Miles Davis / Sketches Of Spain
50th Anniversary Legacy Edition
Sketches Of Spain Spielzeit: 45:05 (CD 1), 70:12 (CD 2)
Medium: Do-CD
Label: Sony Music (Columbia), 2009 (1959)
Stil: Jazz


Review vom 05.07.2009


Wolfgang Giese
Zwischen November 1959 und März 1960 entstanden die Aufnahmen zu einem der wichtigsten Alben des Trompeters und einem der außergewöhnlichen in der Geschichte des Jazz.
Die Zeit war damals geprägt vom Hard Bop, von den Ausläufern des Be Bop, von Davis' eigenen Bemühungen um die Einführung des modalen Jazz', von den ersten Versuchen, freien Jazz zu etablieren.
Insofern geschah hier etwas Neues.
Einerseits nichts Ungewöhnliches, mit einer großen Besetzung zu musizieren, andererseits nichts Ungewöhnliches, Musik mit Orchester zu produzieren, doch die Zeit der Big Bands war ja eigentlich passé. Gil Evans war jedoch ein Pianist, Komponist und Arrangeur, der diese Fahne auf seine sehr exzentrische und ungewöhnliche Art hoch hielt.
Mit Miles Davis hatte er einen sehr passenden Partner gefunden. Zwei Musiker, die auf der Suche waren, die sich nicht scheuten, auch Außergewöhnliches zu versuchen.
Dieses hatten beide bereits zweimal unter Beweis gestellt: Bei der gemeinsamen Zusammenarbeit mit den Alben "Miles Ahead" (1957) sowie "Porgy & Bess" (1958) und später sollte dann noch in diesem Zeitraum "Quiet Nights" (1962) folgen. "Sketches Of Spain" war sicher das interessanteste und imposanteste Werk der Vier.
Davis hatte eine Version des Stückes von Joaquin Rodrigo bei einem befreundeten Musiker gehört und bat Evans, um das Adagio (dem 2. Satz des Orchesterwerkes) des "Concierto de Aranjuez" herum eine Plattenaufnahme aufzubauen.
Der Komponist wollte seine Eindrücke, die er in den königlichen Gärten am spanischen Hofe, hier in den Gärten des Palacio Real De Aranjuez, empfand, musikalisch ausdrücken, also wahrgenommene Eindrücke aus Fauna und Flora, die sich dort reichhaltig boten. Dieser Titel ist insofern das Kernstück der mit spanischen und arabischen Elementen gespickten Musik.
Bereits auf Kind Of Blue hatte sich Davis spanischer Musik genähert: mit den "Flamenco Sketches".
Neben Rodrigo wird hier ein Motiv eines weiteren spanischen Meisters verwendet, Manuel de Falla bei "Will O' The Wisp", aus der Ballettmusik "El Amor Brujo".
Ich denke, "Sketches Of Spain" ist mehr 'Unterhaltungsmusik' als alle anderen Alben des Trompeters. Sicher hat es auch Fans außerhalb des Jazz gefunden, weil die Musik doch zugänglicher ist für den 'Massengeschmack'.
Das soll nicht bedeuten, dass es schlechter zu bewerten ist, sondern ich halte es für ein frühes und äußerst gelungenes Crossover-Projekt.
Leider ist es (vermutlich) so, dass alle Stücke neben dem "Concierto" in der Popularität verblassen, man wird das Album in der Regel an genau diesem verträumten Adagio messen, das ist der Titel, warum man sich diese Platte kauft.
Ungeachtet dessen, dass sich Davis ein sehr bekanntes Motiv der ernsten Musik gewählt hat, und dass es unzweifelhaft mit einer außergewöhnlichen Brillanz geboten wird, wäre es vermessen, die übrigen Titel nun hinten an zu stellen. Bis auf das ebenfalls lange "Solea" von Evans bieten auch die im Verhältnis recht kurzen Stücke zwei bis vier gute Unterhaltung, und das sogar auf 'kleinerem Raum'.
So schwingt sich "Will O' The Wisp" mit dezenter Kastagnettenuntermalung tänzelnd aus den Boxen und verleitet zu Gefühlen von Leichtigkeit und Luftigkeit. "The Pan Piper" trägt aus meiner Sicht starke Spuren von Filmmusik, ich kann mir da gut einen skurrilen 50erJahre-Film von Luis Bunuel, natürlich in schwarz-weiß, vor Augen führen.
"Saeta", das ist ein andalusisches Thema, das gern zu den Osterfeiertagen zur Ehre der Heiligen Mutter Maria gesungen wird, hier im Marschrhythmus und mit Fanfaren zu einem kraftvollen Spektakel aufgearbeitet. Noch einmal musste ein andalusisches Volkslied als Grundlage für das lange "Solea" her halten. Leidenschaft, emotionale Tiefe und romantische Melancholie spiegeln sich in dem wunderbaren Arrangement Evans' wider.
Nicht auf der Originalplatte, sondern auf CD 1 dieser Ausgabe, finden wir dann hier bereits als Bonus den Titel "Song Of Our Country", ein im Verhältnis nicht ganz so beeindruckendes Stück. Die 'Schmankerl' auf dieser "50th Anniversary Legacy Edition" befinden sich dann auf CD 2.
Hier sind Alternativ-Versionen und Probeaufnahmen zu vernehmen, man kann über die Sinn- oder Sinnlosigkeit streiten, aber letztlich ist es die einzige Liveaufnahme, die Davis und Evans eingespielt haben, nämlich das "Concierto", aufgenommen am 19.5.1961 in der Carnegie Hall - für mich neben der Vollversion der Masteraufnahme von "Saeta" der Höhepunkt der Boni!
Aber auch "The Maids Of Cadiz" und "Teo" sind wünschenswerte Zugaben, obwohl erstgenannter Titel bereits auf "Miles Ahead" zu hören war und "Teo" auf dem späteren Album "Someday My Prince Will Come".
Beide haben auch leicht spanisches Flair und daher möglicherweise deshalb hinzugefügt worden.
Als weiteren Bonus gibt es für PC-Benutzer auf CD 2 eine abrufbare PDF-Datei mit vielen Infomationen, Fotos, Ausschnitten aus Zeitungen und Einzelheiten zu den Aufnahmesessions. Alles sehr liebevoll zusammengestellt. Auch wer das Originalalbum bereits hat, sollte zugreifen. Denn das Booklet mit Ausführungen von Gunther Schuller, der bereits mit Davis zusammen gearbeitet hatte, ist vorbildlich gestaltet.
Zu guter letzt bleibt festzustellen, dass Evans und Davis hier ein Werk schufen, dass mit seinem strukturellen Aufbau weniger mit Jazz als alle anderen Veröffentlichungen des Trompeters zu tun hat.
Wer also eine Einsteigerplatte sucht, sollte nicht diese wählen, "Sketches Of Spain" sollte später als Dessert nach den Hauptgerichten zu sich genommen werden!
Im übrigen schien das Jahr im Jazz ein sehr fruchtbares Jahr gewesen zu sein, neben diesem Miles-Album kam später noch das epochale "Kind Of Blue", Ornette Coleman mit "The Shape Of Jazz To Come", Charles Mingus mit "Ah Um" oder Dave Brubeck mit "Time Out"!
Line-up:
Miles Davis (trumpet, flugelhorn)
Danny Bank (bass clarinet)
Bill Barber (tuba)
John Barrows (french horn )
Albert Block (flute)
James Buffington (french horn)
Eddie Caine (flute, flugelhorn)
Paul Chambers (bass)
Earl Chapin (french horn)
Jimmy Cobb (drums)
Johnny Coles (trumpet)
Arthur Taylor (drums)
Gil Evans (arranger, conductor)
Harold Feldman (clarinet, flute, oboe)
Bernie Glow (trumpet)
Dick Hixon (trombone)
Elvin Jones (percussion)
Taft Jordan (trumpet)
Jack Knitzer (bassoon)
Jose Mangual (percussion)
Jimmy McAllister (tuba)
Tony Miranda (french horn )
Louis Mucci (trumpet )
Romeo Penque (oboe)
Janet Putnam (harp )
Frank Rehak (trombone)
Ernie Royal (trumpet )
Joe Singer (french horn )
Lee Konitz (alto sax CD 2 - #1)
Tom Mitchell (bass trombone CD 2 - #1)
Joe Bennett (trombone CD 2, - #1)
Willie Ruff (french horn CD 2 - #1)
Sid Cooper (flute, clarinet CD 2 - #1)
John Caris (trumpet CD 2 - #1)
Art Taylor (drums CD 2 -#1)

on CD 2 - #11 only:
Miles Davis (trumpet)
John Coltrane (tenor sax)
Wynton Kelly (piano)
Paul Chambers (bass)
Jimmy Cobb (drums)
Tracklist
CD 1:
01:Concierto De Aranjuez (Adagio)(16:24)
02:Will O' The Wisp (3:51)
03:The Pan Piper (3:59)
04:Saeta (5:04)
05:Solea (12:21)
06:Song Of Our Country (3:22)
CD 2:
01:Maids Of Cadiz(3:48)
02:Concierto De Aranjuez (Adagio) [rehearsal take, incomplete] (7:24)
03:Concierto De Aranjuez (Adagio) [alternate take, part one] (12:06)
04:Concierto De Aranjuez (Adagio) [alternate take, part two] (3:35)
05:Concierto De Aranjuez (Adagio) [alternate ending] (1:04)
06:The Pan Piper [take 1] (3:13)
07:Song Of Our Country [take 9, w/o intro] (3:00)
08:Song Of Our Country [take 14, slower tempo, w/o intro] (3:10)
09:Saeta [full version of master] (6:03)
10:Concierto De Aranjuez [live] (17:07)
11:Teo (9:33)
Externe Links: