Die Seele brennt lichterloh. Das Rockpalast-Konzert von Einstürzende Neubauten ist ein Happening zwischen Dichtung, Kunst und Krach. Krach gehört bei der 1980 gegründeten Gruppe definitiv auch zur Kunst, denn so kunstvoll konnte wohl kaum eine andere Band mit Geräuschen umgehen.
Eher aus einer damaligen finanziellen Not heraus brachte man eher ungewöhnliche Gegenstände zum Klingen und bei Einstürzende Neubauten hört sich so etwas echt gut an. Avantgarde und Industrial sind bei dieser Combo nur Eckpfeiler eines Versuchs, deren Musik zu kategorisieren.
"Live At Rockpalast 1990" konzentriert sich auf das zum damaligen Zeitpunkt aktuelle Album "Haus der Lüge" (mit einem pinkelnden Pferd auf dem Cover). Weitere Titel auf den vorliegenden Platten, deren Tracklists identisch sind, stammen von "Kollaps" (1981), "Zeichnungen des Patienten O.T." (1983), "Halber Mensch" (1985) und "Fünf auf der nach oben offenen Richterskala" (1987).
Die Musik von Einstürzende Neubauten lebt von den unterschiedlichen Persönlichkeiten und deren künstlerischen Sichtweisen. Das Quintett spielt zwischen metallischem Groove und Klanghochhäusern alles Mögliche und stellt den Siegelverwalter des guten Tons auf die eine oder andere Belastungsprobe.
Das Konzert ist ein Spagat aus lyrischer Kunst und einer nicht eindeutig zu lokalisierenden Gefühlswelt der Band-Individualisten. Noch nicht einmal ist der zweieinhalbminütige "Prolog" in der Lage, dem Hörer auch nur ansatzweise zu offenbaren, welche Klangcollagen Einstürzende Neubauten zustande bringen.
Mit einem ungeheuren Groove geht es in "Feurio!" schon ganz anders zu und die Band stellt die Soundanlage der Philipshalle in Düsseldorf auf die Probe. Noch hat es den Anschein, als sei alles im Lot. Die Gitarre schreddert zwischen Metal und Blues und zu Beginn des Tracks schwebt man förmlich auf einer wavigen Welle. Unglaublich, wie Blixa Bargeld seinen Text aufführt. Die E-Gitarrenriffs werden zu einer hypnotischen Karussellfahrt durch das limbische System der menschlichen Gehirnwindungen.
"Sehnsucht" ist Seelenstriptease à la Einstürzende Neubauten und musikalisch gibt einem "Armenia" das Gefühl, nackt in einer riesigen, verwahrlosten Fabrikhalle zu sitzen, aus deren Decke einem in furchterregendem Rhythmus das Wasser auf den fröstelnden Körper tropft. "Yu Güng" ist Blues von den obersten Flächen des Himalajas und "Trinklied" der ungewollte Alptraum einer durchzechten Nacht.
In "Ein Stuhl in der Hölle" wird Blixa Bargelds kathedrale Stimme von minimalistische Klassik begleitet und "Der Kuss" ist ein mit dezenter Instrumentierung inszenierter, erotischer Abgesang. "Kein Bestandteil sein" glänzt zunächst durch zurückhaltenden Groove und "Sand" kommt als melancholisch-melodische Einheit daher. Die Schlussnummer "Letztes Biest" deformiert dann endgültig die Trommelfelle.
Was man hört, möchte man auch sehen. Die DVD setzt die Einstürzende Neubauten-Performance ins richtige Licht. Erst so wird das zum Teil atonale Chaos von "Der Tod ist ein Dandy" noch intensiver, als auf dem Tonträger. Unglaublich, womit man diese ungewöhnlichen Klänge erzeugt. An uns für sich hätte dieses Konzert das gleiche visuelle Outfit verdient, wie die Verpackung ... schwarzweiß.
Einstürzende Neubauten kreieren Kunst zwischen Einkaufswagen und Expander. "Live At Rockpalast 1990" geht unter die Haut und ist letztendlich eine die Nerven reinigende Intensivkur. Am Rande sei erlaubt, im Zusammenhang mit Einstürzende Neubauten auf Die Haut hinzuweisen.
Line-up:
Blixa Bargeld (guitars, vocals, keyboards)
Alexander Hacke (guitar)
N.U. Unruh (percussion)
FM Einheit (percussion)
Mark Chung (bass)
Tracklist |
DVD & CD: Philipshalle Düsseldorf, 24.11.1990:
01:Prolog (2:35)
02:Feurio (4:40)
03:Der Tod ist ein Dandy (5:55)
04:Sehnsucht (3:08)
05:Armenia (5:03)
06:Yu Güng (6:15)
07:Zerstörte Zelle (4:49)
08:Trinklied (1:14)
09:Ich bin's (4:33)
10:Ein Stuhl in der Hölle (2:05)
11:Der Kuss (3:36)
12:Haus der Lüge (4:32)
13:Kein Bestandteil sein (4:58)
14:Zeichnungen des Patienten O.T. (3:31)
15:Sand (4:18)
16:Letztes Biest am Himmel (4:16)
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Externe Links:
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