo entscheidend veränderte.
Mit dem dreißigjährigen Jubiläum der Band stellt man sich natürlich die Frage, was die Musiker heute machen? Informationen darüber verlaufen leider im Sande.
Allerdings verdeutlicht die Tatsache, überhaupt eine Retro-Show in Form eines Doppeldeckers zu veröffentlichen, eindeutig, dass DMM in der damaligen Zeit Duftmarken gesetzt hatten, selbst bis in meine heimische Vinyl-Sammlung.
"Neues Aus Hong Kong" war die Initialzündung und dann wurden Platten rückwärts und vorwärts gekauft.
Kurz nach der Gründung war man bereits für die erste EP "Umsturz Im Kinderzimmer" im Studio, was nach der Veröffentlichung zu lokalen Gigs führte. Die EP schaffte es sogar zu einer zweiten Auflage und dann legte DMM mit dem ersten Longplayer "80 Tage Auf See", Stichwort 'Boatpeople', nach. Beim Aufarbeiten der Tapes hat Rainer Holst gute Arbeit geleistet.
Neben der musikalisch ungeschliffenen Rohkost der ersten EP sowie LP konnte man sich beim 'Gesang' eines Ziggy XY schon die Haare raufen. Frech, dreist, zum Kotzen waren die textlichen Ergüsse des Jungspunds. Revolution eben, auch in den Aussagen. Es geht um Vergewaltigung, lange Haare, Mädchen in der Pubertät. Heute würde man dem Song vielleicht nicht den Titel "Dreizehn" geben, sondern 'Zicke'.
Jarick ruft, schreit und sein Output ist im Prinzip eine Mikrofon-Performance eines jungen Wilden. Die anderen DMM-Leute halten mit ihren Backing Vocals die Singerei halbwegs auf melodischem Kurs.
Neben den Studio-Aufnahmen der ersten CD wird der Ziggy XY-Eindruck durch Live-Sonderzugaben von unter anderem "Das Disco-Lied" (Punk zum Tanzen) sowie "Vergesslichkeit" noch verstärkt. Hier sollte man die Qualität der Aufnahmen bitte unter dem historischen Aspekt hören.
Die Hannoveraner hatten schon etwas von der angesagten Band Joy Divison.
DMM ist rau, ungeschliffen und voller jugendlich erwachsener Emotionen und der Nussschalen-Welt eines Michael Jaricks aka Ziggy XY.
Lange dauerte es auch nicht und die musikalischen Vorstellungen führten zu einer Weichenstellung: Jarick stieg aus und gründete Kosmonautentraum.
Der Bassist Simons, übrigens sehr versiert an seinem Arbeitsgerät, wurde Sänger und der neue Moderne Man war Jens Gallmeyer am Tieftöner.
Nach einigen weiteren Besetzungswechseln mit leichter bis schwerer musikalischer Desorientiertheit folgte "Unmodern" und DMM war eine andere Band. Es ging jetzt richtig ab. Tour durch Deutschland, Auftritte in Österreich und den Niederlanden... man war im TV vertreten.
Als Punk-Band angetreten, schlug man mehrere Vertrags-Offerten von WEA in den Wind und stattdessen entstand eine weitere EP mit dem Titel "Neues Aus Hong Kong".
Der Schnitt wird auch durch den CD-Wechsel offenhörig.
"R.A.G.": Mit pumpendem Bass, groovenden Drums, funky Guitar und Thomas 'Tonio Scorpio' Schnura am Saxofon war man plötzlich im Fahrwasser von Gruppen wie The English Beat und sang in französischer Sprache, allerdings nur für dieses Lied.
Der Titel-Track wie auch die folgenden Songs gingen so richtig in die Beine und ihre Musik-Mixtur war für ein breiteres Publikum gemacht. In "Der Film" reiten die Männer durch die unendlichen Weiten der Prärie. Der Drum-Beat ist gigantisch. "Für Frau Krause (Including The Return Of Frau Krause)" ist so etwas wie die Maxi-Version des dritten Songs auf der zweiten CD und ein Festival an perkussiven Elementen und einem überdrehenden Saxofon- Schnura.
Es folgte eine weitere Tour und ein Rockpalast-Auftritt.
Was nach den sechs "Neues Aus Hong Kong"-Tracks kommt, ist Der Moderne Man live aus den Jahren 1981 sowie 1983.
Man machte immer noch den Punk, konnte diesen allerdings deutlich aufgemotzt und in anderer Klang-Qualität anbieten. Manchen Nummern spürt man den Wandel der Band förmlich an. Der Hörer sollte die Entwicklung von "Das Telefonlied" auf den beiden CDs nachvollziehen.
1984 war dann endgültig Schluss mit Der Moderne Man.
Gut, dass es nun eine wirklich lohnenswerte Auffrischung dieser Band gibt. 'Drama': ja, wegen der vielen Besetzungswechsel und der musikalischen Anfänge und 'Blut' vielleicht deswegen, weil man sich die Finger blutig gespielt hat. Im 'Spiel' war man immer.
Line-up:
"Umsturz im Kinderzimmer"
Michael 'Ziggy XY' Jarick (Gesang, Kinderflöte)
Eckart 'EKT' Kurtz (Gitarre, Gesang)
Thomas Brandt (Bass)
Claudius Hempelmann (Schlagzeug)
"No Fun Sampler", "80 Tage Auf See"
Ziggy XY (Gesang, Synthesizer)
EKT (Gitarre, Gesang)
Martin 'Mattus' Simons (Bass)
Claudius Hempelmann (Schlagzeug)
"Sandmann/Baggersee", "Spargel Tape"
Mattus (Gesang)
EKT (Gitarre, Gesang)
Jens Gallmeyer (Bass, Gesang)
Claudius Hempelmann (Schlagzeug)
"Verstimmt", "Unmodern"
Mattus (Gesang)
EKT (Gitarre, Gesang)
Jens Gallmeyer (Bass, Gesang)
Felix Wolter (Schlagzeug)
"Unmodern", "Neues Aus Hong Kong", "Spargel Tape"
Mattus (Gesang)
EKT (Gitarre, Gesang)
Axel Wicke (Bass)
Felix Wolter (Schlagzeug)
Thomas 'Tonio Scorpio' Schnurra (Saxophon, Keyboards)
Tracklist |
CD 1:
"80 Tage Auf See"
01:Der Unbekannte (2:12)
02:Telefonlied (2:05)
03:Dreizehn (4:04)
04:Haarschnitt (3:18)
05:Dauerlauf (1:39)
06:Gib Mir Den Tod (Fortsetzung und Schluss) (3:34)
07:Licht Und Schatten (3:45)
08:Mitternacht (1:48)
09:Farblich Gesehen (3:13)
10:Heute (3:03)
11:Vergesslichkeit (2:56)
12:Flucht (5:52)
Umsturz Im Kinderzimmer" (7'')
13:Das Disco-Lied (3:51)
14:30 Grad -/ 30 Grad + (3:37)
15:Gib Mir Den Tod (4:09)
16:Unmodern (1:49)
17:Das Disco-Lied (Live 1979/NO FUN Festival) (4:44)
18:Clauborismus (bisher unveröffentlicht) (1:29)
19:Gib Mit Den Tod (bisher unveröffentlicht) (5:07)
20:Vergesslichkeit (bisher unveröffentlicht/Live 1979 Werkstatt Odem Hannover) (7:54)
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CD 2:
"Neues Aus Hong Kong"
01:R.A.G. (4:15)
02:Neues Aus Hong Kong (2:18)
03:Für Frau Krause (4:18)
04:Kinderfest (2:10)
05:Kein Film (3:56)
06:Für Frau Krause (including The Return Of Frau Krause) (7:49)
"Verstimmt Live!"
07:Das Tier (4:13)
08:Farblich Gesehen (3:05)
09:13 (3:38)
10:Sinnloz (2:13)
11:Licht Und Dunkelheit (3:46)
12:Mitternacht (2:07)
13:Der Unbekannte (2:18)
14:Telefonlied (bisher unveröffentlicht) (2:32)
15:Gib Mir Den Tod (bisher unveröffentlicht/Live von der 'Jubel '81'-Tour) (3:59)
"Live Rote Fabrik Zürich 1983 (Spargel Tape)"
16:Für Frau Krause (4:31)
17:Schritt Für Schritt (2:44)
18:13 (3:20)
19:Neues Aus Hong Kong (1:56)
20:Heimweh (2:08)
21:Sinnloz/Anakonda (3:15)
22:Blaue Matrosen (2:40)
23:Telefonlied (2:49)
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Externe Links:
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