Von Ost nach West
Markus aus Cottbus freut sich beim lokalen Altbier über das gute Musikprogramm: »Wir kommen schon zum dritten Mal hier nach Viersen und es ist immer wieder schön«. Fast 700 Kilometer Anreise haben sich Markus und seine Kumpels angetan und sind damit aber nicht alleine, denn selbst aus Österreich haben wieder Besucher den Weg an den Niederrhein gefunden. Irgendetwas muss also dran sein an diesem Festival mit dem ungewöhnlichen Namen, über das wir ja bereits regelmäßig berichtet haben. Über das besondere Flair des Eier mit Speck-Festival (kurz: EmS) und über viel gute Musik handelt dann auch mein Bericht.
1. Tag: Freitag
Die Voraussetzungen in diesem Jahr waren denkbar günstig, denn erstmalig in der Geschichte des EmS war das Festival mit 4.500 Leuten komplett ausverkauft. Außerdem war der Wetterbericht ebenfalls gut, denn es sollte trocken bleiben und es blieb trocken. Nur am Freitag Nachmittag fielen ein paar wenige Tropfen, aber insgesamt war der Wettergott dem Rock absolut gnädig gestimmt.
Metal Olé!
Da ich noch arbeiten musste, betrat ich erst zu Breed 77 das Gelände und bekam sofort ein Highlight serviert. Die in England residierenden Mannen aus Gibraltar machten mit ihrem Ethno Metal, der Metal mit spanischen und orientalischen Elementen mischt, richtig Laune und das Publikum ging gut mit. Natürlich kam ihre bekannteste Nummer, das Cranberries-Cover "Zombie", am besten an, aber diese Nummer ist auch live ein echter Knaller und in der Version absolut Festival-tauglich. Dementsprechend wurde die Formation natürlich bejubelt. Zu erwähnen ist noch der CD-Kampfpreis, denn das aktuelle Album gab es am Merchandise-Stand für unschlagbare 5 Euro inkl. Autogramm und Schwätzchen mit der Band. Fanfreundlichkeit wurde beim EmS sowieso groß geschrieben und viele Bands waren unmittelbar nach dem Auftritt auf dem Gelände und verkauften persönlich ihre Scheiben am Stand. Sehr lobenswert.
Reggae aus der Bundeshauptstadt
Danach war mal wieder Kontrastprogramm angesagt, denn die Berliner Ohrbooten spielen eine Mischung aus Reggae, Pop und etwas Hip-Hop, was ebenfalls gut angenommen wurde. Auch wenn es jetzt nicht ganz mein Stil war, muss ich zugeben, dass das Quartett seine Sache super machte und das bunt gemischte Festivalpublikum zum Tanzen, Klatschen und Mitsingen brachte. Respekt.
Pubertierender US-Punk
Zebrahead aus den USA waren die Headliner am ersten Tag und dementsprechend voll wurde es auch gegen 22.30 Uhr. Dies war das erste Konzert für das Quintett nach einer längeren Pause und man merkte schon, dass die Band noch nicht richtig 'warmgespielt' war. Leider war der Sound extrem dumpf und saftlos, was den Funken nicht so richtig überspringen ließ. Schade, denn nicht wenige Zuschauer waren vor allen wegen dieser Band gekommen, aber wenigstens zum Ende hin lief es besser. Etwas peinlich fand ich nur die Ansagen, die teilweise mit 'extrem anspruchsvollen', deutschen Worten wie Muschi oder ähnlichem gespickt waren. Kam fürchterlich dämlich rüber und passte so gar nicht zu den ansonsten musikalisch routiniert auftretenden Kaliforniern. Das hatte dann teilweise schon etwas Bloodhound Gang-Niveau. Insgesamt ganz O.K., aber für einen Headliner definitiv zu dürftig. Den Abschluss als Midnight Special gestalteten die Hamburger von Le Fly, die ich aber selbst nicht mehr sah.
2. Tag: Samstag
Am Samstag spielten insgesamt zehn Bands, wobei ich an diesem Tag erst bei der vierten Band des Tages einrücken konnte.
Kanadischer Rockabilly Deluxe
Um 15.20 Uhr enterte das kanadische Rockabilly-Quartett The Creepshow die große Bühne und direkt von der ersten Sekunde an merkte man, dass hier vier Leute Musik machten, die das mit viel Leidenschaft tun. Die singende Gitarristin Sarah 'Sin' Blackwood war dabei der Hingucker (vor allem bei den männlichen Festivalgästen). Musikalisch gab es mit Kontrabass und Orgel einen Sound, der teilweise an alte US-Horrorfilme aus den 60ern erinnerte. Trotzdem rockte man richtig ab und bekam verdientermaßen viel Applaus. Toller Auftritt und nicht nur ich hatte mir nach dem Gig bei Sarah noch die aktuelle CD "They All Fall Down" geholt.
Deutsch Pop
Kontrastreich wie am Vortag ging es weiter mit den Musikern von Phrasenmäher, die mit ihrer deutschen Popmusik mit originellen Texten eine ordentliche Figur machten. Nicht mein Ding, aber ebenfalls gut gemacht. Auch hier gab es anschließend beim Merchandise-Stand eine Schlange mit neuen Fans und genau darum geht es ja u.a. auch bei einem Festivalauftritt.
Die lokalen Helden räumten ab
Nicht nur ich war etwas verwundert über die relativ frühe Spielzeit von Motorjesus. Das Quintett aus dem benachbarten Mönchengladbach ist zur Zeit gefragter denn je und scheint langsam aber sicher durchzustarten. Mit dem großartigen aktuellen Album Wheels Of Purgatory und ihrem kleinen Hit "King Of The Dead End Road" hat die Band aktuell zwei richtig heiße Eisen im Feuer und dementsprechend wurde der Gig vor der Hautür zu einem Selbstläufer. Die Band um den sympathischen Sänger Chris Birx machte alles richtig und wurde gnadenlos abgefeiert. Ob nun aktuelle oder ältere Songs wie "The Howling"- das Publikum drehte völlig ab. Für mich das Highlight des gesamten Tages. Note Eins. Setzen.
Zweimal Mischkost
Bei den folgenden beiden Bands wurde einem klar, dass ein Festivalpublikum aus den verschiedensten Gruppen besteht und dass jeder einen anderen Geschmack hat. Konnte ich persönlich dem klassischen Proll-Punk von Betontod aus Rheinberg rein gar nichts abgewinnen, so fanden sich vor der Bühne trotz allem genug Fans, die ihrer Band zujubelten. Auch die folgenden Triggerfinger aus dem belgischen Antwerpen waren sehr speziell mit ihrem Noise Rock, wobei hier jedoch immer mal wieder der ein oder andere interessante Song dabei war.
Der offizielle Headliner
Ebenfalls sehr speziell wurde es dann um kurz vor 22.00 Uhr, denn den Stil der Norweger von Kaizers Orchestra kann man unmöglich beschreiben. Ansatzweise würde ich sagen Nick Cave mit Folkelementen, das trifft es aber nur sehr vage. Klar ist, dass die Band nur auf norwegisch singt und dass bei jedem Ton immer eine bittersüße, melancholische Note mitschwingt, was das Mitsingen fast unmöglich macht. Das alles klingt jetzt alles andere als festivaltauglich und auch ich war vorher sehr skeptisch, aber die Band hat nicht nur mich wirklich berührt. Ihr einziger Hit in Norwegen, "Hjerteknuser" kam auch in Viersen gut an und das Ganze mit einer unheimlichen Bühnenpräsenz plus toller Lightshow machten das Konzert wirklich zum Highlight. Schön.
Der inoffizielle Headliner
Um kurz vor Mitternacht sollte dann noch eine Überraschungsband aus den USA auftreten. Tagsüber hatte es sich schon beim Publikum rumgesprochen, dass es sich hier um die alten Crossover-Pioniere von Dog Eat Dog handelte, die bereits 2009 an gleicher Stelle einen umjubelten Auftritt abgeliefert hatten. Der Überraschungseffekt war damit weg, aber man freute sich trotzdem und wurde nicht enttäuscht. Das Quartett, das mittlerweile schon seit 22 Jahren besteht, wurde live noch von zwei Saxophonisten unterstützt und so kamen dann vor allem die alten Hits ihrer Erfolgsplatte "All Boro Kings" von 1994 entsprechend im satten Sound rüber. Sänger JC ist ein geborener Entertainer und man merkte der ganzen Band den Spaß einfach an. Dementsprechend wurden dann auch die alten Kamellen wie "Who's The King", "If These Are The Good Times" und das unverwüstliche "No Fronts" trotz der späten Stunde noch abgefeiert. Ebenfalls extrem sympathische Musiker ohne Starallüren und mit viel Energie auf der Bühne. Schöner Abschluss eines, insgesamt gesehen, sehr guten zweiten Festivaltages.
3. Tag: Sonntag
Balkan-Techno
Nachdem sich die Zuschauer morgens mit den namensgebenden Eiern mit Speck gestärkt hatten, kam ich erst um 16.30 Uhr aufs Gelände, um die letzten vier Bands des Tages zu sehen. Auch hier wurde das Wort Vielseitigkeit wieder groß geschrieben. Im Falle des Merdan Taplak Orkestar für mich etwas zu groß, denn das war doch schon sehr speziell. Ein belgischer Techno-DJ plus eine Truppe rumänischer Musiker mit u.a. Akkordeon, Saxofon und Tuba waren die schrägste Mischung, die ich seit langem gesehen habe. Definitiv nicht mein Ding, aber auch hier sprang der Funke über und ein großer Teil der Festivalbesucher tanzte mit zum Balkan-Techno-Inferno. Skurril.
Die Schweden konnten es einfach
Schweden ist für mich, musikalisch gesehen, absolut positiv vorbelastet und auch Royal Republic hinterließen einen hervorragenden Eindruck. Das Quartett aus Malmö um Sänger und Gitarrist Adam Grahn spielten eine sehr gefällige Mischung aus Punk, Pop und Indie, die vor allem bei den Mädels bestens ankam. Aber auch die Jungs hatten Spaß und obwohl man mit "We Are The Royal" gerade erst ein Album auf dem Markt hat, waren die Songs doch vielen bekannt und Hits wie "Underwear", "Tommy Gun" oder das tanzbare "Full Steam Spacemachine" wurden laut mitgesungen.
Zwischendurch gab es noch ein paar eingestreute Coverversionen wie zum Beispiel eine erstaunlich authentische Version von "Ace Of Spades". Absolut gelungener Auftritt. Von der Band wird man hoffentlich noch mehr hören.
Frickel-Metal für Fortgeschrittene
Boy Hits Car aus den USA dürften als vorletzte Band des Festivals auf die Bretter und ihre Mischung aus System Of A Down und Korn spaltete wieder das Publikum. Während die einen das Quartett einfach nur wunderbar fanden und mitgingen, gehörte ich zur anderen Gruppe, die mit dem Frickel-Metal so rein gar nichts anfangen konnte. Die Songs klangen alle sehr ähnlich und wollten nicht nur bei mir nicht zünden.
Seliger Abschluss
Auf die Abschlussband Selig hatte ich mich im Vorfeld sehr gefreut und ich wurde nicht enttäuscht. Vielmehr legte die Band einen absolut würdigen Headliner-Auftritt hin und hier wurde in Punkto Licht und Sound nochmals alles rausgeholt. Ob nun neue Stücke wie "Schau Schau" oder das epische "Wir werden uns wiedersehen" - hier sind absolute Könner am Start und Jan Plevkas hat eine der prägnantesten Stimmen in der deutschen Rockmusik-Szene. Als Zugabe nach 90 Minuten verabschiedete man sich mit den alten Hits "Wenn ich wollte" und einen phantastischen Version von "Ohne Dich". Ein krönender Abschluss eines an Highlights nicht armen Festivals.
Fazit
Auch 2011 wieder ein absolut hochklassiges Festival. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen stimmte die Mischung zwischen aufstrebenden neuen Bands und etablierten Acts wieder perfekt. Wenn Motorjesus noch so ein Album nachlegen, sind sie in einem der kommenden Jahre garantiert hier die Headliner.
Bis auf Zebrahead haben die diesjährigen Headliner wieder überzeugen können. Alles paletti also am Hohen Busch. Bis 2012 dann wieder an dieser Stelle.
Ach ja, die Cottbusser Festival-Touristen habe ich nach dem Selig-Gig auch wieder getroffen und man verabschiedete sich mit »War geil und nächstes Jahr kommen wir wieder«. So soll es sein.
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