...ich fühle mich daher auch verstandener mit meinen Texten
Im Gespräch Ein neues Album, das sich mit den menschlichen Abgründen befasst und deshalb metallastiger klingt? Darüber unterhielten wir uns mit 'Jagger', dem Frontman von Disbelief


Interview vom 09.05.2009


Jens Groh
RockTimes: Erstmal Glückwunsch zum neuen Album.
Ihr habt erneut im Studio 23 aufgenommen, warum?
Jagger: Weil wir schon zu den Aufnahmen von "Navigator" sehr zufrieden waren, mit Michael Mainx zusammen zu arbeiten. Aufgenommen haben wir im MX-Studio in Buchen, gemixt haben wir dann im Studio 23. Was auch wichtig ist, das wir davon profitieren konnten ein zweites Mal im selben Studio zu arbeiten.
RockTimes: Ich fand die Produktion von eurem Vorläufer "Navigator" etwas wuchtiger, wenn auch nicht so differenziert, seht ihr das auch so?
Jagger: Die Ausrichtung war ganz klar, wieder mehr metallastiger zu klingen. Bei den Gitarren z.B. hatten wir so gut wie gar keine Verzerrung im Gitarrensound, damals wollten wir das so. Diesmal haben wir viel Wert darauf gelegt, dass die Gitarren sehr vordergründig und dreckig und aggressiv daherkommen.
RockTimes: In letzter Zeit musstet ihr euch mit Besetzungswechseln herumschlagen, in wie weit hat sich das beim Songwriting bemerkbar gemacht?
Jagger: Das Songwriting wurde dadurch nicht beeinflusst. Wir haben zu viert alles im Proberaum vorbereitet und dann in dem Studio unseres Gitarristen Witali die Vocals draufgesetzt und dann wieder die Songs in den Proberaum projiziert.
RockTimes: In meinem Review hab ich euch als deutsche Version Bolt Throwers beschrieben. Könnt ihr mit solchen Vergleichen leben? Oder ist euch so was egal?
Jagger: Solange die Vergleiche irgendwo ihre Berechtigung haben. Bolt Thrower ist eine Band, die in der Historie von Disbelief einiges zum Werdegang beigetragen hat. Zum einen haben wir zwei Tourneen mit ihnen bestritten, zum anderen konnten wir dabei eine Menge über das Musikbusiness lernen und zum dritten sind wir Fans von Bolt Thrower.
RockTimes: Ich durfte euch schon live erleben. Ihr seid mit eine der intensivsten Live-Bands überhaupt. Mich schlaucht das Hören eurer Platten ja immer schon (im positiven Sinne). Seid ihr da nicht jedes Mal total ausgelaugt bei einer so intensiven Art des Death Metals, besonders Live?
Jagger: Kommt darauf an, wie fit man so ist! Im Normalfall ist es schon so, das wir live sehr viel Körpereinsatz zeigen, was aber auch wiederum durch das Adrenalin das da fließt, eher ein Kraftschub ist als ein Kraftverlust.
RockTimes: Der Gesang ist diesmal etwas facettenreicher und zeigt jetzt noch mehr das Verzweifelte in den Texten. Eine gute Entscheidung wie ich finde, denn das lässt den Hörer noch mehr an den Geschichten teilhaben, stimmt's?
Jagger: Im Studio habe ich sehr hart mit Produzent Michael Mainx an den Vocals gearbeitet, wir haben zusammen im Studioprozess die Vocals in sieben verschiedene Sparten aufgeteilt, mit denen ich dann gearbeitet habe. Was ausschlaggebend war, um die Texte und Worte besser hörbarer zu gestalten, war das Arbeiten mit cleanen, klar gesungenen Vocallines, die wir dann unter meine normale Stimmlage gesetzt haben. Dieses Arbeiten hatte dann den Effekt, das sich meine Stimme in einer neuen Farbe darstellte. Die einzelnen Worte sind deutlicher zu hören und ich fühle mich daher auch verstandener mit meinen Texten.
RockTimes: Eure Texte waren ja immer so was wie Seelenstripteases, aber auf "Protected Hell" seid ihr ja doch ziemlich in die menschlichen Abgründe getaucht, denn ein Thema wie der Leidensweg der Natascha Kampusch ist ja kein ganz Einfaches.
Jagger: Das Stück "A Place To Hide" war der perfekte Song, um dieses Thema zu behandeln. Es geht hier nicht nur über den Fall der Natascha Kampusch, weil dies ja kein Einzelfall ist, in dieser großen, weiten Welt. Ein Platz zum Verstecken gab es nicht für diese Menschen, alleine diese Vorstellung ist Horror.
RockTimes: Wie steht ihr denn dazu, wenn solche Themen wie Folter bzw. Vergewaltigung/Missbrauch von manchen Porn/Gore/Grind-Bands ins lächerliche gezogen werden?
Jagger: Einfach nur geschmacklos und pupertär, mit so was beschäftige ich mich aber nicht.
RockTimes: Im Text zu "Room 309" wird ja Dein Aufenthalt im Krankenhaus verarbeitet bzw. das Krebsleiden eines eurer Fans, wenn ich da richtig informiert bin: Was war denn das für ein Erlebnis, das zu solch einem Text führt? Wenn ich mal so persönlich sein darf.
Jagger: Dies ist schon ein spezieller Song von "Protected Hell", weil es zum einen der erste Song war, den wir für "Protected Hell" geschrieben haben und zum anderen die Story, die dieser Song beinhaltet. Ich hatte mir einen Erfahrungswert bei einem Krankenhausaufenthalt geholt, bei dem mir keiner der Ärzte 100%ig sagen konnte, was mir fehlt. Dies war eine sehr beklemmende Situation für mich, weil meine Gedankengänge in alle Richtungen gegangen sind. Ein weiterer Aspekt des Songs "Room 309 (KraftPrinzip)" ist, wie stark doch die Kraft der Musik für uns Menschen sein kann. Diese Inspiration bekam ich durch eine E-Mail die uns erreichte, in der uns ein Fan von seinem Leidensweg im Krankenhaus berichtete, wo dieser durch unsere Musik Kraft gespendet bekommen hat, um diese Zeit zu überstehen. Diesen Erfahrungswert kann einem kein Mensch dieser Welt bezahlen und macht mich sehr stolz, durch unsere Musik jemandem geholfen zu haben. Übrigens, meine Zimmernummer im Krankenhaus war 309.
RockTimes: Bei "The Dark Soundscapes" geht es um Überlebende des Ramstein-Unglückes und deren Traumata, die bis zum heutigen Tage anhalten. Habt ihr zu den Menschen selbst Kontakt gehabt, oder ist das ein fiktives 'Darüber-Schreiben' gewesen?
Jagger: Hier geht es nicht speziell um die Ramstein-Opfer, sondern um den generellen Effekt, Geräusche in Alpträumen wieder zu hören, die einen immer wieder aus der Bahn werfen, weil diese immer wieder Bilder und Geräusche hervorrufen, die einen an Schreckliches aus der Vergangenheit erinnern.
RockTimes: Rammstein behaupten ja immer noch, das ihr Bandname nichts mit dem Vorfall in Ramstein zu tun hat. Wie sieht es mit eurer Pietätsgrenze aus? Was haltet ihr noch für vertretbar?
Jagger: Solange kein rechtes Gut vertreten wird, ist vieles machbar und vertretbar. Das Einzige was man hier anprangern kann, ist das kalte Kalkül, mit dem hier gearbeitet wird.
RockTimes: So jetzt aber noch mal zu etwas positiveren Dingen:
Ihr werdet doch bestimmt nicht nur Nachrichten oder realitätsnahe Dinge ansehen, also her mit euren Lieblingsfilmen.
Jagger: Ich hab so viele Lieblingsfilme, das könnte jetzt Stunden dauern, ich sag nur soviel, das da bei mir aus allen verschiedenen Sparten Filme dabei sind. Hier ein kleiner Auszug aus meiner Liste:
"Krieg der Sterne", "Das Imperium schlägt zurück", "Die Rückkehr der Jedi-Ritter"
"Herr der Ringe" - Trilogie
"Blade Runner"
"The Warriors"
"Der mit dem Wolf tanzt"
RockTimes: Welche Bands haben euch früher und in letzter Zeit beeinflusst?
Jagger: Früher war ich sehr beeinflusst von der deutschen Thrash-Szene, Bands wie Kreator, Destruction, Tankard, Angel Dust, Death, Dark Angel, Metallica, Possessed, Deathrow, Exumer, Obituary, Deicide, Pestilence, Infernal Majesty, Sacrifice.
Das waren jetzt so einige meiner Favoriten von damals, die Liste der anderen ist noch riesig groß, damals hab ich Musik nur so in mich hinein gesaugt.
Ich glaube nicht, das uns noch was beeinflusst, wir haben ja unseren eigenen Stil gefunden und so gilt es immer wieder diesen zu verfeinern und besser zu machen.
RockTimes: Ihr als Dieburger habt jetzt noch das kleine Vergnügen meiner hessischen Auswahl.
Henninger Bier oder Äbbelwoi (für nicht Hessen: Apfelwein)?
Jagger: Im Sommer kann so ein Sauergespritzter ein Labsal of Hell sein, yeah!!!!!!!!
RockTimes: Rippchen mit Kraut oder Grie Soß (für nicht Hessen: Grüne Soße)?
Jagger: Grüne Soße mit gekochten Eiern und Kartoffeln, welch ein Gedicht, lecker!
RockTimes: Darmstadt 98 oder Eintracht Frankfurt?
Jagger: Da drücke ich eigentlich den Lilien wie auch der Eintracht immer die Daumen!
RockTimes: Frankfurter Nachtleben oder Offenbacher Stadthalle?
Jagger: Im Frankfurter Nachtleben haben wir jetzt zweimal gespielt, cooler Club. In der Stadthalle habe ich schon so viele, geile Shows gesehen. Mein erstes richtig großes Konzert hab ich im Januar '87 in der Offenbacher Stadthalle gesehen, Metallica die schon nach vier Monaten nach dem Tod von Cliff zurückkamen mit Jason, um "Master Of Puppets" live vorzustellen, das war ein Erlebnis was ich nie vergessen werde. Hell, war das geil!
RockTimes: Dann danke ich dir im Namen von RockTimes fürs Rede und Antwort stehen.
Wir danken Tom von Massacre Records, der uns das Gespräch mit 'Jagger' ermöglicht hat.
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