RockTimes: Bereits seit den 60er Jahren bist Du aus der deutschen Rockszene nicht mehr wegzudenken: Du warst Schlagzeuger bei den Hagener Bands The Crew und Wutpickel und bis 1983 bei Grobschnitt. Auf Deinen Soloscheiben präsentierst Du Dich als Multiinstrumentalist, spielst nahezu alles von Gitarre über Akkordeon bis zu Keyboards und exotischer Percussion. Gibt es daher ein Instrument, das Du als Dein Hauptinstrument bezeichnen würdest und, wenn ja, warum gerade dieses?
Eroc: Nun, mein Hauptinstrument bei allen erwähnten Bands war immer das Schlagzeug. 1964 fing ich zwar zunächst an, Bass zu üben. Aber schon kurze Zeit später faszinierten mich die Trommeln wesentlich mehr. Zum privaten Vergnügen, später für meine Soloprojekte und für die Show-Einspielungen bei Grobschnitt brachte ich mir dann Gitarre bei, danach auch noch Keyboards und Bass, sowie alle möglichen Instrumente und Gerätschaften, die mir im Laufe der Zeit auf den Bühnen und im Studio über den Weg liefen. Das aus der "Wolkenreise" bekannte und berühmte Akkordeon war eher ein Zufallstreffer. Ich hatte mir dieses Instrument vom Vater eines Freundes ausgeliehen, um damit das musikalische Intro für eine der GS-Shows (die "Söldnershow") zu gestalten. Dass dieser Titel dann zum Hit avancieren würde, hatte ich nicht geahnt.
RockTimes: The Crew und Wutpickel waren ja eher regional bekannte Gruppen, erst mit Grobschnitt stellte sich auch über die Grenzen des Sauerlandes der Erfolg ein - inwiefern waren die Crew und Wutpickel denn Wegbereiter für Grobschnitt und wie unterschieden sie sich von der späteren Band?
Eroc: Die Crew ( Wutpickel war nur eine relativ kurzlebige Session-Band) ermöglichte mir und uns in erster Linie das Rüstzeug, die musikalische Grundausbildung und wesentliche Erfahrungen auf den Bühnen. In dieser Zeit kamen wir zunächst mit Swing, Blues, Rockabilly und Beat in Berührung, später dann auch mit Soul und Underground. Diese Einflüsse sind speziell bei den frühen Grobschnitt sehr spürbar. Wutpickel mit ihrer Nähe zum Free Jazz gaben mir persönlich Perspektiven und Übung für Improvisationen und spielerisches Risiko.
Immerhin hatten wir ja schon fünf bis sechs Jahre Praxis on the road auf dem Kerbholz, bevor wir überhaupt an unser erstes Album denken konnten. Und das bedeutete echte Grundausbildung. Schon 1968 spielten wir regelmäßig jedes Wochenende zweimal abends für je drei Stunden in Kneipen und Jugendheimen zum Tanz auf. Und das neben unseren Lehren und bürgerlichen Ausbildungen. Das war eine harte Schule und lehrte uns in erster Linie musikalisches Handwerk, dazu Disziplin, Ausdauer, Zielstrebigkeit und vor allem Zusammenhalt.
RockTimes: Bereits die erste LP von Grobschnitt war sehr von der progressiven Rockmusik der damaligen Zeit geprägt, wies aber neben der ausufernden Klangpoetik des Genres auch bereits den skurrilen Humor auf, für den die Gruppe berühmt-berüchtigt war. Welche Einflüsse waren in der Musik hörbar und welche bei den humoristischen Elementen?
Eroc: Musikalisch 'riskierten' wir damals alles, was uns einfiel und Spaß machte. Es war eine echte Aufbruchsstimmung. Deutsche Bands hatten ja noch kein Gesicht und alles war möglich und wurde ausprobiert. Das Stück "Die Maschine" z.B. mit seinen monotonen Breaks, der Titel "Symphony" mit seinen vielen, unterschiedlichen Teilen und dem etwas albernen Chor oder "Suntrip" mit seiner politischen Botschaft, verpackt in ausgespielte Zusammenarbeit zwischen Elektronik und Musik, entstanden auch aus der Absicht heraus, Dinge musikalisch 'anders' anzupacken und Sachen zu machen, die wir bis dato nie probiert hatten.
Der erwähnte typische Humor der Band geht hauptsächlich auf die Crew zurück, die zeitlebens eine total streitlustige, zusammengeschweißte Gemeinschaft war, ihre ganz eigene, lockere Atmosphäre hatte und sich von keinem reinreden ließ. Da war auch nicht selten Alkohol im Spiel, denn der 'typische' Westfale (Definition: raue Schale, kein Kern) taut erst später am Abend auf, lässt dann aber furztrockene Sprüche ab, die mitunter alle Balken verbiegen.
RockTimes: Der Name Grobschnitt geht ja auf ein Foto aus den Kindertagen des 20. Jahrhunderts zurück, das eine Hagener Kappelle Grobschnitt zeigt - gibt es außer dem Foto noch Aufzeichnungen über diese Hagener Musiktruppe?
Eroc: Leider nein. Es existiert nur dieses eine Foto, auf dem Toni Moff Mollos Großvater mit seinen Kumpanen zu sehen ist. Wir wissen noch nicht einmal, ob diese 'Band' regelmäßig Auftritte gab oder vielleicht auch nur auf einer Feier speziell für dieses Foto zusammenkam. Das Bild lässt allerdings irgendwie den Schluss zu, dass die Jungs doch öfters zusammen großen Spaß gehabt und verbreitet haben müssen.
RockTimes: Von Anfang an gab die Gruppe als Autorencredits auf ihren LPs »Alle Titel: Elias Grobschnitt« an, was nahelegt, dass Songs, Lyrics und Arrangements in Gemeinschaftsarbeit entstanden. Wie muss man sich diese gemeinsame Kompositions- und Autorenarbeit vorstellen? Waren die Stücke letztlich Ergebnisse von Jamsessions oder wurde auch am Schreibtisch komponiert?
Eroc: In erster Linie entwickelten sich die Stücke aus Sessions bzw. Darbietungen auf der Bühne. Für die erste Studioaufnahme (The Crew, "He's Around Here", 1969) wurde natürlich alles festgelegt und arrangiert. Allerdings hatten wir dieses Stück vorher auch schon eine gewisse Zeit in unserem Programm. Aber hauptsächlich war 'freies Musizieren' angesagt, da uns das am meisten Spaß machte. Im Übungsraum ebenso, wie auf der Bühne.
Das 'Autorenteam Elias Grobschnitt' existierte tatsächlich insofern, als dass jeder seine Parts an seinem Instrument entwickelte und durchaus auch die Parts der anderen Musiker kritisieren und verbessern durfte. Die grundlegenden Ideen zu den Stücken bei Grobschnitt kamen zumeist von einzelnen Musikern, wie z.B. Volker 'Mist' für "Vater Schmidt" ("Jumbo"), "Silent Movie" ("Illegal") oder auch "Rockpommels Land" verantwortlich zeichnete. Andere Titel wie z.B. "Drummers Dream" oder "Sunny Sundays Sunset" gingen mehr auf mich zurück, während Lupo und Wildschwein mehr Ideengeber für viele andere Stücke waren. Ausgearbeitet wurden die Songs dann überwiegend im Kollektiv. Die Texte stammten von Anfang an von mir. Später, ab dem Album "Jumbo", steuerte Volker dann hin und wieder einen bei. Und noch später, ab "Illegal" kam dann verstärkt Milla Kapolke als Texter mit ins Spiel.
Auf der anderen Seite ist 'Elias Grobschnitt' das GEMA-Pseudonym unseres Gitarristen Lupo, der 1972 als alleiniges Mitglied dieser Organisation beitrat, für unsere Kompositionen und Texte zeichnete und die Tantiemen dann an alle weiter verteilte. Das ersparte den anderen den GEMA-Beitrag und zusätzliche Arbeit. Allerdings ist solch eine Regelung auf Dauer sehr unpraktisch und auch rechtswidrig, denn Urheberrecht ist nicht übertragbar und die permanente Verteilung der Tantiemen durch ein einziges (ehemaliges) Bandmitglied ist nie gesichert, es sei denn, es liegen klare Verträge vor. Damals wussten wir das aber nicht. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft und es juckte uns wenig. Heute sind wir alt, längst keine verschworene Gemeinschaft mehr, einige sind schon gestorben und bald juckt das wohl auch keinen mehr…
RockTimes: Ebenso ausgefeilt wie die Musik war bei Grobschnitt auch die Bühnendramaturgie aus Show, Licht und Theaterelementen. Legendär wurde hier vor allem die 'Söldner-Show' - kannst Du uns einige Showelemente nennen, die Dir besonders ans Herz gewachsen waren und ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern, wie diese mehrmedialen Teile der Show entstanden? Welchen Anteil hattest Du an Planung und Umsetzung dieser Grobschnitt-Shows?
Eroc: Es gab zahlreiche dieser Shows in der Bandgeschichte, wie z.B. die 'Sahara-Show', die 'Ernie-Show' bei "RPL", die 'Chinesen-Show' bei "Coke-Train", die 'Zauberer-Show' zum Konzertanfang, den 'Salzmann', die 'Söldnershow', die 'Balli-Show' und nicht zu vergessen die legendären Einlagen bei "Solar Music". Diese und die meisten anderen wuchsen mit den Jahren in der Band. Am Anfang waren es oft kurze, spontane Späße, die Umbaupausen oder kleine technische Pannen überbrückten. Geriet so eine Einlage besonders witzig, wurde sie natürlich wiederholt. Und kam sie beim Publikum immer wieder gut an, wurde sie nach und nach perfektioniert und weiter ausgebaut.
Die ersten Ideen zu Sketchen entstanden oft spontan durch die Musiker oder auch Roadies. Planungen und Vorschläge für größere Show-Einlagen wurden zumeist am Kaffeetisch von allen Mitgliedern diskutiert und ausgesponnen. Die konkrete Ausführung (Texte, Choreographie, Bandeinspielungen und Musiken) oblag dann mir. Ich fertigte das Konzept in meinem Heimstudio vor, wobei mir nicht selten Toni 'Moff' Mollo zur Seite stand, denn er hatte einen ganz eigenen Humor und wir waren damals bestens befreundet. Die Idee zur 'Salzmann-Show' z.B. entstand am Strand in Dänemark, als wir beide durchs Wasser wateten. Waren meine Tonbandplaybacks fertig, spielte ich sie den anderen vor und erklärte, wie dazu agiert werden sollte. Da konnte dann jeder noch mal seinen Senf dazu geben und danach wurde es eingeprobt.
Ich mag im Nachhinein eigentlich alles, was da so im Laufe der Zeit entstand. Ganz besonders schön finde ich natürlich den von mir gespielten 'alten Zauberer'. Aber auch die 'Balli-Show' mit Toni als dem bekloppten Zahnarzt Dr. Salzmann ist immer wieder spannend gewesen, da Ballermann seine Rolle als Conferencier absolut brilliant spielte und durch die Einbeziehung von Leuten aus dem Publikum stets eine neue Spannung zustande kam. Etwas unterschätzt ist meiner Meinung nach die 'Razzia-Show' als Intro der 83'er Tour, bei der im Hintergrund "Wir wollen sterben" lief. Dieses Spektakel hatte eine fast magische Wirkung, die mir heute noch einen Hühnerkombi bereitet, wenn ich nur die Fotos sehe.
RockTimes: Die nach wie vor beliebtesten Alben der Gruppe sind "Rockpommel's Land" und "Solar Music Live" - sind sie auch Deine Favoriten? Wenn ja, warum - und, wenn nicht, welche Platte ist für Dich persönlich die wichtigste Grobschnitt-Scheibe? Was zeichnet Deine Lieblingsplatte Deiner Meinung nach besonders aus?
Eroc: Diese Frage wird immer wieder gestellt und ich kann und mag sie nicht klar beantworten. Es gab Zeiten, da mochte ich dieses Album lieber und verachtete jenes, und später dann war es genau andersrum. Eine Zeit lang fand ich z.B. "Rockpommel's Land" ganz grausam. Das war mir viel zu 'konstruiert', klang nicht besonders gut auf der Schallplatte und war auch sonst ziemlich kitschig für meinen Geschmack. Den "Ballermann" hörte ich mir sowieso nie an, denn der Sound der Platte war unter aller Sau. Eine Begebenheit von 1974 aus Wildschweins Zimmer beschreibt dies recht treffend: wir bekamen unsere ersten Exemplare dieses Albums und ich traf mich mit Willi zum gemeinsamen Anhören. Als wir den "Ballermann" durch hatten, nahm ich die Scheibe vom Plattenteller und knallte sie auf den Boden, so dass sie in Stücke zersprang. Ich fluchte: »Mit diesem grausigen Schrott will ich absolut nix zu tun haben« und bedauerte lange danach jeden armen Idioten, der das Album bei den Konzerten am Bühnenrand kaufte und signiert haben wollte. Ich hielt die LP für Betrug am Kunden, weil sie so armselig klang und weit jenseits von dem war, was ich mir eigentlich vorgestellt hatte. Über die Produktion des Albums und ihre enormen Probleme habe ich an anderer Stelle ja schon ausführlich berichtet. Jedenfalls hingen die Bruchstücke meines Zornesausbruchs dann viele Jahre eingerahmt an Willis Zimmerwand.
Inzwischen sehe ich "RPL" mit einer gewissen Altersweisheit und merke, wie viele schöne Ideen und Details da drin stecken und wie gelungen die musikalische Ausführung ist. Und nachdem ich den "Ballermann" vor einiger Zeit von den originalen Bändern für CD remastern und endlich besser klingen lassen konnte, verhält es sich damit auch so. Es ist ein wirklich tolles Album.
Sehr gut hat mir eigentlich immer der "Jumbo" gefallen, trotz des auch hier vorherrschenden, etwas schwachen Sounds. "Merry-Go-Round" und "Razzia" waren hingegen immer Favoriten von mir, die von den Fans zum Teil bis heute unterschätzt sind.
RockTimes: Von der ersten LP-Veröffentlichung bis einschließlich "Merry-Go-Round" werden die Alben von Grobschnitt oft dem Progressive Rock zugerechnet - ab "Illegal", erschienen 1981, wandte sich die Gruppe mehr kürzeren, straighteren Rocknummern zu. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Eroc: Nun, der Künstler strebt bekanntlich immer weiter. Die Entwicklung einer Band passiert ja nicht mit den Alben, sondern in erster Linie im Übungsraum und auf den Bühnen, wo man seine Stücke so oft spielt, bis sie einem mitunter zum Hals heraushängen. Nach "Merry-Go-Round" wurde es einfach Zeit für frischen Wind. Begünstigt wurde der auch dadurch, dass der Bassist Milla Kapolke neu in die Band kam. Eine sehr starke, souveräne Persönlichkeit, die diesen Richtungswechsel entscheidend mit prägte. Zudem war inzwischen auch das Selbstbewusstsein der deutschen Bands gewachsen. Die Neue Deutsche Welle stand auf der Schwelle, wir hatten mit "RPL" und den anderen Alben bereits ausgiebig gezeigt, was wir wollten und konnten. Deswegen wurde halt mal umgedacht. "Solar Music" sollte als etwas veränderter Fixpunkt bleiben, "RPL" in der Medley-Version auch, die Stücke aus der Frühzeit hatten wir uns zum Teil echt leid gespielt, folglich wurde neuen Dingen Platz geschaffen, die auch zeitgemäßer eingekleidet wurden.
RockTimes: Das umstrittenste Grobschnitt-Album, an dem Du beteiligt warst, dürfte "Razzia" aus dem Jahre 1983 sein - für viele Fans war der Schritt zu einem wesentlich ruppigeren Gesamtsound, ausschließlich deutschen Texten und die klangliche Nähe zur Neuen Deutschen Welle nicht nachvollziehbar. Unklar blieb für viele auch, ob die NDW-Anteile der Platte parodistischer Natur waren oder man versuchte, auf den Zug der damals neuen Deutschfröhlichkeit aufzuspringen. Kannst Du diese Entwicklung etwas erläutern und welchen künstlerischen Anteil hattest Du an diesem Album?
Eroc: Mein Anteil an "Razzia" war vielleicht 'zu' groß. Es ist ja fast ein Solo-Album von mir. Schon "Illegal" hatte ich zuvor komplett in meinem eigenen Studio aufgenommen und produziert. Und bei "Razzia" kam noch mehr Arbeit auf mich zu: Neben dem Schlagzeug und den meisten Texten übernahm ich auch noch die Keyboards, da bekanntlich unser Organist Volker 'Mist' kurz zuvor ausgeschieden war. Dazu die gesamte Technik zum Aufnehmen, Synchronisieren und Abmischen. Und auf manchen Tracks singe ich sogar, z.B. den 16-fach gedoppelten Chor bei "Wir wollen sterben", das sowieso eine komplette Playback-Arbeit von mir ist, auf die Milla nur den "Pastor" und die Band den Chor "Wir wollen sterben" gesungen hat. Bei "Wir wollen leben" ist es ähnlich. Intro, Synths, E-Drums und Schlagzeug, Guide-Basslinie, sozusagen die gesamte Konzeption fertigte ich vor.
Auf den Zug der neuen Deutschfröhlichkeit aufzuspringen war jedoch niemals unsere Absicht. Die 'Leben/Sterben'-Sache ist eindeutig schwarz gefärbter GS-Humor. Die "Razzia" hatte Milla tatsächlich selbst einmal auf seinem Bauernhof erlebt und mein Text bei "Der alte Freund" bezog sich eindeutig auf Volker 'Mist', der wiederum, als er noch dabei war, die aufkommende NDW tatsächlich favorisierte, was uns allen doch ein wenig gegen den Strich ging.
Ich halte "Razzia" für ein mindestens ebenso wichtiges Album im Reigen der GS-Veröffentlichungen, wie z.B. "Jumbo". Und der Titelsong hat für mich bis heute keinen Funken seiner unglaublich authentischen, bedrohlichen, faszinierenden Stimmung eingebüßt. Das mag zwar zu jener Zeit für viele nicht in ihr gewohntes Grobschnitt-Bild gepasst haben, aber es war und ist ein eigenständiges, ungeheuer wertiges Bild und zieht somit durchaus auch mit "Rockpommel's Land" gleich.
RockTimes: Noch zu Zeiten von Grobschnitt hast Du mehrere Soloalben veröffentlicht - als Soundtüftler und Multiinstrumentalist hast Du Werke eingespielt, die sich grundlegend von Deiner Musik mit Grobschnitt unterschieden, auch wenn manche Sounds und Dein typischer Humor durchaus auch von Deiner Arbeit mit der Band vertraut waren. Wie kam es zu diesen Soloproduktionen und wie wurden diese vor der "Wolkenreise" vom Publikum aufgenommen?
Eroc: Schon lange vor Grobschnitt, bereits Anfang der 60er, hatte ich mit diversen Instrumenten, Klängen und Tonbandcollagen herumexperimentiert. Das waren damals tatsächlich 'Werke', die bis zu einer Stunde dauerten. Ich spielte sie gern Freunden bei einem guten Wein und Rauch per Kopfhörer vor. Das waren dann echte 'Trips' und beliebte Reisen in klangliche Welten. Der "Horrorgoll" auf "Eroc 1" z.B. ist noch ein Überbleibsel davon.
Ich führte ein paar dieser Dinge dann auch mal 1974 dem Labelmanager der Metronome, Günther Körber vor, als der uns besuchen kam. Und der brachte dann die Idee auf den Tisch, dass ich so was durchaus auf LP heraus bringen könnte. Ohne ihn wäre es vielleicht nie zu einem Solo- Eroc auf Platte gekommen.
Wie das Publikum diese Produktionen vor der "Wolkenreise" aufnahm, kann ich nicht sagen, da ich die Stücke ja nie live aufgeführt habe. Somit hatte ich gar kein Publikum. Natürlich gab es Rezensionen und Fanbriefe und Interviews. Manche hoben mich in den Himmel, besonders im Ausland. Andere versuchten, was in die Titel hinein zu interpretieren, was mir nicht besonders passte. Da hielt ich es dann lieber mit Frank Zappa: »Shut Up 'n Play Your Guitar…«
RockTimes: Auf Eroc 3 findet sich schließlich die "Wolkenreise", die ja ein echter Hit wurde und bis heute regelmäßiges Airplay erhält. Das Album, das Du darumherum gestrickt hast, mutet eher wie ein Vorläufer der späteren Grobschnitt-Stories an - hattest Du nicht Angst, die Fans der "Wolkenreise" zu verprellen?
Eroc: Als "Eroc 3" erschien, gab es noch keine Fans der "Wolkenreise". Ich hatte diesen Titel bekanntlich zunächst für unsere 'Söldner-Show' produziert und ihn dann mit aufs Album genommen, weil wiederum die Plattenfirma dahinter stand. Warum dieses Album etwas 'zusammengestrickt' wirkt, wird sehr schön erläutert im Booklet der 2004 bei Universal erfolgten Wiederveröffentlichung auf CD. Ich darf auszugsweise zitieren:
»"Eroc 3" war ein Kompromiss. Ich hatte zu dieser Zeit kaum Zeit für eigene Dinge, denn Grobschnitt wurde gegen Ende der 70er richtig stressig. Lupo jagte uns Dutzende Male im Jahr landauf landab durch Jugendheime, Schützen- und Stadthallen und Festzelte. Alben wie "Rockpommel's Land" und "Solar Music Live" entstanden. Die Technik wurde immer umfangreicher, ich hockte wochenlang an Texten und Showplaybacks und täglich wurde oft bis zu zehn Stunden geprobt.
Doch der Zufall kam mir zur Hilfe: Werner Thiele lieh mir das Akkordeon seines Vaters, Lupo seine 12-saitige Ovation Breadwinner, Mist einen Welson Synthex und Schweinchen hatte für 135,- Mark eine akustische Gitarre Marke 'Fürstenberg' auf Tasche, denn es hieß wieder: "Erke mach' mal…". Ich sollte die Söldnershow anfertigen, das bedeutete endlose Nachtschichten in meiner Dachbude. Und dann passierte es: Paulines Vater hörte als erster meine gerade fertig gestellte Anfangsmusik für das Bühnenstück. Als Schlesier war ihm das Akkordeon durchaus vertraut, doch als diese Musik verklungen war, stand er wie angewurzelt da und sagte nur: "Damit wirst du berühmt."
Ich war auch ganz glücklich mit dem Liedchen, schaute verträumt aus meinem Dachfenster, nannte es "Wolkenkönigs Wunderreise" und präsentierte es dann tags darauf stolz bei der Probe. Und da kam dann die übliche Brause der lieben Mitstreiter: "Was willste denn mit der Quetschkommode? Spielste jetzt auch noch auf Hochzeiten?" Nun, die westfälische Mentalität (raue Schale, kein Kern) galt ja bekanntlich ganz erheblich für Grobschnitt, doch meine slawische Ahnentafel bot dem stets effizient Paroli und so wurde das Instrumental schließlich akzeptiert. Und Toni mochte es sowieso von Anfang an.
Als der Titel später die Shows eröffnete, klatschte stets der ganze Saal mit, die Musiker nickten zustimmend und irgendwann sagte Wildschwein: "Nimm' das doch mit auf dein nächstes Solo-Album". Dasselbe meinten dann auch die Leute von der Plattenfirma, die unsere Shows besuchten. Ich wollte aber nicht. Schließlich war ich der (bissige) Drummer von Grobschnitt und kein (netter) Opa mit Ziehharmonika. Doch es wurde penetrant: irgendwann klopfte während einer 'Morgenandacht' jemand von außen an mein Klofenster; ein Vertreter der Industrie war angereist und wollte unbedingt mit mir "über das Instrumentalstück reden".
Okay, weiße Fahne - ich warf alles, was ich bis dahin fertig hatte, auf einen Haufen, kramte noch ein paar Erinnerungen aus der musikalischen Vergangenheit hervor und setzte in einer Nacht- und Nebelaktion "Eroc 3" zusammen. Nicht ahnend, dass diese LP zehnmal mehr als jede andere von mir verkaufen und die "Wunderreise des Wolkenkönigs" (später vereinfacht zu "Wolkenreise") ein Tempo entwickeln sollte, welches meine Laufbahn in eine völlig andere Richtung drängte. Die Industrie stürzte sich auf den Titel. Er kam in die Charts, lief überall im Radio. Ich wurde zu Interviews in Funk und Fernsehen eingeladen und - man höre und staune - sogar die Bravo meldete sich an. Ob Morgen- oder Mittagsmagazin, ob Frühstücksshow oder Drachenflieger, die "Wolkenreise" ging ab und ich sah staunend zu. Millionen kannten plötzlich das Stück, von denen 90% noch nie etwas von Eroc und Grobschnitt gehört hatten, einschließlich der Moderatoren, die nicht selten "die Gruppe Eroc" ankündigten.
Ich nehme an, bei vielen gab es dann lange Gesichter, als sie sich wegen der "Wolkenreise" die LP "Eroc 3" gekauft hatten, ihnen vorne drauf mein Konterfei aus einer nächtlichen Vampir-Session entgegen glänzte und als erstes 'Kasi' Klassen von unserer Happening-Band Wutpickel sein "Ride Up" schmetterte. Ich hatte das befürchtet und deshalb einige Erläuterungen zu dem etwas ungewöhnlichen Konzept (die Aufarbeitung meiner damaligen musikalischen Gegenwart und Vergangenheit) verfasst.«
RockTimes: Nach Deinem Abschied von Grobschnitt erschien noch Dein Soloalbum "Changing Skies" und die Kollaboration mit dem experimentellen Gitarristen Hans Reichel, "Kino" - danach war es lange Zeit still um den Musiker Eroc… woran lag das?
Eroc: So still wurde es gar nicht. "Changing Skies" und "Kino" (1986 und 1987) entstanden im Woodhouse-Studio, das ich 1983 mit meinem Partner Siggi Bemm gegründet hatte. Dort arbeitete ich seitdem als Producer und Engineer und auch als Studiomusiker. Durch meine vielen Produktionen z.B. mit Phillip Boa & The Voodooclub (1987 bis 1992), Zoff, den Brothers, Christian Hound, Natty U, Everon, dem Ronsdorfer Rockprojekt und vielen anderen bin ich auch als Schlagzeuger, Keyboarder und Sounddesigner auf zahlreichen Alben anderer Bands zu hören.
Durch meine Zusammenarbeit mit Farfarello in den 90ern kam ich dann auch mit dem Bassisten Urs Fuchs zusammen, mit dem zusammen ich 1998 das Album "Eurosonic Experiences" aufnahm und anschließend zwei Jahre nacheinander auf dem gleichnamigen Festival in Schweden live auftrat. Dass es nicht mehr Eroc-Soloalben wurden, liegt zum einen daran, dass mir die Zeit dazu fehlte und mich die Zusammenarbeit mit anderen Kollegen und die Studioarbeit mehr faszinierte. Zum anderen verlor ich auch etwas die Lust an Solo-Projekten, denn ich war doch ziemlich enttäuscht, dass meine fünfte LP "Changing Skies", die ich für meine ausgereifteste halte, und auch die verrückte "Kino"-Produktion mit Hans Reichel sozusagen kaum Beachtung fanden. Dass das in erster Linie am Missmanagement der Plattenfirmen lag, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht.
RockTimes: Als Soundtüftler hast Du auch viele Produktionen anderer Künstler im Studio betreut - die Liste reicht von den "Brothers über die Inchtobogtables, Philipp Boa und Zoff bis hin zu Tic Tac Toe. An welche Studiojobs denkst Du sehr gerne zurück, an welche eher mit Grausen?
Eroc: Man kann und darf im Studio nicht 'mit Grausen' arbeiten. Dann kommt nix dabei raus und alle rennen schließlich genervt auseinander. Ich habe immer die nötige Flexibilität, Toleranz und positive Grundstimmung an den Tag gelegt, um mit jeder Band und jeder Produktion im wahrsten Sinne des Wortes 'fertig' zu werden. Die langen Jahre bei Grobschnitt waren hierfür eine gute Schule. Natürlich war z.B. Phillip Boa weithin als Querkopf und schwieriger Typ verschrien. Und wir haben uns damals auch weidlichst gefetzt und danach wieder zusammengerauft bei unseren Produktionen. Trotzdem, oder wahrscheinlich auch gerade deshalb haben wir in den Jahren unserer Zusammenarbeit die besten Produktionen in Boas gesamter Laufbahn geschaffen, wie er heute selbst sagt. Hans Reichel galt immer als totaler Eigenbrötler und seiner Zeit sehr weit voraus. Mit ihm habe ich tatsächlich vier geschlagene Jahre an unserem Album "Kino" gebastelt, gelacht und gestritten. Und heraus kam dabei eines der verrücktesten und interessantesten Werke der neueren deutschen Musikgeschichte. Vor Tic Tac Toe hatte man mich gewarnt. Doch als die Mädels dann auf der TV-Präsentation ganz lieb eine Autogrammkarte extra für meine Tochter Roxy (damals gerade 7 und absolut NICHT imstande, zu verstehen, was der Titel "Ich würd' mich ficken" bedeutet) signierten, war alles klar.
Ich denke an keine einzige Studioproduktion in meinem Leben ungern zurück. Wirklich jede hatte ihre spezielle Atmo, ihren speziellen Stress und ihren ganz eigenen Humor. Und am Ende hatten alle stets dieses tolle Glücksgefühl, dass man fertig war und was absolut Tolles hingelegt hatte.
RockTimes: Nach dem Ende von Grobschnitt hast Du Dich seit den neunziger Jahren auch als Chronist der Gruppe verstanden und die Reihen "Die Grobschnitt-Story" und "Silver Mint Records" lanciert, in denen Du jede Menge hervorragend aufgearbeiteter Livetapes veröffentlichst. Die ersten beiden Alben der Grobschnitt Story wurden gerade vom Label MiG wiederveröffentlicht.
Kannst Du etwas über die Konzeption der Reihen verraten und werden auch weitere "Story"-CDs bei MiG wiederveröffentlicht? Gibt es vielleicht sogar eine Fortsetzung der Serie?
Eroc: Die GS-Story ist ja jetzt mit Teil 0 (Kapelle Elias Grobschnitt)
bei MIG-Music fortgesetzt worden. Und auch die restlichen Teile werden mit neuen Booklets und klanglich perfekt demnächst auf den Markt kommen. Und ich denke gerade an eine weitere, sehr interessante Doppel-CD. Vielleicht bringe ich in nicht allzu ferner Zukunft auch meine "SMR"-Serie, die bisher nur für den engeren Fankreis gedacht ist, teilweise in der GS-Story unter. Zudem arbeite ich an einer WebSite, die unter der URL grobschnittstory.de dann die 'Geschichte der Geschichte' vorstellt, bündelt und auf dem aktuellsten Stand hält. Dort wird man auch Soundbeispiele und Fotos herunterladen sowie alle Ausgaben der GS-Story kaufen können. Ich hoffe, dass ich das neben all meiner Arbeit noch in diesem Jahr schaffe.
RockTimes: Den wohl größten Teil Deiner Arbeit macht heutzutage wohl das Remastern von Produktionen für Back-Katalog-Spezialisten der Branche wie Repertoire Records und MiG aus. Wie beurteilen die Künstler, die Du nachbearbeitest, Deine Arbeit? Gab es da auch schon mal Stress? Und gibt es Musik, die Du lieber remasterst als andere? Was empfindest Du als besondere Herausforderung in diesem Tätigkeitsbereich?
Eroc: Das Remastern älterer Aufnahmen und Produktionen ist für mich eine der schönsten Tätigkeiten. Zum größten Teil bin ich ja mit den Songs aufgewachsen, denen ich nun das optimale Soundgewand verleihen darf. Nummern aus den 60ern und 70ern, die für mich immer schon zu den besten der Rockmusik gehörten, landen heute auf meinem Studiotisch und sind wie alte Freunde, mit denen man einen neuen Weg gehen kann. Stress gibt es dabei nur so viel, wie man zulässt.
Natürlich - wenn ich aus alten Schellackplatten von 1926 die Knackser einzeln per Hand heraus feilen muss, dauert das schon mal zwei bis drei Tage pro Song. Man kann das dann als Stress oder Mühsal sehen und sich selbst nerven, man kann es aber auch professionell und mit ruhiger Hand als Entspannung und kreatives Arbeiten werten. Ich bevorzuge Letzteres.
Resonanzen von Musikern und Producern, deren frühere Arbeiten ich aufnorde, gibt es zur Genüge. 'Alte' Musiker wie Chris Dreja ( The Yardbirds), Holly Johnsson ( Frankie Goes To Hollywood), The Pretty Things, Alvin Lee, Achim Reichel und viele andere meldeten sich bei mir schon telefonisch oder per Mail, weil sie begeistert waren von meiner Arbeit an ihren Produktionen. Die Band Jade Warrior z.B. hörte eines Tagen ihre fünf von mir remasterten alten Alben und beschloss spontan, sich wieder neu zu formieren. Die aktuelle Produktion von ihnen ("Now") habe ich dann auch noch etwas optimieren können, obwohl sie der Mixer von Pink Floyd schon sehr gut vorgelegt hatte. Sänger Leo Sayer, bekannt aus den 80ern, bestellte mal beim Label je 20 Exemplare seiner von mir bearbeiteten Alben mit dem Hinweis, die wolle er nun an alle seine früheren Produzenten und Studio-Engineers schicken mit dem Vermerk »so hätten meine Sachen schon immer klingen müssen«. Das könnte ich seitenlang weiter führen, aber die eigene Lobhudelei ist nie so mein Ding gewesen. Es ist einfach nur ein schönes Gefühl, wenn ich anderen Kollegen weiter helfen kann.
Eine kleine Anekdote vielleicht, die mein Herz ganz besonders berührt hat: Für Repertoire hatte ich vor ein paar Jahren das Lebenswerk von Heinz remastered ( Heinz Burt, in den frühen 60ern legendärer Bassist der Tornados, später bekannt durch seine Rockabilly Produktionen und den Hit "Just Like Eddie"). Als die Doppel-CD fertig war, schickte die Firma auch ein Exemplar zu Heinz nach England, der dort in einem kleinen Ort an der Küste lebte. Kurze Zeit später kam eine Mitteilung: Er habe sich die CD sehr genau und intensiv angehört. Danach habe er seine Sekretärin gebeten, ihn mit seinem Rollstuhl an den Strand zu schieben ( Heinz litt an multipler Sklerose). Dort habe er ein paar Stunden gesessen und schweigend und glücklich über das Meer geschaut. Drei Monate danach ist er gestorben…
RockTimes: Auch der Backkatalog von Grobschnitt ist derzeit nur sehr lückenhaft auf CD erhältlich, manche Alben sind gar noch nie auf CD erschienen - gibt es diesbezüglich Hoffnung für die nähere Zukunft?
Eroc: Es fing 2008/2009 alles sehr gut an. Die Firma SPV wurde von Universal Music, bei der ja die Rechte der meisten GS- und Eroc-Alben liegen, als exklusiver Vertriebspartner engagiert. Bei SPV saßen sehr fähige Köpfe wie z.B. Ecki Stieg, Wilfried Pinnau oder auch der Chef Manfred Schütz, die die Chance erkannten und begannen, die Alben von der Gestaltung und vom Sound her optimal überarbeiten zu lassen. Für die Klangbearbeitung engagierte man mich und über Universal kam ich an die originalen analogen Masterbänder aller Alben heran, was für ein optimales Remastering unabdingbar ist. Bei Universal hatte sich bis dato in Sachen Reissues wenig getan, aber nun kam frischer Wind in die Sache, wie die hervorragenden Reissues z.B. von "Ballermann", "Solar Music Live", "Rockpommel's Land" oder auch der Eroc-Alben und des neuen Samplers "Wolkenreise" genauso bewiesen, wie auch andere Wiederveröffentlichungen von Jane, Frumpy, Atlantis oder Guru Guru, die ich bearbeitet habe.
Leider musste SPV dann bekanntlich im Sommer 2009 in Insolvenz gehen und die Zusammenarbeit mit Universal zerbrach. Alle angeleierten Wiederveröffentlichungen wurden dadurch Geschichte. Die ehemaligen SPV-Leute Schütz, Stieg, Pinnau und andere machen zwar inzwischen MIG-Music, aber eine Zusammenarbeit mit Universal gibt es nicht mehr und die Rechte und Pläne für Eroc und Grobschnitt und viele andere Krautbands liegen nun wieder bei Universal, die das künftig alles allein handhaben wollen. Dem sehe ich jedoch skeptisch entgegen, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass ein so großer Konzern nicht unbedingt imstande ist, solche Dinge produkteffektiv zu betreuen. Es fehlen zumeist die Leute und die wirklich kreativen Ideen dafür.
RockTimes: Über welche demnächst erscheinenden Werke aus Deiner Arbeit als Remasterer können wir uns jetzt schon freuen?
Eroc: Universal veröffentlicht gerade die erste LP von Grobschnitt auf Vinyl. Die CD soll dann später folgen. Außerdem ist dort das Remastering eines größeren Teils der Jane-Alben angekündigt. Achim Reichel möchte endlich seine "A&R Machines" von mir für CD bearbeitet haben. Daneben sind momentan diverse 'daily'-Bands hier am Start wie Varius Coloribus, Heavenfall, Johnboy, Killing Tofu, Emerald Edge, Erkberg Trio, Wolverine und sogar der Dortmunder Dance-Tracks Sampler 2010. Für Repertoire habe ich gerade (wieder) Magna Carta und dann zwei Alben von Warhorse bearbeitet, deren Namen ich vorher noch nie gehört habe. Das ist eine Art Vorläuferband von Deep Purple. Phillip Boa will in Kürze zwei weitere Alben aus unserer gemeinsamen Zeit remastern lassen. Für die Meditationsserien von Neptun Media mache ich gerade drei CDs mit Walgesängen und Vogelstimmen, die ich auch zusammenstellen muss. Ich arbeite zudem an der Restaurierung aller Liveaufnahmen der Band Ertlif (Schweiz) aus den 70ern, einem Festivalmitschnitt von 2009 von Saitenwind und MIG hat mir letzte Woche was von Sting und Police angekündigt, falls das klappt. Es wird weiterhin sehr, sehr viel kommen und es bleibt ungeheuer spannend.
RockTimes: Wofür schlägt Dein Herz mehr: Mastern oder Musizieren?
Eroc: Da ich lange nicht mehr aktiv musiziert und mich vehement in das Mastering hinein gekniet habe, war ich dieser Arbeit in den letzten 10 Jahren regelrecht verfallen. Nun ergab es sich aber im Januar 2010, dass mich eine befreundete Band, die Brothers aus Hagen, denen ich in den 80ern ein wenig auf die Beine geholfen hatte, fragte, ob ich anlässlich ihres 30-jährigen Jubiläums Lust hätte, ein paar Songs mit ihnen zu spielen. Das Ganze sollte im Kultopia stattfinden, einem klassischen Hagener Jugendheim, in dem wir mit der Crew bereits in den 60ern den Saal zum Platzen gebracht hatten.
Nach einigem Hin und Her fasste ich den Entschluss, mich nach 27 Jahren Abstinenz doch mal wieder öffentlich am Schlagzeug zu zeigen. Und das an diesem 'legendären' Platz, wo ich vor 42 Jahren zum letzten Mal Songs wie "Born To Be Wild" ( Steppenwolf) oder "White Room" und "Crossroads" ( Cream) getrommelt hatte, die bei der Crew immer die absoluten Renner waren. Ich schloss mich also für vier Tage mit einem kleinen E-Drum Set in meinem Schlafzimmer ein und probte mit Kopfhörern diese Songs.
Als ich dann kurz vor dem Auftritt auf der Bühne hinter das richtige Schlagzeug kletterte, packte es mich sofort. Das Gefühl, der Sound, das 'Reiten' auf den Trommeln - es war, als sei gar keine Pause dazwischen und meinem letzten Gig mit Grobschnitt gewesen. Wir spielten die Songs ein- zweimal durch und sie klappten sofort auf Anhieb. Der Auftritt war dann das Größte. Ich gab 150 % und der Saal tobte. Anschließend kam meine Tochter hinter die Bühne und schwärmte: »Papa, du hast glatt 40 Jahre jünger ausgesehen«. Ich konnte nur sagen: »So habe ich mich auch gefühlt«. Es war wahnsinnig toll und an diesem Abend schlug mein Herz nur fürs Musizieren. Das Mastering war völlig vergessen. Das ist aber auch eine Eigenschaft von mir: Bis ich was mache, kann es manchmal lange dauern. Aber wenn ich es dann mache, bin ich mit Herz und Seele total dabei…
RockTimes: Sind weitere Aktivitäten als Livemusiker für die nähere Zukunft angedacht? Wie steht es um zukünftige Soloproduktionen?
Eroc: Ich denke, von mir aus folgen bis auf weiteres keine Aktivitäten in Richtung Live-Auftritte. Dazu habe ich viel zu viel Arbeit mit dem Masteringstudio. Wenn aber einer daher kommt und mich anstößt, dann kann es durchaus sein, dass ich wieder einwillige. Ähnlich ist es mit den Soloprojekten. Ich habe alle meine Instrumente hier, auch die alte Analogtechnik. Alles bestens gehütet und gepflegt und sofort einsatzbereit. Aber da ich ungeheuer viel zum Mastern bekomme und dies auch tun muss, denn hier ist noch ein ganzer Berg Schulden abzubauen, werde ich vorerst keine Zeit für dieses Hobby finden. Ich verliere es aber ganz bestimmt nicht aus den Augen…
RockTimes: Zu guter Letzt: Welche Musik hörst Du als jemand, der die Musikwelt aus nahezu allen Perspektiven kennt, selbst besonders gerne?
Eroc: Das kommt immer auf meine jeweilige Stimmung an. Und auch wiederum auf gewisse Anstöße. Wenn ich wach werden will, muss es Slipknot sein. Oder Korn. Oder auch Manson. Und gerne auch Nickelback. Wenn ich zuhören will, bevorzuge ich im Moment Myavi mit seinen unglaublichen Kamikaze-Gitarren. Auf den hat mich meine Tochter gebracht. Wenn ich sentimental bin, sind es oft die Eagles oder alte und neue Countrysongs. Und wenn ich geniales Können bewundern will, dann ist es Maria Callas oder die Musiker und Big Bands der 40er, von denen ich ja auch schon viele bearbeitet habe.
Ich habe in den letzten 10 bis 12 Jahren so viel verschiedene Musik in meinem Masteringstudio unter den Fingern und vor den Ohren gehabt, dass mir ein ungeheuer breites Spektrum ermöglicht wurde. Weit über 1.000 'amtliche' CD-Produktionen sind es bisher, dazu noch gut 300 bis 400 'mal eben' Dinger. Also gut und gerne 20.000 Musikstücke der unterschiedlichsten Genres, die ich aufpoliert habe. Und jedes davon im Schnitt zwischen fünf- und zehnmal durchgehört bei der Arbeit.
Da kristallisiert sich anschließend nicht selten ein Favorit heraus, der sehr angenehm und mitunter sehr nötig ist: die totale Stille…
RockTimes: Ich bedanke mich sehr herzlich für dieses Interview und bin schon sehr gespannt, was in nächster Zeit so alles von Dir zu erwarten ist!
Wir danken Elisabeth Richter von MIG Music, die uns das Gespräch mit Eroc ermöglicht hat.
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