Bei der vierten Auflage des Festivals gab es mal wieder jede Menge klasse Musik, eine tolle Atmosphäre und überhaupt viel zu entdecken.
Variety is the spice of life
...oder zu deutsch 'Vielfalt ist die Würze des Lebens'. Das steht zwar nirgendwo, aber so könnte man das Motto oder das Konzept des "Eier mit Speck"-Festivals bezeichnen. Dass ein Abstecher in die knapp 70.000 Einwohner große Kreisstadt Viersen am südlichen Niederrhein Ende Juli absolut lohnenswert ist, hat sich nicht nur bei den Zuschauern rumgesprochen. Kamen im letzten Jahr bereits Gäste aus komplett NRW nach Viersen, so staunte ich dieses Jahr nicht schlecht, als auf dem großen Parkplatz Kennzeichen aus Karlsruhe, Kassel, Ratzeburg oder aus dem ostfriesischen Aurich zu finden waren. Aber auch bei den Bands scheint sich das "EmS" rumgesprochen zu haben, denn mit Dog Eat Dog und Therapy? hatte man direkt zwei relativ namhafte Zugpferde am Start.
Böse Zungen mögen jetzt behaupten, dass beide Bands ihren Zenit Mitte der 90er längst überschritten hätten, aber wer in Viersen dabei war, wird mir Recht geben: Totaler Unsinn.
Im untenstehenden Bericht beziehe ich mich ausschließlich auf den Samstag. Der Freitag war mit u.a. Real McKenzies oder Adam Bomb auch gut bestückt. Gewinner war aber sicher die noch relativ unbekannte finnische Band Disco Ensemble, die vor über 2.000 Leuten am späten Freitag Abend sehr zu begeistern wussten. Disco Ensemble haben eine hervorragende Visitenkarte abgegeben und als ich Samstag Mittag auf dem Gelände eintraf, schwärmten noch viele Besucher von der Band.
Der Sonntag war u.a. mit der Ska-Legende Mark Foggos Skasters , den Dänen Düne und der deutschen Punk Rock-Band Muff Potter ebenfalls bestens besetzt. Den krönenden Abschluss am Sonntag setzten dann aber Dog Eat Dog. Nach drei Festivaltagen schafften es die US-Amerikaner nochmals, das ganze Volk zu mobilisieren und von dem Auftritt sprach man auch noch Tage später in allerhöchsten Tönen.
Good day sunshine - Der Samstag
Festivals sind immer eine Gleichung mit mehreren Unbekannten. Wie wird das
Wetter? Jede noch so tolle Band hat bei Dauerregen einfach schlechtere Karten als bei Sonnenschein. Zweite Unbekannte ist das Publikum. Wie sind die Zuschauer drauf und wie viele Leute sind alleine für eine Band da und ignorieren den Rest komplett? Die letzte Unbekannte sind dann immer noch die Bands, da es gerade bei Festivals extrem wichtig ist, ob und wie kommunikativ eine Gruppe ist, da man ja doch vor vielen Leuten spielt, die einen nicht kennen. Das alles zusammen macht dann im optimalen Falle ein bunte Mischung aus und genau so war es auch an diesem Samstag in Viersen. Das Wetter war ab 16:00 Uhr sonnig und trocken, die Zuschauer waren absolut allgemein interessiert und nahmen fast alle Bands begeistert auf. Davon ließen sich diese dann natürlich auch anstecken und so entstehen schließlich diese ganz besonderen Momente, die man einfach nur auf Festivals
erleben kann.
Als besonderen Service verteilten freiwillige Helfer am Samstag Morgen noch Stroh und Rindenmulch, damit der Rasen
durch die erwarteten Besucher nicht völlig zermatscht wurde. Diese Aktion stellte sich im Nachhinein als absolut klasse heraus, denn trotz des beständig guten Wetter hatte der Boden doch schon sehr unter den Gästen des Vortages
gelitten und so war die Situation doch ganz erträglich.
Wer covert schon Eddy Grant?
Zehn Bands traten am Samstag zwischen 12:30 Uhr und 01:00 Uhr auf. Meine erste Truppe des Tages war die dritte im Ablauf, die Kölner Techno-Rocker She's All That. Ich hatte vorher noch nie etwas von der Band gehört, aber mit ihrem an die alten Prodigy erinnernden Sound, kam das Quartett bestens beim Publikum an. Die mit Gummimasken verhüllten Musiker brachten ihre Mischung aus lauten Gitarren und harten Beats sehr gut rüber. Herausragend war die tolle Coverversion des alten Eddy Grant-Hits "Electric Avenue". Schon mal ein äußerst gelungener Start in meinem Festivaltag.
Ein bisschen Gras muss sein
Letztes Jahr an dieser Stelle hatten die Veranstalter Kapelle Petra gesetzt, die mit ihrem
kranken Humor das Publikum schon am frühen Nachmittag richtig aus der Reserve lockten. Auch in diesem Jahr folgte nun ein schräger Vogel in Form von Buttermaker. Das Outfit war an den gleichnamigen Trainer der alten Kinderserie "Die Bären sind los" angelegt und zu einer Art Halbplayback (Gesang und Gitarre live, Drums, Keyboard und Bass vom Band) legte Buttermaker dann mal richtig los. Neben einigen Rock'n'Roll-Standards wie Dions "Runaway" oder "Twist And Shout" butterte (haha, tolles Wortspiel) der Alleinunterhalter aus Bielefeld auch eigene Songs ins Set ein.
'Szenenhits' wie "Heut ist wieder Samstag" waren mir bisher noch verschlossen, aber spätestens beim zweiten Refrain sangen alle mit. Dazu gab es noch eine Hand voll umgetextete deutsche Schlager wie "Ein bisschen Gras muss sein" oder das abschließende "Schön ist es schizophren zu sein". Klingt vielleicht für Außenstehende extrem debil
und dämlich, aber als Nachmittagskünstler auf dem "Eier mit Speck" war er genau die richtige Wahl. Extrem mutig und extrem unterhaltsam oder, getreu Buttermakers Motto, 'Ultimativ Alternativ'.
Das hier ist nicht Hamburg
Nach Buttermaker hatte ich mich schon auf die Hamburger Kiezrocker von Sixxxten gefreut, aber trotz gutem Sound und wunderbarem Sonnenschein wollte der Funke nicht überspringen. Ihr 08/15-Rotz Rock war aber auch zu vorhersehbar und mit Ansagen wie »Hey, Viersen- was ist los mit euch? Es ist Samstag Nachmittag, die Sonne scheint und es gibt absolut keinen Grund nicht besoffen zu sein und auszuflippen« stieß man eher auf bemitleidenswerte Blicke als auf Party-Enthusiasmus. Viersen ist nun mal nicht Hamburg und mit pseudocooler St. Pauli-Straßen-Attitüde war hier an dem Tag nichts zu reißen.
Wo geht´s ins All?
Was danach folgte, kann ich ganz schwer in Worte fassen und so etwas ist auch ein Grund, warum Leute Festivals besuchen. Was die Band Die Rakede (mit d) abzog, war der absolute Hammer. Die Rakede ist eine deutschsprachige Hip-Hop-Band aus Köln. Soweit hätte mich das ja vorher eigentlich abschrecken sollen. Hip-Hop? Deutsch? Das kann nicht funktionieren. Und ob das funktioniert - und zwar derb (um mal im Hip-Hop-Slang zu bleiben). Nicht wenige Leute kannten deren Songs obwohl man bis auf eine Maxi, die auch nur auf kostenpflichtigen Downloadportalen verfügbar ist, noch gar keine CD veröffentlicht hat. Dennoch kann man bei YouTube schon jede Menge (absolut sehenswerte) Videos der Band bewundern und daher hat Die Rakede schon einen gewissen Bekanntheitsgrad.
Das sah man auch, als sie die Bühne betraten, denn zum ersten Mal an diesem Tag wurde es davor richtig voll. Die drei Rapper hatten auf der Bühne eine komplette Band als Unterstützung am Start - inkl. Bassist, Gitarrist, Drummer, Keyboarder und einem DJ, der zwischendurch sogar Geige (!) spielte. Klingt verdammt bunt und das war es auch. Als Krönung gab es noch einen Komparsen, der als Affe (!!) das Publikum animierte und sogar zum Stagediver wurde. Neben dieser Bühnenshow gab es aber auch jede Menge guter Musik mit dem bereits von der Maxi bekannten "Wo geht's ins All" und dem Ohrwurm "Immer immer mehr". Die Zuschauer drehten komplett ab und so feierte man eine tolle Party auf und vor der Bühne. Mein absolutes Highlight des Tages und sicherlich bald kein Geheimtipp mehr. Die Rakede spricht eben nicht nur Hip-Hop-Fans an, sondern weiß auch beim eher rocklastigen Publikum zu gefallen. Da bleibt mir nur noch zu sagen: Die Rakede geht steil. Highlight !
Extrem Liedermaching
Dass dies eigentlich nicht mehr zu toppen war, war zu diesem Zeitpunkt für mich persönlich klar, aber es gibt ja noch andere Leute, die andere Musik mögen und diese kamen bei der nächsten Band voll auf ihre Kosten. Nach dem schweißtreibenden Gig der Rakede kamen nun die Monsters Of Liedermaching, die keinen großen Wert auf Show-Elemente legen und sich auch deshalb mit sechs Leuten auf der Bühne demonstrativ setzten. Hinter den MOL steht ein cleveres Konzept. Sechs Liedermacher haben sich zu einer 'Liedermacher-Supergroup' zusammengeschlossen und bringen die besten Songs aus ihrem jeweiligen Repertoire zusammen. Konzerte der Band dauern daher auch schon mal drei Stunden und länger. Dass man sich hier auf ein 'Best of' beschränken musste war klar und so gab es eine bunte Mischung von Stücken, die von den sechs Liedermachern abwechselnd oder zusammen vorgetragen wurde. Ich muss aber einfach sagen, dass mir persönlich Götz Widmann (Ex- Joint Venture, der letztes Jahr hier auftrat und ein super Konzert spielte) einfach besser gefällt, da er die wesentlich originelleren Texte hat. Trotzdem kamen die MOL beim Publikum super an. Bester Song war meiner Meinung nach "Ich brauch 'nen Döner", in dem auch 'Eier mit Speck' verwurstet wurde. Wie gesagt, ich empfand die Band als nicht besonders originell, aber das Publikum war begeistert und feierte die Musiker inkl. drei Zugaben großartig ab.
It's time for some Rock'n'Roll
Danach gab es aber wieder Musik nach meinem Geschmack, denn Boppin' B aus Aschaffenburg gehören zu Deutschlands tourfreudigsten Musikern. Um die 200 Konzerte pro Jahr (!!) spielt das Rockabilly-Quintett und dass die Jungs das "Eier mit Speck"-Publikum sofort aus der Reserve lockte, war nicht wirklich verwunderlich. Man kann aber auch bei dem Mix aus Rockabilly, Rock'n'Roll, Country und Ska nicht widerstehen. Auch in Punkto Kommunikation mit dem Publikum macht der selbsternannten »Scheißkapelle« keiner was vor. Die tolle Bühnenpräsenz und die spürbare Spielfreude der Musiker tut dann nur noch den Rest und fertig ist die Boppin' B-Party. Mit Songs wie "Hand in Hand" von den Beatsteaks bis zu Eigenkompositionen wie "Ein toller Tag", wurde dem Publikum eine 1A-Entertainment Show geboten. Danke !
Wer hat's erfunden?
Im Programmheft zum Festival freuten sich die Veranstalter, dass sie endlich mal eine Band aus dem Mutterland der Rockmusik dabei hatten: der Schweiz. Die Prog-Rocker von Prisma bewiesen dann, dass es neben Gotthard und DJ Bobo auch noch andere Musik jenseits der Alpen gibt. Nach soviel 'Guter-Laune-Mitsing-Sound' der letzen drei Bands, setzten die Veranstalter wie auch schon letzten Jahr an vorletzte Position eine Band zum Verschnaufen und zum Zuhören. Das kam auch gut an und das Publikum lauschte interessiert dem technisch sehr versierten Sound des Quartetts. Leider hätten die (Achtung Klischee) zurückhaltenden Schweizer etwas mehr auf das Publikum eingehen können, denn bis auf ein kurzes »Danke« kam nicht viel Kommunikatives rüber und man ließ einfach die Musik sprechen. Zwischendurch habe ich zu diesem Thema folgenden Dialog zweier Festivalbesucher während des Prisma-Konzertes aufgeschnappt:
Zuschauer A: »Also, die sind ja gut, aber die könnten ja auch mal was sagen!«
Zuschauer B darauf: »Ich bitte dich. Das sind Prog-Rocker. Da kannst du froh sein, wenn die 'Guten Tag' sagen.«
Lang leben die Klischees über Progies.
Belfast meets Viersen
Da man sich von allen Seiten sehr genau an den Zeitplan gehalten hat, konnten, wie vorgesehen, Therapy? pünktlich um 23:30 Uhr als letzte Band und damit als Samstagsheadliner die Bühne betreten. Angesagt wurden sie, wie alle anderen Bands des Tages auch, von Mitorganisator Christoph 'Tappi' Tappesser. Seine Ansage zu Therapy? sagt eigentlich alles über das "EmS"-Festival aus: »Wenn mir vor drei Jahren beim ersten Festival einer gesagt hätte, das einmal Therapy? bei uns auftreten werden, hätte ich ihn sicher für bekloppt erklärt. Wie schön, dass man sich auch mal irren darf. Liebe Freunde, bitte einen Riesenapplaus für Therapy?!!«
Die hinter Boppin' B zweitdienstälteste Band (kommendes Jahr feiert man das 20-jährige Jubiläum) weiß natürlich auch, wie man das Publikum gewinnen kann. Aber trotz der langen Bühnenerfahrung, tat sich das Trio anfangs doch etwas schwer. Die großen Hits folgten alle erst im hinteren Teil des Sets. Vielleicht hätte man das eine oder andere 'Bonbon' etwas früher im Konzert platzieren sollen. Trotzdem rockte die Band gut ab und Andys kauzige Ansagen kamen ebenfalls gut an. Nach den besagten Startschwierigkeiten klappte es dann aber auch besser und zum Schluss waren die knapp 3.000 Festivalbesucher dann doch zufrieden. Ende gut - alles gut.
Fazit nach 11 Stunden "Eier mit Speck"-Festival
Auch in diesem Jahr war es mal wieder die ultimative, musikalisch abwechslungsreiche Vollbedienung. Nach dem starken 2008 konnte man sich nochmals mit den gebuchten Bands steigern und langsam macht mir das Angst (positiv !). Was kommt denn im Jahre 2010, wenn das "EmS" sein fünfjähriges Jubiläum feiert? Die ständig wachsenden Zuschauerzahlen und die immer etwas bekannteren Bands lassen Einiges erhoffen. Wie auch immer - ich freue mich schon auf 2010 mit hoffentlich so gutem Wetter wie in diesem Jahr.
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