Wenn man bereits zu Lebzeiten als 'Legende' gilt, dann sollte schon eine gewisse Kontinuität hinter der Leistung des Künstlers stehen. Im Fall der 'Top Drei' der Ex-DDR ist die erste Grundlage, dass sie alles überstanden haben, was die Wende mit sich gebracht hat, nach wie vor gute Musik produzieren, unverrückbar auf ihren Sockeln stehen und ganz einfach Kult sind. Kann ich also als 'Wessi' beurteilen, welchen Stellenwert die Puhdys, City und Karat haben? Ja, ich denke, dass ich es kann, denn auch ich bin mit deren Musik aufgewachsen, habe ihre ersten Konzerte in West-Berlin gesehen und in meiner Plattensammlung befinden sich fast alle Alben von Beginn an. Was konnte man denn sonst Gescheiteres mit seinem Zwangsumtausch-Geld bei Verwandtenbesuchen anstellen, als sich die alten Amiga Scheiben zuzulegen.
Die Gelegenheit, alle Bands in einem Rutsch zu erleben, lasse ich mir ebenso wenig entgehen, wie mit mir siebzehntausend weitere Fans in der, seit Monaten, ausverkauften O 2 World. Die Halle hätte auch locker zweimal gefüllt werden können. Tags zuvor war sie es bereits, als die Puhdys ihren 45. Geburtstag gefeiert haben. Doppeltes Heimspiel mit etwas Wehleid, denn die Ältesten der Drei hören nun definitiv auf. Ihre letzten Konzerte sind für den ersten und zweiten Januar 2015 angesetzt worden, natürlich ebenfalls in der O 2 World.
Fühle ich mich in der Masse der abertausend Fans, die wohl überwiegend aus dem Osten kommen, als Fremdkörper? Eigentlich nicht, jedenfalls sollte es nach fünfundzwanzig Jahren nicht mehr so sein. Für mich zählt nur die Musik und damit aufgewachsen sind wir gemeinsam, hüben wie drüben. Deshalb freue ich mich auf einen ganz besonderen Abend, in der Hoffnung, so viele wie möglich von meinen Lieblingssongs zu hören und als Fotograf schöne Bilder der Künstler machen zu können.
Beides soll sich erfüllen, denn es ist gestattet, während des gesamten Konzertes zu fotografieren, vorausgesetzt, dass Publikum wird dabei nicht gestört. Somit ist in Reihe Null, vor der Absperrung, dafür gesorgt, dass die schreibende und fotografierende Zunft Sitzgelegenheiten vorfindet.
Wie bekommt man fünfzehn Musiker auf einer breiten Bühne auf ein gemeinsames Foto? Es ist so gut wie unmöglich. Nach einer kurzen Anmoderation und einem spannungstreibenden Intro öffnet sich der Vorhang und alle drei Combos stehen im Rampenlicht. Alles mal drei: Sänger, Drummer, Keyboarder, Bassisten, Gitarristen. In dieser Konstellation eine Augen und Ohrenweide. Fast schon zu viel, da man sich kaum auf einzelne Personen konzentrieren kann.
"Sternstunden" eröffnet den Reigen und läutet einen musikalisch sehr gemischten Abend ein. Tosender Jubel im Saal, Gedränge vor der Bühne und bereits jetzt 'Zugabe'-Rufe.
Den 'Solisten'-Anfang machen Karat. Seit dem bedauerlichen Tod von Herbert Dreilich habe ich die Band nicht mehr auf der Bühne gesehen. Nun sind meine Erwartungshaltungen etwas hoch, denn, ich gebe zu, Karat sind meine persönlichen Favoriten. Sein Sohn Claudius Dreilich, der seitdem für die Band singt, ist einfach grandios. Seine Stimme, seine Mimik und Gestik, seine ganze bescheidene Art, alles ist mit den Charaktereigenschaften seines Vaters identisch. Mit geschlossenen Augen könnte man meinen, er wäre noch immer da.
"Blauer Planet" und "Jede Stunde" heizen das Publikum an. Im Hintergrund laufen Natureinspielungen auf einer überdimensionalen Leinwand. Hits müssen sein, davon lebt jede Band und wenn man bedenkt, welch umfangreiches Repertoire alle Drei haben, dann ist es wahrlich schwer zu entscheiden, ob dieser oder jener Song gespielt werden soll. Immerhin ist das Programm extrem komprimiert. Dreilich stimmt "Schwanenkönig" an. Andächtige Stille im Saal und dann ein Raunen, als er die tragenden Noten singt. Über mein Objektiv kann ich jede kleine Bewegung in seinem Gesicht sehen. Er ist ergriffen und mich packt es, als "Albatross" gespielt wird. Kamera zur Seite und ich will es in Ruhe genießen. Mein All Time Favorite aller Bands aus dem Osten. Die Drums im gewaltigen Orchestermodus, Bernd Römer an der Gitarre in absoluter Höchstform. Alles sitzt perfekt bis zum letzten Ton. Mein Abend hat sein erstes Highlight erreicht.
Römer ist heute die treibende Kraft und das nicht nur bei Karat. Immer wieder wird er in Erscheinung treten und dabei die komplette Bühne für sich benutzen. Unermüdlich ist er in Bewegung, rennt von links nach rechts, erklimmt die Drumpodeste, kommuniziert mit den Keyboardern und verausgabt sich mit absoluter Leidenschaft bis zum Letzten.
"Über sieben Brücken": Jeder erwartet Peter Maffay als Überraschungsgast. Aber warum eigentlich? Es ist doch nicht sein Abend. Er möge beim Jubiläumskonzert von Karat, am 20. Juni nächsten Jahres, in der Waldbühne aufschlagen. Das ist definitiv der bessere Anlass. Der Song wird etwas abgeschwächt gespielt, so wie er ursprünglich komponiert wurde. Für mich die beste Version, ohne den Hintergrund einer Gelddruckmaschine. Mit der Zugabe "Eisblume" verabschieden sich die kommenden Jubilare ganz langsam, aber nicht, ohne noch ein Werk aus der gemeinsamen CD der drei Legenden zu spielen. In Begleitung von Dieter 'Maschine' Birr gibt es mit "Ufer der Nacht" noch einen oben drauf, bevor es in eine 120-Sekunden-Umbaupause geht.
City stehen als Nächstes auf dem Plan. Mit ihnen kann ich leider am wenigsten anfangen. Natürlich stehe ich auf "Am Fenster" und habe mir damals sofort die LP zugelegt. Aber im Laufe der Jahre, sind sie mehr oder weniger an mir vorübergegangen. Mit "Amerika", begleitet von 'Maschine' Birr, "Casablanca" und "Kleine Hände" kenne ich zwar noch einiges mehr, aber als Fan kann ich mich leider nicht offenbaren. Somit sehe ich den Auftritt der Band eher aus der nüchternen Perspektive, natürlich nur so lange, bis das besagte Fenster geöffnet wird. Geiger und Bassist Georgi Gogow ist in seinem Element. Normalerweise ein Monumentalwerk von siebzehn Minuten, wird es in der Single-Version dargeboten. Nicht minder sensationell, dafür aber auf das Wesentliche beschränkt. Auch bei Toni Krahl und seinen Mannen bleibt das Alter nicht ohne Folgen. Drummer Klaus Selmke sitzt nicht mehr ganz so tief und Gitarrist Fritz Puppel zieht seinen Hut immer weiter ins Gesicht, um sein markantes Konterfei zu verdecken. Dennoch, nach der tiefgründigen Musik von Karat ein gutes Zwischenspiel und eine hervorragende Überleitung zu den Puhdys, denen heute die meisten Songs gegönnt werden.
Was soll man nur spielen, wenn man diese stattliche Anzahl von Tonträgern veröffentlicht hat und einen Hit nach dem anderen aus dem Ärmel schütteln kann? Selbstverständlich die Klassiker. Aber auch deren sind es enorm viele. Dann eben eine Mischung aus beidem. Sie kommen per "Schiff" und befinden sich auf dem Weg zu Ihr. "Geh zu Ihr" aus dem "Paul und Paula"-Film, lässt die Massen im Saal jubeln. Bei "Kühle Lady" wippt eine riesige aufblasbare Lady mit erhobenen Mittelfinger über die Bühne. Nun gut, es gäbe bessere Titel. "Es war schön" verbreitet Melancholie, da ja damit noch einmal betont wird, dass das Ende nicht mehr fern ist. Wenn ein Mensch lange Zeit lebt, dann hat er viel erlebt und noch mehr zu erzählen. Erst im hohen Alter kommen diese Songs, ebenso wie "Lebenszeit" zur Geltung und wohlverdienter Würde. Jetzt wird jedem klar, was die Puhdys damit vor über vierzig Jahren ausdrücken wollten: Gemeinsam durch dick und dünn, über einen gesamten Lebenszyklus. Die Mitglieder der Band untereinander, die Band und deren Fans und viele weitere Beispiele, die man anführen kann. Sie haben bis jetzt am längsten durchgehalten und es wäre ihnen zu gönnen gewesen die Fünfzig zu vollenden. Sie sind nun "Alt wie ein Baum" und werfen ein letztes Mal ihre Blätter ab. Andächtig genieße ich "Lebenszeit" wieder ohne meine Kamera. Für Sekunden denke ich über mein Leben nach und wische mir eine Träne nach der anderen aus dem Gesicht. Wie lange wird mir wohl noch bleiben?
Mein moralischer Anfall vergeht mit dem Blick auf die Setliste. Es ist auch nicht ganz grundlos, weshalb mein Platz ausgerechnet vor den Gitarristen ist. Natürlich ist es eine Pflicht der Puhdys, beim Heimspiel in Berlin den Eisbären-Song zu spielen. Zwar ist der Verein EHC Eisbären in dieser Saison nur mittelmäßig, aber noch ist nicht alles gelaufen und die Chance auf die Play-offs ist noch vorhanden. Also muss der Gassenhauer herhalten und der bekennende Fan Bernd Römer hat eine seiner Gitarren für diesen Anlass im Design der Bären per Airbrush verschönern lassen. Die Künstlerin von PTN-Airbrush ist unter den Zuschauern vor der Bühne und ich habe die wichtige Aufgabe, einige vernünftige Fotos vom Sechssaiter zu schießen, da das Teil nach der Tour seinen Ehrenplatz in einer speziellen Vitrine in der O 2 World bekommen wird. Der Song läutet auch das große Finale ein, bei dem alle Musiker noch einmal gemeinsam auf der Bühne stehen um "Wir sind wir" zu performen. Auch der Eröffnungssong "Sternstunden" kommt noch einmal zum Zuge und während sich jeder bei jedem bedankt, klingt ein sehr schöner musikalischer Abend mit viel Nostalgie aus.
Auch für mich als Wessi, der nicht so intensiv mit der Musik der DDR aufgewachsen ist, ist der Auftritt der Rock Legenden eine Reise durch mein Leben. Ob ich nun entscheiden kann, ob es sich um Legenden handelt, die dort oben auf der Bühne stehen? Ja, ich denke das sind sie ganz gewiss. Zwei der Drei werden uns ja wohl noch einige Zeit begleiten, bis auch der Letzte seine verdiente Rockerrente antreten wird. Aber, ob ich und andere Zuschauer dann noch fit genug sind, um Konzerte besuchen zu können? Wer weiß, wer weiß.
Vielen Dank an Semmel-Concerts für die Akkreditierung.
Line-up:
City
Toni Krahl (Gesang)
Fritz Puppel (Gitarre)
Georgi Gogow (Geige, Bass)
Manfred Hennig (Keyboard)
Klaus Selmke (Schlagzeug)
Karat
Claudius Dreilich (Gesang)
Bernd Römer (Gitarre)
Christian Liebig (Bass)
Martin Becker (Keyboard)
Michael Schwandt (Schlagzeug)
Puhdys
Dieter 'Maschine' Birr (Gesang, Gitarre)
Dieter 'Quaster' Hertrampf (Gesang, Gitarre)
Peter 'Bimbo' Rasym (Bass)
Peter Meyer (Keyboard, Saxophon)
Klaus Scharfschwerdt (Schlagzeug)
|