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Das 19. TFF vom 02. - 05.07.2009 Rudolstadt/Thüringen
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Das 19. TFF vom 02. - 05.07.2009
Rudolstadt/Thüringen
Festivalbericht
Stil: World Music, Folk, Roots Music
Artikel vom 12.07.2009
Norbert Neugebauer
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TFF 2009 - es bleibt fröhlich
Lucinda Williams und die Spirits von Rudolstadt
Kurz nach dem Urlaub blieb keine Zeit für lange Vorrecherchen zum diesjährigen TFF. Große Veränderungen waren nach den erwartungsvollen Blicken im Vorfeld auf die Festival-Homepage nicht zu erwarten. Der RUTH-Preis wurde verliehen, u.a. an den Söllners Hans, den unbeugsamen Rastaman aus OBB. Die Laute war das magische Instrument, Russland Länderschwerpunkt und nach einer Pause durfte Baden-Württemberg wieder einen regionalen Schwerpunkt setzen. 'Männertänze' standen diesmal im Spot der Bewegungsfreudigen. Und bei nur einem Tag des langen Wochenendes blieb auch grad Zeit für einen selektiven Querschnitt durch das Geschehen zwischen Schloss Heidecksburg und Heinepark, Jugendzentrum Saalgärten und Theater.
Ehrlich gesagt, die Qual der Wahl war diesmal eine sehr geringe. Statt des bisherigen Überangebots an interessanten Auftritten, die selbst mit einem disziplinierten Zeitplan, verbunden mit Eilmärschen durch die Spielstätten, nicht annähernd auf die Reihe zu bekommen waren, ließ das Programm diesmal eher Raum für individuelles, beschauliches Schlendern in der Sommersonne. Sprich, es war deutlich ausgedünnt, bekannte Namen eher Mangelware und zudem wurden Künstler mitunter von einer Bühne gleich zur nächsten geschickt. Aber auch sonst hatten nicht nur ich und meine Begleiter den Eindruck, dass es 'weniger' war als in den Vorjahren. Bei den Gigs, bei den Musikern aus aller Welt, bei den Buden, in der Instrumentenbaustraße, bei den Zuschauern - praktisch überall. Dass, wie jetzt nachzulesen, trotzdem wieder neue Besucher- ( »fast 70.000« - hatte ich im letzten Jahr aber auch zusammengezählt!) und andere Rekorde (18.500 Dauerkarten) von den Veranstaltern gemeldet wurden, ruft sicher nicht nur bei mir einige Fragezeichen hervor. Wie diese optische 'Entzerrung' in der baustellenübersäten Altstadt gelang, mag Geheimnis der Veranstalter bleiben und soll auch nicht hier über Gebühr spekuliert werden.
Andere Änderungen waren augen- und ohrenfällig. Die ehemals mit Überdachung und PA versehene Neumarktbühne war zum offenen und unverstärkten Podium geworden, was aber ein Ensemble wie das heimische Mandolinenorchester Wanderlust bestens zur Geltung brachte. Auch die tristen Fassaden der leerstehenden Gebäude hatten ein kleines Make-Up vom Stadtverschönerer Jürgen B. Wolff bekommen, dessen markante Arbeiten allerdings sonst kaum zu sehen waren. Weniger ideal dagegen die seit einiger Zeit zweifache Location auf dem großen Marktplatz, die sich doch akustisch (wie teilweise auch die Spielstätten im Heine-Park) gegenseitig beeinträchtigt. Aber eigentlich wird jedes Jahr an den Bühnen etwas verändert, das spielt also keine große Rolle. Eines war jedoch heuer noch besser, was zeigt, dass die Verantwortlichen sehr wohl auf Kritik reagieren: Der Sound. Genau richtig in der Lautstärke, mit dem richtigen Rums und dennoch gut ausbalanciert. Dickes Kompliment an die Leute an den Reglern, die ganz offensichtlich nicht mehr nach der Maxime feuern: »Wir sind die Macht!« Bei den Besuchern gab es relativ viele junge, allerdings kaum mehr Freaks, ein demografisch adäquater größerer älterer Anteil, aber die Schicht zwischen 25 und 45 war deutlich unterrepräsentiert.
Doch nun endlich - zur Musik! Ja, immer noch folkig, world-mäßig, rootsig, ungewöhnlich, zart, intensiv, folkloristisch-heiter, schräg, heftig, umwerfend, krachig, original, originell, adaptiert, filigran verwebt oder eher bieder zusammengeschraubt, zum Zuhören, zum Abrocken, zum Mitmachen und zum Tanzen. Natürlich zum Tanzen. Auch wenn das Tanzen nicht mehr offiziell im Namen des Festivals geführt wird, gedreht, gehopst, geführt und gewogen wird immer noch. Im eigens dafür mit Holzboden versehenen Zelt, im Stadthaus und spontan auch bei den anderen Spielstätten. Die Konzerte begannen bereits am Donnerstag abend mit Gogol Bordello & La Cherga und endeten in der Sonntagnacht mit Hans Söllner & Bayaman' Sissdem jeweils auf dem Schloss. Dazwischen lagen rund 275 Auftritte von etwa 1.250 Künstlern aus 40 Ländern. Unsere samstägliche Runde begann im Stadthaus, das auch das Medienzentrum beherbergt. Eine kleine Frau mit einer großen Rahmentrommel erzählte im Saal Geschichten aus ihrer fernen Heimat Kamchatka und über die Tänze, die sie wohl in dritter oder vielleicht schon vierter Generation an offensichtlich begeisterte Kinder weitergibt, die in Fellstiefeln und T-Shirts ihr Können ( Or'jakan) zeigten. Ein Gaukler scharte beachtlich Zuschauer um sich auf dem hinteren Teil des Marktplatzes, während vorn auf
der Hauptbühne die älteren Troubadure von Ti-Coca & Wanga Négès aus Haiti ihren Hula-Sound checkten. Der war durchaus ansteckend, konnte uns aber nicht sehr lange fesseln. Die kleine Bühne der 'Kleinkunstbühne' fasste die junge Schar der Saline Fiddlers kaum, die mit zwei Dutzend Streich- und ein paar Zupfinstrumenten einen bunten Mix aus US-Folk aller Spielarten, angereichert mir Jazz und Swing, auf die begeisterten Zuhörer losließen. ?Shmaltz! mischte dann mit ihrer Melange aus Balkan-, Klezmer-, Worldmusik und schrägen Klängen den wie immer rammelvollen Handwerkerhof auf. Das 1919 in Rudolstadt gegründete Mandolinenorchester zog nicht nur einheimische Fans an, sondern machte mit seinem feinen Klang auch vielen auswärtigen Fans offensichtlich viel Spaß.
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Dann ging es über die Saale in den weitläufigen Park mit seinen Spielstätten und dem großen Kinderfest. Im Konzertzelt zelebrierten die kräftig gebauten Unthanks-Schwestern mit ihren beiden Mitmusikerinnen tiefe
Melancholie, die je nach Gemütsverfassung wohl als angelsächsische Inbrunst oder als Pathos ausgelegt werden kann. Dass sich ein Alt-Folkie allerdings grad den Platz für die Presseleute für seine Meditation ausgesucht hatte und sich dann über die endlosen 'Klicks' der Kameras sowie einen verbauten Blick beschwerte, hat zwar so etwas Amüsantes. Andererseits sind wir Presseleute mitunter durchaus ein störender Effekt, da nicht durchsichtig. Ich stimme ihm allerdings zu, dass die von keiner erzieherischen Hand gebremsten Gören der Spätgebährenden-Generation nichts auf einer Bühne verloren haben, auf der Musiker in voller Konzentration und Andacht a capella singen. Vorbei an den üblichen Buden mit Hippieklamotten, alternativem Essen, heilenden Zeremonien und Schwarzbier, an Feuerschluckern und Digeridoo-Trötern schlängelten wir uns dann durch die im weiten Umkreis im Gras lagernden Zuhörer der Großen Bühne, auf der grad Capercaillie
ihren schottischen Folk-Pop anstimmten. Die vielköpfige Gute Laune-Musik war genau richtig für diesen warmen Sommerabend im Park und riss die Musiksüchtigen mit.
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Mit einem Abstecher ins Tanzzelt, dessen Boden unter den Stampfschritten der Paare zu Norske Dansare bebte, traten wir dann den langen Weg zur Heidecksburg an. Beim obligatorischen Stop an der Weimarer Bierbude auf der Burgterrasse hörten wir noch die lauthals geforderten Zugaben der Deadly Gentlemen, die sehr lebendig amerikanische Roots Music spielten. Dann kam mit einiger Verzögerung (für die sich der Manager sehr höflich bei uns Fotografen entschuldigte) die wohl von vielen Gästen als Höhepunkt des diesjährigen TFF erwartete Lucinda Williams.
Die Grand Dame des Alternative Country ließ sich dann auch nicht lang bitten, sondern rockte vom ersten Song an kräftig los. Sehr schnell kam die frisch brünierte Lady mit dem dicken Kayal-Lidschatten aus der Reserve und genoss ihren Auftritt im Hof des Schlosses. »There are a lot of spirits around« meinte sie gut gelaunt ins Publikum, das die 57-Jährige im Handumdrehen erobert hatte. Zwar stehen einige ihrer CDs in meinem Plattenregal, aber so richtig vom Hocker hatte sie mich bisher nicht gerissen. Seit den frühen Morgenstunden des TFF-Sonntags darf mich Frau Williams jedoch zu ihren Fans zählen. Ein klasse Konzert, leidenschaftlich, emotional, jedoch kaum was aus der New Country-Ecke, sondern sehr straight und fetzig. Die
Besetzung war entsprechend ausgelegt, keine Pedal Steel, keine Fiddle, keine Tasten, aber drei Gitarren, Bass und Schlagzeug. Abstecher in schwer blueslastige Gefilde, astreiner R'n'R, ein paar ergreifende Lovesongs und dann natürlich ihre neue Hymne "It's A Long Way To The Top" - genau der AC/DC-Klassiker, ihr wie auf den Leib geschneidert. Lucinda Williams, wieder mal frisch (und offensichtlich noch glücklich) verliebt, geht es wohl sehr gut im Moment. Und das zeigte sie in Rudolstadt anderthalb Stunden lang ohne Pause. Das Konzert war in jeder Hinsicht ein Genuss, selbst in den Ecken des Hofs war der Sound noch absolut in
Ordnung, transparent und trotzdem druckvoll, wie es für einen Rock-Gig sein muss. Definitiv einer der besten Auftritte, den ich in den letzten Jahren im rockigen Bereich der TFFs erlebt habe.
Als Ausklang und weil unser Auto eh in der Nähe geparkt war, schauten wir im Jugendhaus Saalgärten vorbei, in dem bis in die Morgenstunden Clubsounds und Live-Mucke die Unersättlichen wach halten. Elijah & The Dubby Conquerers aus Zürich sorgten mit Ska, Reggae und Dub für eine volle Tanzfläche im vorwiegend jungen Publikum, das sich an den 'Alten' in keiner Weise störte. Auch hier die Toleranz, die Rudolstadt und seine Gäste jedes Jahr am ersten Juliwochenende zu etwas besonderem macht.
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Das TFF von Rudolstadt ist immer noch ein besonders schönes Festival, auch wenn sein folkig-buntes Gewand nun doch schon ein paar ausgebleichte Stellen hat und an anderen auch etwas fadenscheinig wird. Da würden für das Jubiläum im nächsten Jahr mal ein paar kräftige neue Flicken schon für einen besseren Eindruck sorgen. Ich empfehle den Verantwortlichen, die Diskussion im TFF-Forum nicht zu ignorieren und sehr aufzupassen, dass sich keine braunen Maden in irgendwelchen Falten sammeln. Einmal eingenistet, wird man die Brut nicht mehr los und sie verdirbt den besten Rock. Wehret den Anfängen, es wäre schade um Rudolstadt!
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