Even Horses / Same
Same Spielzeit: 76:30
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2008
Stil: Prog Rock

Review vom 22.02.2009


Boris Theobald
Even Horses gibt es schon seit 2002. Ein paar Lenze später versuchen sie nun mit ihrem ersten Album in der ziemlich überfrachteten Welt progressiver Rockmusik ihre Duftmarke zu setzen. Neuer Name - neues Glück! Oder, wie es zu der Prog-Branche besser passen würde... neues Unglück? Mit Prog Rock Geld zu verdienen ist ungefähr so wahrscheinlich, wie Dosen-Prosecco auf 'nem Manowar-Konzert.
Doch genau hier sammeln Even Horses bei mir ihren ersten Pluspunkt. Denn die fünf Jungs aus der Düsseldorfer Gegend mit importiertem Sänger aus Gelsenkirchen begrüßen dieses Schicksal mit einer köstlichen Portion Selbstironie. In der Band-History auf ihrer Homepage zeigen sie sich bewusst beratungsresistent gegen die designierte chronische kommerzielle Erfolglosigkeit. Und sie wehren sich gegen zu viel Ernst und Verbissenheit im Prog-Bereich, spielen dabei auch auf Spock's Beard-Aussteiger Neal Morse an, wenn sie betonen, dass keinem von ihnen bislang beim Joggen eine Eingebung des Allmächtigen widerfuhr:
»Fairerweise sollte man anmerken, dass dies damit zusammen hängen könnte, dass Even Horses statt zu joggen lieber in muffigen Kellerräumen abhängen, ungesunde Nahrung zu sich nehmen und merkwürdig arrangierte Songs zusammenschustern.«
Damit wäre ich bei Pluspunkt Nummer zwei. Nein, nicht die ungesunde Nahrung - ich propagiere selbstredend eine gesunde Ernährung, zum Beispiel durch Mafiatorten mit vergorenem Beerensaft und türkische Cheeseburger formerly known as Kebab mit Schafskäse. Ich meine natürlich das Zusammenschustern dieser Songs, die gar nicht so merkwürdig zusammengeschustert wirken, wenn man diesem Rock-Subgenre der notorischen Rhythmus-Zähler nicht all zu abgeneigt gegenüber steht.
All zu heftig treiben Even Horses dieses Unwesen aber gar nicht. Im Vordergrund stehen keine nobelpreisverdächtigen mathematisch-musikalischen Formeln und keine abgehobenen Instrumental-Inhumanitäten, sondern - schlicht und einfach - gute Songs! Diese reichen von sehr eingängigen Refrains wie im kompakten "Mojave Knew", bis hin zum 12:46 Minuten langen Juwel "Oblivion", das seine Spannung komplex, aber sinnig und stringent mit lange reifender Entwicklung und diversen Parts aufbaut, die mehrfach und in verschiedenen Entwicklungsstadien des Stücks wieder auftauchen, mal zart, mal hart.
Wie viele Schlenker die Spannungsbögen auch bei einem Song machen und beim andern nicht - eines überzeugt mich durchweg: die Musik ist niemals overplayed. Die Stimmungen, die Even Horses auf ihrem Album vermitteln, sind feinsinnig und sensibel. Das gilt nicht nur für die zahlreich vorhandenen ruhigen Momente, sondern gerade auch dann, wenn die Instrumentalfraktion wie in fast jedem Song Härte und Dramatik in Richtung Heavy Metal anzieht: Die Dosis stimmt immerzu und passt zur Entwicklung des Songs, ob lyrisches Piano oder harte Gitarren. Keine Methode Holzhammer - das Songwriting steht im Vordergrund.
Und dieses scheint die intuitiven, emotionalen Gesangs-Lines von Everon, die Sinnlichkeit von Marillion und die melodische Vertracktheit von Enchants Debüt-Werk "A Blueprint Of The World" miteinander zu verbinden. Dabei wagt man sich jedoch auch in 'härtere' Gefilde und erinnert hin und wieder an Acts wie Sun Caged oder Ice Age, die eher 'metal' geschimpft werden, um hier einmal das Schubladendenken zu bemühen, dem sich Even Horses ganz wunderbar zu entziehen verstehen. Wie im genialen Opener "Nemesis" können sich an sanfte und dennoch spannungsgeladene Clean-Gitarren-Passagen im Stile von Sieges Evens Zauber-Platte "A Sense Of Change" im nächsten Moment harte und halsbrecherische E-Gitarren-Virtuositäten mit intensiven, dichten Atmosphären anschließen.
Der Wechsel ist Programm, Eintönigkeit verpönt. Eine ausgesprochen große Bandbreite an Spannungslevels fügt sich inklusive der Proggie-seitig so heiß geliebten Rhythmuswechsel zu stimmigen Kompositionen zusammen. Wer's besonders vertrackt liebt, bekommt mit dem Zehnminüter "Brazen Lies" einen tollen Rausschmeißer geliefert, eine ziemlich imposante emotionale Achterbahnfahrt. Hier, ganz am Schluss, zeigt Sänger Martin Garden für mich seine stärkste Leistung. In besonders expressiven Momenten erinnert mich sein Gesang an jenen von Ian Parry (Ex-Elegy) - er ist aber vielseitiger und packt für die ganz sinnlichen Momente auch eine rührende Kopfstimme aus. Einen bemerkenswerten Auftritt hat er auch bei der anrührenden, nahezu musicalhaften Powerballade "Crossroads And Deadends" - Song und Gesang klingen stark (und das in mehrfachem Wortsinn) nach Styx' Ex-Broadway-Barde Dennis DeYoung.
Wer was zum Meckern braucht: 'modern' klingen Even Horses nicht, überhaupt nicht. Dafür erinnert mich aber so manches (aus heutiger Sicht unmodernerweise) an Rush zu "Presto"- und "Roll The Bones"-Zeiten um 1990, aber auch an Saga: Die Detailverliebtheit des markanten Bassspiels zum Beispiel, die songdienliche Mid Tempo-Melodiösität der Gitarrensoli, vor allem aber die ziemlich aktiven Keyboards. Das kommt natürlich beim Instrumentalstück des Albums bestens zur Geltung... ich mache mir immer einen Spaß daraus, schon vor dem Hören allein an der Tracklist die Instrumentals zu erkennen. In diesem Fall war es nicht schwer - "U.S.C.H.I." - "Unexpected Sounds Change Human Intelligence".
Bleiben noch die Texte zu loben, die sich bodenständig um menschliche Probleme und Sehnsüchte drehen, wie unerfüllte Liebe oder revue passierende Lebensentscheidungen. Ganz irdische Gedanken, die gar nicht in pseudo-philosophische Sphären abdriften, sondern trotz poetischer Schönheit nachvollziehbar bleiben und den Songs Tiefsinn verleihen. Ja, es wird nicht nur pro forma gesungen, um kein rein instrumentales Prog-Album zu haben - es gibt tatsächlich hörenswerte Themen zu besingen! Nach 76:30 Minuten sympathischer, intelligenter handgemachter Mucke bleibt mir nur zu wünschen, dass die Band Even Horses genau so uneinsichtig bleibt und künftig noch mehr dieser kommerziellen Flops abliefert!
Line-up:
Martin Garden (vocals)
Marc Imann (guitar)
Thomas Janzon (bass, chapman bass stick)
Stefan Nawrocki (keyboard)
Olav Quick (drums)
Tracklist
01:Nemesis (6:32)
02:Holy Sun (8:05)
03:Stranded (6:40)
04:Out There (8:00)
05:Another First Time (6:13)
06:U.S.C.H.I. (6:40)
07:Oblivion (12:46)
08:Crossroads And Deadends (6:37)
09:Mojave Knew (4:34)
10:Brazen Lies (10:15)
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