Dream Theater
Das sind drei wichtige Variablen, die den Spaß an einer Dream Theater-Show empfindlich beeinträchtigen können! Aber nicht dieses Mal. Schon nach ein, zwei Songs wurde aus dem bereits gleich zu Beginn guten Sound ein sehr gut ausgesteuerter Klang für verwöhnte Prog-Ohren. Alle Akteure waren detailliert und präsent zu hören, auch James LaBrie. Der war in der Vergangenheit ja nicht immer optimal drauf. In Sachen Stimme. Und Stimmung?! Wow, nach dem Hickhack um Mike Portnoy wirkte die Band richtig gelöst mit dem neuen Mann Mike Mangini als Taktgeber. Und gerade James LaBrie hatte ja zuweilen arg unter dem Schlappen von Ex-Sprachrohr Portnoy gestanden.
Und nun? Wann haben wir Dream Theater-Jünger das schon mal erlebt, dass James während der letzten instrumentalen Parallelläufe vorm Chorus beherzt Anlauf in Richtung Drumset nimmt und vor seinem Schlagzeuger in die Luft springt und mit gespreizten Armen und Beinen ein 'X' in der Luft markiert?! Der war gut drauf, und das lag nicht nur am 'letzten Date' der Tour - da gab es dankbare Worte in Richtung Crew, Fans, Vorband... Auch sonst plauderte er den Fans - für seine bisherigen Verhältnisse - die ein oder andere Klinke an die Backe.
Wie cool es stets in der Rockhal sei, versicherte er. Lobte Petruccis Solo als »unbelievable, wonderful, gorgeous, moving«. Machte Witze über seinen auffälligen, mehrfach geschwungenen Mikro-Ständer mit dem Bandlogo als Sockel, der gerade kaputt gegangen war... »It finally said 'you screwed me, get another one'«. James meinte noch, dass er mit diesem Mikroständer so gut einen auf Freddy Mercury machen konnte. Und Petrucci spielte "Crazy Little Thing Called Love" an. LaBrie wollte vor dem Akustik-Set erklären, was hinter dem Song "The Silent Man" steckt. Er verhedderte sich verbal, keiner kapierte irgendetwas, bis Petrucci ihn anmachte ... »Okay, it's the end of tour tour - I'm losing my mind!« Später verhedderte sich LaBrie nochmal, aber dieses Mal mit dem Kabel an Petruccis Mikroständer. Petrucci versuchte, seinen Sänger mit dem Lassotrick einzufangen. Das kostete LaBrie eine Zeile Gesang. Und machte Spaß...
... so wie die technische Exzellenz aller Beteiligten. Damit war aber zu rechnen. Petrucci spielte ein sicher mehr als fünf Minuten langes Intro-Solo zu "The Spirit Carries On" (Gänsehaut-Mitsinger!) mit viel Gefühl und atmosphärisch wertvollem Delay-Effekt. Das machte mehr Eindruck als es bei einer Frickel-Show der Fall gewesen wäre! John Myung zauberte gewohnt unaufgeregt seine übermenschlichen Basslines. Und Jordan Rudess spielte wie immer an seinem Pitch-Knöpfchen, um gewohnte Sounds ein bisschen ungewohnt zu machen. Und sein 360-Grad-Turnaround-Keyboard ist nun sogar seitlich neigbar. So bekam der Tasten-Wizard ab und an arg Schlagseite! Besonders großartig - von allen: die "Six Degrees..."-Sequenz aus "War Inside My Head" und "The Test That Stumped Them All". Bei den Instrumenalparts geriet ich nochmal stark ins Schwärmen, obwohl ich sie doch alle schon kannte ...
Bei Mike Manginis Drum-Solo schauten und hörten wohl so viele ganz genau hin wie selten bei einem Drum-Solo. Der 'Neue' versuchte sich nicht an Geschwindigkeitsrekorden (von denen er ohnehin einige hält), sondern zeigte vor allem, dass er mehrere Rhythmen gleichzeitig drauf hat. Sein Stil ist sicherlich athletischer als der Portnoys - er hat einen ungeheuer 'harten' Groove drauf und klingt klasse. Auch ihm hat die Arbeit sichtlich Spaß gemacht - die meiste Zeit trommelte er übrigens demonstrativ mit offenen Haaren. Ein bisschen Show gehört schließlich auch dazu. Und die Leistung LaBries war - wie schon angedeutet - außerordentlich ordentlich. Er ist keinen Schwierigkeiten ausgewichen, hatte sogar Lust, zwischendurch zu screamen. Wo es nötig war, klang er böse und giftig. Und anderswo warm und euphorisierend. Ganz großartig: "Surrounded", das mittlerweile rund 20 Jahre auf dem Buckel hat und ihm im Original-Arrangement keine Probleme bereitete, wow!
Nicht so optimal klang "A Fortune In Lies". Es war zwar wunderbar, dass die Band diesen (aus LaBries Sicht) prähistorischen Klassiker auspackte, doch er hat für mich nie zu diesem Sänger gepasst. Auch dieses Mal nicht... gesanglich war es übertrieben, und auch Mangini hat hier 'overplayed'. Aber geschenkt! Vom letzten Album "A Dramatic Turn Of Events", das mich persönlich endlich wieder im Gefühlszentrum erreichte, gab es gleich sechs Stücke, frisch und überzeugend präsentiert! "Bridges In The Sky" und "Build Me Up, Break Me Down" strömten eine hypnotisierende Kälte aus, die mich an die "Train Of Thought"-Tour erinnerte. Das zauberhafte "Beneath The Surface" als Teil des Akustik-Sets war dann natürlich alles andere als unterkühlt... toll, der Oktavsprung nach oben gegen Ende! Und die langen Nummern "Outcry" und "Breaking All Illusions" bestätigten sich als Dream Theater-Epen par excellence.
Als Zugabe gab es noch "Pull Me Under", ungekürzt. Das machte dann unterm Strich mehr als zwei äußerst kurzweilige Stunden, die die Band in Top-Verfassung zeigten - technisch sowieso, aber auch Stimmungs-'technisch'! Der Wechsel auf dem Schlagzeughocker hat Dream Theater nicht - wie von mir einst befürchtet - geschadet, sondern sogar neuen Schwung gebracht. Technisch hat der neue Mike den alten Mike ohnehin im Sack. Dream Theater lebt und atmet und beeindruckt und begeistert. (Auch) beim nächsten Mal auf keinen Fall verpassen!
Vielen Dank an das Team der Rockhal für die freundliche Akkreditierung! Und natürlich an den kurzfristig aus Aachen angebrausten Kollegen Jochen fürs Fotografieren!
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