Dream Theater / Black Clouds & Silver Linings
Black Clouds & Silver Linings Spielzeit: 75:29
Medium: CD
Label: Roadrunner Records, 2009
Stil: Prog Metal

Review vom 13.07.2009


Boris Theobald
Bei Dream Theater weiß man ganz genau: Nach zwei Jahren kommt ein neues Album, es ist mit Sicherheit deutlich über 70 Minuten lang - aber was steckt drin? Da kündigte das inoffizielle Band-Sprachrohr Mike Portnoy in zahlreichen Interviews im Vorfeld eine Art 'Rückbesinnung' auf frühere Verhaltensmuster an. Man werde auf "Black Clouds & Silver Linings" fast ausschließlich epische Stücke servieren, die verschiedenste Stimmungen in sich vereinen - denn aus diesem Stoff bestünden nun mal die von Fans heiß geliebten Klassiker der Band. Dann nahm er noch Titel wie "Images And Words", "Awake" und "Scenes From A Memory" in den Mund. Hoch gepokert, also...
Ob und wie gut diese Versprechungen eingelöst werden, darüber lässt sich streiten. Es dominiert tatsächlich Songmaterial mit Überlänge, mit Ausnahme der wehmütig-getragenen Ballade "Wither" - positiv übrigens, dass hier Power mit im Spiel ist, keine Neuauflage von "Vacant" und "The Answer Lies Within" also. Die übrigen fünf Tracks erstrecken sich über gigantische und - keine Frage - starke 70 Minuten, müssen sich für die Ansprüche der größten Prog Metal-Band der Welt all zu oft den Vorwurf gefallen lassen, etwas konstruiert zu klingen.
Ein Beispiel ist der monumentale Höhepunkt des Albums, das 20-minütige "The Count Of Tuscany", mit dessen Lyrics John Petrucci eine nicht ganz alltägliche, aber so erlebte Begegnung in einem toskanischen Schlosskeller Revue passieren lässt. Der mehr als vier Minuten lange instrumentale Einstieg ist ganz exzellent und trägt den Hörer feinfühlig von der Idylle der Toskana bis in die düsteren Katakomben. Mittendrin übrigens eine schöne Hommage an Rush - man glaubt ein paar Takte lang, Lifesons Gitarren und Pearts Fills zu "Red Barchetta" zu hören.
Gesangseinstieg, ein leider etwas simpler Chorus, ausgedehnte Gitarren- und Keyboard-Exzesse in unterschiedlichen Zählzeiten, ein dickes, fettes Break, ein balladesk eingeläutetes episches Finale. Trotz etlicher Großartigkeiten (es sind und bleiben vier der größten Instrumentalisten unter der Sonne!) ist dieser Longtrack zwar sehr stark, aber kein Meisterwerk. 'Solide' für die Verhältnisse der Band, möchte man sagen, aber insgesamt bietet er genau das, was man von einem 20-Minüter erwartet. Nicht mehr - nicht weniger.
Das selbe 'in klein' gilt für "A Rite Of Passage" ('nur' 8:35 lang): Trotz formidabler morgenländisch angehauchter Hookline und cooler Gesangseffekte (ein nahezu growlender Petrucci als LaBries 'Echo') bleibt die Struktur jene eines normal aufgebauten Songs mit überlangem Instrumental-Teil und damit arg vorhersehbar. Die stärkste Viertelstunde des Albums gibt es gleich zu Beginn mit "A Nightmare To Remember" - textlich abermals ein sehr persönliches Stück aus der Feder Petruccis, der darin einen schlimmen Autounfall verarbeitet, den er als Kind erlebt hat.
Ein prachtvolles Epos mit zahlreichen Wechseln zwischen trashigen Double Bass-Attacken, angespannt ruhigen Clean-Gitarren-Parts und anmutvollen, schwelgenden Passagen im 3/4-Takt - 'eingerahmt' von spannend-minimalistischen Piano-Noten. Das Stück ist vieldimensional, aufwühlend und mitreißend. Ein emotionaler Höhepunkt des Albums in anderer Hinsicht ist Mike Portnoys Hommage an Vater Howard, der im Januar 2009 starb: "The Best Of Times" ist ein nahe gehendes und nachdenklich machendes Wechselbad der Gefühle. Mancher Rückblick zu Beginn wird auch musikalisch in Nostalgie verwandelt: Auch hier schimmern positiv-dynamische Rush-Anleihen à la "Spirit Of Radio" durch. Schön!
Ein weiterer Portnoy-Song macht "Black Clouds & Silver Linings" insgesamt zu einem der persönlichsten Alben in der Geschichte der Band: "The Shattered Fortress" bildet mit den letzten drei Teilen den Abschluss von Portnoys "Twelve-step Saga" über seinen Kampf gegen die Alkoholsucht. Der Song ist die Fortsetzung der gut sieben Jahre zuvor begonnenen Abfolge von "The Glass Prison", "This Dying Soul", "The Root Of All Evil" und "Repentance". Es ist zugegebenermaßen ein bombastisches, komplexes Finale Furioso. Allerdings: Nachdem in den vorhergegangenen Stücken der Suite bereits frühere Episoden zitiert wurden, besteht "The Shattered Fortress" über zu weite Strecken aus einer Art Zweitverwertung.
A propos... in diesem Fall ist es so gewollt; doch Dream Theater müssen sich an vielen anderen Stellen des Albums den Vorwurf gefallen lassen, von sich selbst abzukupfern. "A Rite Of Passage" kopiert nach dem ersten Chorus annähernd die Melodie von "In The Name Of God", die Akustikgitarre zu Beginn von "The Best Of Times" klingt stark nach "Hollow Years", und Jordan Rudess' abermaliger Griff ins Continuum in "The Count Of Tuscany" unterscheidet sich nicht wirklich von jenen in "Octavarium" oder "In The Presence Of Enemies". Etwas schade ist auch, dass man James LaBrie dieses Mal gar nicht mehr in auffällig hohe Tonregionen vorstoßen lässt - eine Entwicklung, die sich aber schon länger andeutete. Manchmal täte so ein Oktavsprung nach oben dem Metallerherz eben gut...
Positive Aufmerksamkeit verdient das hervorragende Artwork, das (selbstverständlich) vom einzig wahren Hugh Syme stammt. Natürlich denkt man beim Cover an "Awake" - darüber hinaus lassen sich Mike Portnoys Assoziationen mit "Awake" und "Images And Words" aber nicht nachvollziehen. Ein wenig "Scenes From A Memory"-Feeling schon eher, weil (vor allem) dank "A Nightmare To Remember" und "The Best Of Times" wieder mehr Emotion als zuletzt mitspielt.
Die großen Epen früher Tage bleiben aber unerreicht - zu sprunghaft wirken zuweilen die Wechsel; zu wenig ist die Musik im Stande, den Hörer bedingungslos mitzureißen oder atmosphärisch einzulullen. Das Album ist mal wieder Weltklasse, keine Frage - und niemand macht Dream Theater den übermenschlichen polyrhythmischen Technik-Thron streitig. In Sachen Songwriting habe ich aber in den vergangenen Monaten und Jahren Packenderes von anderen Bands gehört. "Black Clouds & Silver Linings" steckt voller punktueller Großartigkeiten, schafft es aber nicht, zu verzaubern und zu überraschen.
Line-up:
James LaBrie (vocals)
John Myung (bass)
John Petrucci (guitar, vocals)
Mike Portnoy (drums, percussion, vocals)
Jordan Rudess (keyboard, continuum)
Tracklist
01:A Nightmare To Remember (16:10)
02:A Rite of Passage (8:35)
03:Wither (5:25)
04:The Shattered Fortress (12:49)
05:The Best Of Times (13:07)
06:The Count Of Tuscany (19:16)
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