Als ein Garant für einen sehr guten Abend gelten die Briten Dr. Feelgood mittlerweile seit über vierzig Jahren. Inzwischen wurde die Besetzung mehrmals gewechselt und von den Gründungsmitgliedern ist leider kein einziger mehr dabei. Umso größer war vor zwei Jahren die Überraschung, als The Big Figure für mehrere Gigs an den Drums saß. Auch in diesem Jahr muss sich der Taktgeber Kevin Morris für ein paar Tage entschuldigen lassen. Sein Vertreter Wayne Bronce legt allerdings eine solide Arbeit hin und so mancher Besucher im ausverkauften Quasimodo in Berlin wird sein Gastspiel noch nicht einmal aufgefallen sein. Alle Augen sind nämlich an diesem Abend wieder auf Robert Kane gerichtet, mit dem wir vorab ein Interview führen konnten.
Robert ist die Rampensau schlechthin. Wobei dieser abschätzige Ausdruck für diesen Gentleman eigentlich fehl am Platze ist. Aber mit welchen Worten sollte man sonst dieses Energiebündel beschreiben? Wäre die Bühne fünfzig Meter breit und ebenso tief, würde er auch diese Fläche komplett für sich nutzen. Alter und Wehwehchen scheinen für ihn Fremdwörter zu sein. Während sich andere Sänger gleichen Kalibers so langsam zur Ruhe setzen, legt Kane noch einmal Kohle nach. Mit Betreten der Bühne und vom ersten bis zum letzten Song des über zweistündigen Konzertes, fegt er über selbige, macht Verrenkungen wie zu besten Rock'n'Roll-Zeiten oder tanzt divenhaft, als ob er Flamencoklänge über sein In-Ear-System vernimmt. Der Mann ist einfach nur eine einzige Augenweide und er versteht es, das Publikum nach Herzenslust zu dirigieren sowie mit jeder Geste in seinen Bann zu ziehen. Mehrmals steht er dabei für eine gefühlte Ewigkeit völlig regungslos, mit starrem Blick eine Person im Saal fixierend, einfach nur da und keiner wagt auch nur ein Wort zu rufen, zu applaudieren oder sonst eine Bewegung zu machen. Für mich ist Robert Kane einer der größten Entertainer auf den Bühnen der Welt.
Was wäre aber der größte Showman ohne seine Zuspieler und Teamkollegen. Neben ihm, an vorderster Front, steigert sich Gitarrist Steve Walwyn in einen regelrechten Spielrausch hinein. Seine Riffs sind enorm kräftig, seine Soli brillant, seine Slide-Gitarre göttlich. Er ist der Sound von Dr. Feelgood. Unter seiner Führung klingen alle Stücke einfach nur perfekt. Das Publikum dankt es ihm mit langem Applaus nach jedem Song, was ihm sichtlich peinlich scheint, wenn er sich ein schüchternes 'Thank You' abringt. Gegen Ende der Show vergisst er allerdings alle Zurückhaltung und verlässt die Bühne, um im dicksten Pulk der Menge zu spielen. Eine bessere Kommunikation kann es zwischen Fan und Idol nicht geben und ist einer der Gründe, weshalb Bands dieses Kalibers oft kleinere Hallen oder Clubs bevorzugen. Dass diese Möglichkeit aber auch von den Gästen genutzt wird, will ein Fan beweisen, der die Bühne entert, versucht Robert Kane dessen Harmonika zu entreißen und dann minutenlang mit ihm diskutiert. Etwas perplex rettet Kane dennoch die Situation, bei der der Sicherheitsdienst völlig versagt und wohl in diesem Moment nicht anwesend ist.
Die Stimmung ist am kochen. Die Band jagt einen Song nach dem anderen in die Menge. Die Show ist dabei leider in zwei Blöcke geteilt. Teil eins umfasst neun Tracks, darunter der Radiodauerbrenner "Milk And Alkohol". Der Rest der ersten Stunde ist ein Mix von Gassenhauern und einigen selten gespielten Stücken. Zum Ausklang der Anwärmphase gehört die Bühne Steve Walwyn, der beim gemächlichen "Down By The Jetty Blues" seine Fingerfertigkeit und sein Gefühl unter Beweis stellt. Richtig zur Sache geht es nach der Pause. "Roxette" und "Down At The Doctors" dürfen dabei ebenso wenig fehlen wie die Cover-Klassiker "See You Later Alligator" oder "Tequila". Selbst in dieser heißen Phase zeigt die Band keine Ermüdung. Zwar läuft ihnen der Schweiß in Strömen, denn Gentleman Kane hat sich noch immer nicht seines Jacketts entledigt, aber man hat das Gefühl, dass genau dieser Zustand dem Quartett noch weiteren Antrieb verleiht.
Einzig 'Trockener' bleibt an diesem Abend Bassist P.H. Mitchell. Zumindest äußerlich, denn von innen schmiert er sich in regelmäßigen Abständen mit Berliner Flaschenbier, das gegen Ende auch seine Wirkung zeigt und ihn dazu ermuntert, auch etwas Bewegung auf die Bühne zu bringen. Währenddessen hat Aushilfsdrummer Wayne Bronce des Öfteren mit der Technik seines Schlagzeugs zu kämpfen, das anscheinend nicht im besten Zustand ist und der Band zwei Zwangspausen beschert.
Die Show ist im Ganzen erneut grandios. Dr. Feelgood haben wieder gezeigt, dass sie noch lange nicht zum alten Eisen gehören und es nicht zwingend notwendig ist, in Originalbesetzung zu spielen, um in perfekten Erinnerungen zu schwelgen. Auf neue Songs werden die Fans trotzdem wohl bis ans Ende ihrer Tage warten müssen, denn wie bereits im Interview von Robert Kane mit einem klaren 'Nein' bestätigt, wird es kein neues Material geben. Dennoch wird die Fangemeinde der Band treu bleiben und auch ich werde beim nächsten Gig wieder dabei sein.
|