Krautrock - das klingt nach längst vergangenen Zeiten. Nach 70er Jahre, nach Räucherwaren und anderen Bewusstseinsverstärkern. Nach langhaarigen, Parka- und Jeans tragenden Menschen, die damals in die Hallen und Stadien schlurften.
Längst vergangen das alles? Frei nach De Randfichtens "Holzmichl" können wir sagen: "Ja, er lebt noch, er lebt noch, stirbt nicht." Der Krautrock nämlich.
Leser der RockTimes wissen es ja schon länger: Birth Control ist mittlerweile mit vier Artikeln bei uns vertreten und der älteste ist gerade mal ein Jahr alt. Nix mit ollen Kamellen also.
Im Rahmen ihrer "35th Anniversary-Tour" (übrigens gefeatured von der GoodTimes) standen Birth Control zusammen mit Guru Guru und Kraan in Niederwürzbach auf dem Programm. An dieser Stelle ein dickes Lob und Hut ab für den Veranstalter Gecko-Concerts. Peter Wolter, so der Name des Mutigen, hat es gewagt, in einem Ort mit etwa 4000 Einwohnern ein Event dieser Art zu starten und 650! Rockfans folgtem dem Ruf und pilgerten in die Würzbachhalle.
Und es war perfekt durchorganisiert: Kulinarienstand vor der Halle, Thekenbereich in der Halle, dazu zwei weitere Getränkerondells im Saal, Toilettenmann, Security.. es war einfach an alles gedacht. Peter betreibt außerdem im Ort den Bahnhof, eine feine Musikkneipe mit allem was ein gemütliches Pub so ausmacht. Den Link zum legendären Bahnhof wie immer am Ende des Berichts bei den Links.
Guru Guru
Guru Guru - wie lange ist es her, als ich die Band das letzte Mal hörte? Auf LP wohlgemerkt, denn live hatte ich noch nicht das Vergnügen. Und als es soweit war, quasi der Anpfiff erfolgte, bewegten sich die 650 'gen Bühne und "Guru Guru" auf dieselbe.
Mani Neumeier im Gummihut (oder was immer das für ein Teil war) fegte gleich am Anfang wie ein Derwisch über die Stage. Der Mann ist 63, außerdem schon jetzt eine Legende und wie eine Legende wurde er von den Fans auch begrüßt. "Fit wie ein Turnschuh" sagt man bei uns und ich kenne 40-Jährige, die nach Absolvierung Manis "auf_der_Bühne_rumturn_Pensum" wohl schwer schnaufend in den Sessel gemusst hätten.
Gegründet 1970 von Mani Neumeier, Ax Genrich und Uli Trepte (von 1968 bis 1970 hieß die Band The Guru Guru Groove Band), besteht das heutige Line-up neben Mani aus Roland Schaeffer (der war Gründungsmitglied von Fashion Pink, die sich später in Brainstrom umbenannten), Luigi Archetti, seines Zeichens Musiker (Tiere der Nacht), Komponist und Künstler. Vierter im Bunde ist Peter Kühmstedt (AERA).
Wir konnten uns des Eindrucks nicht erwehren, dass Mani erstens nicht mit so vielen Zuhörern gerechnet hatte und zweitens, dass die Menge da vor ihm gleich von Anfang an frenetisch mitging. Kein warm-up, kein "erst mal kucken, was die Band so bringt" - nein, es war in der Tat von Anfang an eine Stimmung in der Halle, wie sonst erst nach mindestens vier, fünf Songs. Mani sprach dann wohl den Meisten aus dem Herzen, als er meinte, "dass so etwas nach 35 Jahren möglich ist....".
Eingangs haben wir den Mut des Veranstalters ja schon erwähnt, aber noch mal: ja, auch wir hatten unsere Zweifel, dass die Krautrocknacht ein solcher Erfolg werden würde. Nicht, dass jetzt jemand denkt, das Publikum bestand aus Alt-Achtundsechzigern, oder musste im Rollstuhl nach Niederwürzbach geschoben werden, nein, es gab auch jede Menge ganz junges Publikum, welches in der ersten Reihe tanzte, als gäbe es Kohle für die schnellsten Bewegungen.
Eigentlich kommen Guru Guru ursprünglich ja aus dem Free Jazz Umfeld. Ihre ersten Auftritte - politisch gefärbt- waren zu damaliger Zeit mehr als extravagant. Selbst sah sich die Band nie dem Krautrockgenre zugehörig und wenn man etwas im Internet forscht, dann taucht da öfter der Begriff Progrock auf. Ich bleibe lieber bei der Krautrockschublade, denn da habe ich sie vor Jahrzehnten mal rein gesteckt und in meinem Alter ist man Veränderungen gegenüber nicht mehr so zugänglich.
Guru Guru war zumindest früher mehr als nur eine Band. Man lebte, wie es sich für damals gehörte, in einer Kommune und erweiterte sein Bewusstsein durch, na ja, ich sag mal "Aromatheraphien". Wie heißt doch einer ihrer Songs? "LSD-Marsch" .
Die Band wechselte in 33 Jahren fast 30 mal die Besetzung (auch Hellmut Hattler, Mastermind von Kraan, die als dritte Band aufspielten, stand mal auf der Besetzungsliste), veröffentlichte über 20 LPs und war die erste deutsche Band, die im WDR-Rockpalast auftrat (1976).
Mani Neumeier zählt wohl zu Recht zu dem Besten, was Deutschland an Drummern je hervorgebracht hat. Nachdem ich ihn nun endlich auch einmal live gesehen habe, will ich das gerne bestätigen. Neben exzellentem Drumming ist er, vom agieren her, an, auf, neben, vor, hinter und über der Schießbude, wie mein deutscher Lieblingsdrummer Nossi von Birth Control. Man muss die Zwei einfach spielen "sehen", denn auf Konserve ist von ihrer Bühnenshow ja nichts zu merken.
Wie auch das Publikum, starteten Guru Guru von Anfang an voll durch. Kein runterspulen der Setliste, denn Guru Guru live bedeutet immer eine gehörige Portion interagieren mit dem Publikum:
Mani: "Guru Guru, was bedeutet das? Wir lieben alle das grüne Gras."
Oder zumindest so ähnlich *g*. Er sprachs und zog Roland Schaeffer einen grünen Graskopfschmuck über. Apropos Roland: er spielte nicht nur ein Sammelsurium an sehr seltsam anmutenden Blasinstrumenten, sondern auch eine geile Gitarre. Oft im Verbund mit Hauptgitarrist Luigi Archetti. Luigi - ein absoluter Virtuose übrigens - und Roland zeigen, dass es mehr als ein deutsches Gitarrenduo gibt und ich sage jetzt nicht, welches ich besser finde, oder wer das andere (auch über jeden Zweifel erhabene) Duo ist, denn zu verschieden sind wohl die Genres. Und der subjektiv beste, deutsche Gitarrist steht eh' bei Birth Control im Line-up.
Was passiert wohl, wenn Mani mit einem gefüllten Jutesack vor das Micro tritt? Richtig, er leert ihn mit den Worten "Suck it to me Baby" aus. Und nun lagen da zig runde Percussionteile auf der Bühne, die alsbald knieend und liegend bearbeitet wurden.
Manis Unterhaltungskünste sind eigentlich schlecht zu beschreiben. Man muss ihn einfach sehen; sehen, wenn er kurzerhand eine Pauke vom Schlagzeug entfernt, diese in die Mitte der Bühne vor das Micro stellt und trommelt, oder heißt das in dem Fall paukt? Egal, er ist ein Entertainer par excellance.
Die Songs... uh, das war ein Flashback ihres gesamten Schaffens - und die Fans warteten auf.... na, könnt Ihr es erraten? Genau, auf den "Elektrolurch". Jenen Song, bei dessen Nennung das Gehirn sofort Guru Guru schreit. Und nachdem die Band das Konzert beendete und hinter der Bühne verschwand, die Leute neben uns lautstark nach dem Lurch verlangten, sahen wir auch schon einen Feuerschein hinter der Bühne und es war klar, was eh' jeder wusste: Die Band kann unmöglich eine Show ohne diesen Titel abliefern.
Guru Guru kam zur Zugabe - Mani mit Feuer und der berühmten Mütze. Und der Lurch-Song wurde zelebriert, sehr zur Freude aller Anwesenden. Ich komme mir zwar mittlerweile schon vor wie ein Papagei, aber man muss das wirklich live gesehen haben: Sehen wie Mani über die Bühne rennt, mal schnell auf Luigis Rücken springt und dann wieder vorm Mikro seine Grimassen und seine Show abzieht. Guru Guru haben die Krautrocknacht eröffnet. Eigentlich wäre diese Band alleine schon den Abend wert gewesen.
Und es lag noch so viel vor uns: Zwei Bands noch - Birth Control, eher so eine Hardrock Variante des Krautgenres und Kraan, die "intellektuelle", Jazz-Funk-Kraut-Version".
Birth Control
Birth Control........unsere Lieblinge. Wenn man die Band um Wirbelwind Bernd "Nossi" Noske schon einmal in Aktion gesehen hat, weiß man was kommt: Aktion, Musik vom Feinsten und Musiker, die jeder für sich alleine den Eintritt wert sind.
Beim letzten Konzert konnten wir uns etwas mit Nossi unterhalten und als wir ihn telefonierend vor der Halle antrafen und ihn anredeten, wusste er auch noch, wer wir sind. Nossi erzählte, dass die Band schon mal im "Bahnhof", der Kneipe des Veranstalters , aufgetreten ist, obwohl das Lokal eigentlich zu klein sein. Dabei reifte der Gedanke mit der Würzbachhalle und voila - genau davor standen wir.
Nossi gab uns auch gleich die Setliste, obwohl wir die mittlerweile eigentlich gar nicht mehr brauchen. Die Songs der Band sind in unserer Kopf-Festplatte eingebrannt. Gerade die "Alsatian"-Sachen, die uns bei jedem Hören immer wieder faszinieren. Druckvoll, hart, melodisch und frisch...na ja, Birth Control galten ja schon immer als die Hardrockvariante des Krautrocks.
Das Line-up neben Nossi bestand aus Guitarhero Peter Engelhardt, dem Tastenzauberer Sascha "Sosho" Kühn und Hannes "Cyborg Haines" Vesper an der Dicksaitigen. Und hätten wir das Glück gehabt, die Band einen Tag zuvor zu sehen, wäre es uns vergönnt gewesen den Urbasser Peter "Beamtifix" Föller zu erleben, der in Lorsch mit auf der Bühne stand.
Peter Engelhard - welch eine Freude, dem Mann beim Gitarrenspiel zuzuschauen. Kein Wunder, wenn ich seine Biografie lese: in jungen Jahren an der klassischen Gitarre angefangen, dann E-Gitarre, später Jazz studiert und heute unterrichtet er als Gastdozent am Arnheimer Konservatorium. Dieser musikalische Lebenslauf und vor allem seine Spielweise nehmen mir total den Mut - denn vor kurzem habe ich mir eine akustische Fender gekauft und quäle mich jetzt mit so Sachen wie H7 und Zupfen und Hämmering und wenn dann halbwegs was klappt, sind es Songs wie "Sag mir wo die Blumen sind" oder "Can The Circle Be Unbroken". Obwohl bei letzterem ja wieder diese blöde H7-Griff verlangt wird. So, jetzt aber wieder zu den Profis.
Los ging es mit "Rock The Road" aus dem aktuellen Alsatian Album. Und wie gewohnt, thronte Nossi als Beherrscher der Felle und Sticks und Gottvater der Band hinter den Drums. Was Mani den Gurus, ist Nossi für seine Band: Motor, Vater, Spaßvogel, Entertainer und Backbone. Und immer ein Lächeln im Gesicht. Ja, Rockmusik ist Medizin; das wissen wir schon lange und halten uns auch strikt an das Rezept, welches uns hohe Dosen dieser Musik verordnet.
Und die Medizin schmeckt: "Like Nothing Ever Changed", "Alsatian", "She's Got Nothing On You"....... alles von bester Rezeptur. Die Band hat einen Drive, dass es eine wahre Freude ist. sich im Rhythmus mit zu bewegen. Und die Zuschauer bewegten sich, tanzten, sangen, klatschten.... es war eine Party - eine Party nach dem Motto, "die Siebziger des alten Jahrtausends, neu aufgelegt im Jahre 2004".
Natürlich gab es wieder einen Nossi, der nicht stoisch hinter seinem Arbeitsplatz sitzen konnte; nein, dieser Drummer muss das Schlagzeug von allen Seiten malträtieren, muss drauf klettern und wie ein Exhibitionist der Halle den Allerwertesten zeigen. Dann
Hannes der Basser: meistens grimmig dreinschauend, aber wahrscheinlich genau deswegen, hat seine Gitarre einen gehörigen Respekt vor ihm und knallt die tiefen Töne immer punktgenau ins Geschehen.
Sascha am Keyboard: das bedeutet, dass der Mann entweder statuenhaft seine Hooks spielt, oder aber wie von der Tarantel gestochen, hinter dem Tastenfeld hin und herspringt. Man merkt der Band an, dass sie mögen, was sie spielen und dass sie leben, was sie spielen.
Und dann Mr. Engelhardt: Wie weiland Clapton steht er da, beugt sich etwas nach hinten, zeigt uns einen verzückten Gesichtsausdruck und greift in die Saiten, dass es einem schwindelig ist. Ich rede jetzt nicht von H7 und solchen Anfängerkinkerlitzchen; Peter zeigt vielen Gitarristen (auch solchen, die hier bei uns im Plattenregal stehen und Rang und Namen haben), was 'ne Harke ist.
Der Saal tobte und als die Band mit ihrem Set fertig war, fehlte natürlich noch was.
Die üblichen Zugabe-Rufe fingen an. Immer lauter und fordernder und dann ging es los: Einige hörten auf, Zugabe zu schreien und statt dessen kamen die beiden magischen Wörter über die Lippen: "Gamma Ray". Und dem Schneeballprinzip gemäß, pflanzte sich der Ruf weiter, bis er schließlich vielhundertfach durch die Halle schalte: "Gamma Ray", "Gamma Ray".... bis die Band (natürlich) wieder auf die Bühne kam. Fragt uns nicht, was da alles in dem Songs steckte, "Gamma Ray" artete in ein ca. halbstündiges Medley aus - immer wieder auf den Punkt kommend und als es vorbei war, schwitzten nicht nur die RockTimes-Redakteuere. Das Publikum ging mit und auch die Band stellte sich schwitzend den Fotografen. Wie gewohnt, ein tolles BC-Konzert und an dieser Stelle unseren Dank an Wallbreaker aka Eckhard Gallus, dem wir die Pässe verdanken und dann auch an den Veranstalter Peter Wolter, der dafür sorgte, dass wir in den Fotograben und auch Backstage durften.
Kraan
Apropos Wallbreaker: Kein BC-Konzert ohne ihn und auch in der Halle hatte er seinen Stand aufgebaut, an dem es die berühmten Birth Control Shirts und CDs zu kaufen gab. Und wenn es die Kundschaft zuließ, sah man ihn mit glänzenden Augen vor der Bühne Fotos schießen. Sein Stand war ja nicht verwaist, denn das Musik-Magazin "Eclipsed" war dort auch vertreten. Natürlich haben auch wir ein paar der Zeitschriften ergattert und wenn ihr das Magazin noch nicht kennen solltet, dann schnell mal getestet, denn wir können es empfehlen. Und wenn Ihr gerne wisst, was die RockTimes-Redaktion - neben Gesangsbuch, "Meine Melodie" und "Volksmusik in Bayern" - so liest, dann findet ihr die Links auf unserer Impressumsseite.
Kraan - auch ursprünglich aus dem Jazz kommend, ebenfalls mit Kommunenerfahrung war damals eine der beliebtesten Festivalbands. Und wer kennt und besitzt wohl nicht "Andy Nogger", ihre 74er Scheibe, die in den USA auf Platz 9 der FM-Charts platziert war und die der "Musik Express" zur "Platte des Jahres" kürte.
Und hier in Nierderwürzbach standen sie nun, in Originalbesetzung:
Hellmut Hattler (Bass)
Ingo Bischof (Keyboards)
Jan Fride (Schlagzeug)
Peter Wolbrandt (Gitarre).
Ohne Ingo, Jan und Peter irgendetwas abzusprechen, bedeutet Kraan für mich erst mal Bass satt. Und Hattler hat einen Ruf als Basser. Charismatisch, die (Band)Fäden ziehend und wenn man ihn spielen sieht, weiß man, was ich meine. Steht bei den meisten Bands der Bassist relativ banddienlich irgendwo daneben, ist es bei Kraan eher so, dass Hellmut die Galionsfigur, der Motor, der Anchorman ist.
Leicht verjazzt mit enormem Groove und stellenweise funkigen Bassläufen präsentierte sich die Band - und ich bin mir sicher, es standen nicht wenige Basser in den vorderen Reihen, um ihrem Idol auf die Finger zu kucken. Peters feine Gitarrenläufe, Ingos Moog- und Fender-Rhodes Sequenzen und die präzisen Hiebe Jans waren aber nicht minder interessant. Ja - interessant, denn Kraan bedeutet nicht nur Musik für die Füße, sondern auch für den Kopf. Zuhause läuft Kraan meistens über Kopfhörer, damit ja keine Feinheiten verloren gehen. Schön, die Virtuosen auch mal bei der Ausübung ihres Handwerks zu sehen.
Mittlerweile war es schon spät, aber beim Publikum war keine Müdigkeit zu spüren. Krautrock hält jung und anscheinend nicht nur das Publikum. Wenn man sich überlegt, wie lange es die drei Bands schon gibt und dann die Musiker sieht, sie spielen hört....
Es waren wohl unzweifelhaft Dinos der deutschen Rockgeschichte, die an diesem Abend auf der Bühne standen. Und sie können es noch immer, ach was - die letzten 35 Jahre sind scheinbar nur so an ihnen vorbeigeflogen. Frisch, druckvoll, knackig und auf der Höhe der Zeit haben sie sich präsentiert und wenn das so weitergeht, wenn sich Veranstalter wie Peter Wolter finden, die den Mut haben, solche Events zu veranstalten, dann geht das weiter und es wird wieder mehr gute Musik in dieser vermaledeiten "Starsearch-Zeit" geben.
Wir wünschen uns weitere Krautocknächte und wir wissen, dass es zumindest in Niederwürzbach immer wieder klappen wird.
Krautrocknacht - Niederwürzbach - Würzbachhalle, 23.10.2004
Ulli Heiser und Ilka Czernohorsky, 25.10.2004
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