Klappstuhl-Happening mit musikalischen Pretiosen bei Kuchen und Oranje-Bräu
Was haben Schöppingen und Montreux gemeinsam? Richtig, ein Musikfestival!
Und was noch? Beide Festivals haben eine lange Tradition, sie sind längst zu einer Institution gereift und bieten bluesaffinen Musikfreunden stets unterhaltsame Programme. Dann hören allerdings die Gemeinsamkeiten auf und wenn ich draußen die ersten Frühlingsvorboten erhasche, so stellt sich bereits jetzt eine gewisse Vorfreude ein, über Pfingsten das wohl kuscheligste aller Bluesfestivals besuchen zu dürfen.
Sehr schön auf einem übersichtlichen, geradezu in einer Senke gelegenen Freigelände angesiedelt, gleich neben dem Vechtebad des Örtchens Schöppingen im westlichen Münsterland unweit der niederländischen Grenze und benannt nach dem Hauptsponsor der Veranstaltung, einer niederländischen Traditionsbrauerei (seit 1615) aus dem benachbarten Groenlo, mittlerweile aber in Enschede ansässig.
Bereits zum 21sten Mal geht dieses familienfreundliche Festival über die Bühne, allerdings erst seit 2009 über zwei Tage. Veranstalter ist der rührige Kulturring Schöppingen und unzählige ehrenamtliche Helferinnen und Helfer tragen zu dem Gelingen des Festivals bei, nicht ohne eine explizite Gastfreundschaft auszustrahlen. Es ist spürbar eine Veranstaltung, die noch nicht der totalen Verkommerzialisierung zum Opfer gefallen ist und es ist einfach kultig zu beobachten, wie diverse Bluesfreunde mit Kind, Kegel und Klappstuhl ein Happening feiern.
Und ja, während beim Jazzfestival in Montreux die Schönen und Reichen auch immer wieder eine Dosis (Prominenten-)Blues (und Rock) vorgesetzt bekommen, gilt für das 'gemeine Fußvolk' mit latentem (Blues)-Musikspleen folgende Devise:
»Auch in diesem Jahr bleiben wir dem Motto "Neues gibt es zu entdecken" treu. Wir haben Künstler eingeladen, die noch niemals in Europa waren und Künstler, die man nicht so häufig auf deutschen Bühnen zu sehen bekommt.
Musikalisch bewegen wir uns wieder in Grenzregionen und den klassischen Regionen des Blues. Von zart bis hart.... alles wird vertreten sein.«
Genau diese Mischung scheint ein nachhaltiges Erfolgsrezept zu sein und verkörpert ein klares Konzept, welches der Veranstaltung Profil verleiht. Damit ist auch klar, dass sich am 26. und 27. Mai dieses Jahres keine Superstars im eigentlichen Sinne die Mikrofone in die Hand geben, sondern dass eher heimliche, noch vergleichsweise unbekannte Koryphäen ihre Aufwartung machen werden, inklusive kompletten Newcomern.
Ein solcher wird der Brite Ben Poole mit seiner Band sein, dessen Debüt-Longplayer "Let's Go Upstairs" ab Mai dieses Jahres für Furore sorgen soll. Seine bereits erschienene 5-Track-EP Everything I Want lässt das volle Saitenquäler-Bluesrock-Programm mit Rockschlagseite und signifikanter Stevie Ray Vaughan-Affinität erwarten.
Ein weiteres konzeptionelles Merkmal ist der vergleichsweise hohe weibliche Anteil im Festivalprogramm. So darf beispielsweise dieses Jahr die in diesen Breiten vermutlich nur expliziten Insidern bekannte Cee Cee James erwartet werden, die ebenfalls im Mai einen neuen Longplayer (produziert von Jim Gaines!) präsentieren wird, aber bereits auf eine über zehnjährige Plattenkarriere zurückblicken kann und dabei als größtes Pfund mit einer Stimme wuchert, die wirklich äußerst frappant an Janis Joplin erinnert, diesmal wirklich, keine Waschzettelnebelkerze!
Des Weiteren ist zusammen mit Lucky Peterson, der wiederum seit 1989 unter eigenem Namen Platten veröffentlicht und darüber hinaus auf über 300 Alben an den Tasten und/oder den 6 Saiten mitgewirkt hat, seine bessere Hälfte Tamara Peterson zu erwarten, gleichsam eine Ohren- wie Augenweide.
Lucky Peterson ist sogar Wiederholungstäter, er war bereits vor ewigen Jahren in Schöppingen. Bei der amerikanischen Band Delta Moon ist das nicht so lange her, sie begeisterten, wie dem allgemeinen Tenor zu entnehmen ist, vor schlappen drei Jahren das Festivalpublikum und wollen sicherlich an diesen Erfolg anknüpfen, selbstredend mit brandneuem Longplayer namens "Black Cat Oil" (Veröffentlichung April 2012) im Gepäck.
Der amerikanische Akustikgitarrenderwisch Monte Montgomery hat sich hierzulande, wie Delta Moon, durch einige Liveauftritte bereits einen (Insider)-Namen gemacht und weiß mit atemberaubender Virtuosität zu begeistern.
Als ein Headliner des Festivals darf sicherlich Kenny Neal betrachtet werden, ein Meister des modernen Swamp-Blues, geboren in New Orleans und aufgewachsen in Baton Rouge, der 1988 auf dem legendären Alligator-Label seine Plattenkarriere startete und dabei, welch ein Zufall, auch mit Lucky Peterson zusammen arbeitete.
Die Hackensaw Boys aus Charlottesville, Virginia, entfernen sich mit ihrer Mischung aus Bluegrass, Folkrock und Punk sicherlich am weitesten vom Bluesidiom, aber ich sehe jetzt schon das Festivalvölkchen fröhlich beim, vermutlich nicht ersten, Sponsorenbräu abfeiern.
Es gehört zu den absoluten Trademarks des Kulturrings Schöppingen, immer wieder Künstler zu entdecken und akquirieren zu können, die meines Erachtens selbst Insidern kaum bekannt sein dürften. Zu dieser Kategorie könnte ein gewisser Shane Dwight gehören, geboren in San Jose und aufgewachsen auf einer Pferderanch in Morgan Hill, Kalifornien, hat er bereits sieben Veröffentlichungen auf dem Buckel, wobei zum aktuellen Album "A Hundred White Lies" auf IsraBox zu lesen ist:
»This is one of the best Roots/Americana records made this year with some of the best musicians in the world performing on it. «
Um genau zu sein, hier musiziert Delbert McClintons Aufnahme- und Tourband, was die musikalische Ausrichtung und Qualitätsstufe hinreichend andeuten dürfte. Ob diese Leute auch beim Festival dabei sein werden, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis.
Schlußendlich ist noch die Mason Rack Band angekündigt, ein australisches Trio aus Queensland mit einem reichlich schräg klingenden 'Sänger', einem Tom Waits nicht unähnlich, energetischem Slide-Spiel, slappy Bass und jazzigen wie punkigen Einschüben, also Dingen, die sich eigentlich komplett ausschließen. Vollkommen irre!
Letztlich fehlt in der Vorankündigung nur noch ein Act, ansonsten steht das Line-up.
Draußen werden die Sonnenstrahlen intensiver, es kribbelt, Pfingsten kann kommen!
Wer oder was ist schon Montreux? Gibt es da selbstgemachten Kuchen? Nein!
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