Evergrey / Glorious Collision
Glorious Collision Spielzeit: 65:44
Medium: CD
Label: SPV/Steamhammer, 2011
Stil: Melodic Prog Metal

Review vom 05.11.2011


Jochen v. Arnim
Jesus Christ, was für ein Booklet! Dass die Düster-Männer aus Schweden wahrlich bekannt für die Schattenseiten des Lebens sind, ist bereits seit ihrem Debüt "The Dark Discovery" vor 13 Jahren klar. Wenn ich mir aber diese reiche Bebilderung der vorliegenden Scheibe ansehe, dann wird mir angst und bange. Eigentlich braucht man keine einzige zusätzliche Textzeile, denn die Grafiken sagen schon alles: Hier werden mal wieder sämtliche üblen Dinge des Lebens bedient, die man sich so vorstellen kann. Vom Drogentod, den Ertrinkensängsten, dem Abstürzen in grausame Tiefen bis hin zur Verzweiflungstat Selbstmord ist wirklich nichts ausgelassen. Kein Booklet für kleine Kinder.
Egal, wichtig ist die Musik und da war ja nicht so richtig klar, was nach der personellen "Flurbereinigung" im Jahr 2010 so alles passieren würde, hatte Eglund doch quasi nahezu die komplette Band ausgetauscht. Der frische Wind sollte den Ausbruch aus den festgefahrenen Strukturen des ersten Jahrzehnts dieses Jahrtausends garantieren. Und wie der Wind weht, wird auf dem aktuellen "Glorious Collision"-Album deutlich, das im Gatefold Digi-Pak mit Booklet, Poster und einem Bonus-Track vorliegt. Vierzehn Songs auf etwas mehr als einer Stunde in guter alter Evergrey-Manier. Gute und alte Manier, darunter könnte man vorweg greifend das Fazit dieser Rezension betiteln, denn Eglund hat seine neuen (außer Zander an den Keyboards) Mitstreiter offensichtlich nach der Scheibe Torn einen weiteren Schritt zu den früheren Jahren geschoben und erneut auf alte Evergrey-Tugenden besinnen lassen.
Direkt schon der Opener "Leave It Behind Us" macht unmissverständlich klar, was hier angesagt ist. Die ersten Töne klingen wie Musik aus einem der tollen, düsteren und brutal deprimierenden skandinavischen Krimis, die derzeit besonders sonntags unsere TV-Kanäle beherrschen. Nach zwei Dutzend Sekunden aber knallt dann ein hartes Riff aus den Speakern und Tom Eglunds grandiose Stimme überlagert die Kollegen. Schön eingeflochtene Synthesizer-Klänge lockern das Arrangement auf und trotzdem wird der Hörer immer wieder durch geschickte Breaks und Tempowechsel auf das schwermütige Anliegen fokussiert. Direkt danach folgt mit "You" ein nächster Anspieltipp. Eglunds Gesang konnte man ja noch nie etwas Bedrohliches, Verfolgendes absprechen und er haut auch hier wieder voll in die Kerbe, unterstützt von pointiert einsetzenden Riffs. Etwas moderater im Tempo kommt "Wrong" daher, das nahezu ausschließlich vom Gesang lebt. "Frozen" dreht wieder deutlich am Gasgriff und legt auch erneut an Härte zu, beides wird in epischer Breite zelebriert. Wie ein roter Faden zieht sich nicht nur in diesem Track, sondern durch das komplette Album der meines Erachtens wieder verstärkte Einsatz der Tasten im Kontrast zu den schweren Riffs der Sechssaitigen. Überhaupt eines der subjektiv positiv empfundenen Merkmale der Schweden, diese Fähigkeit, mit ihren Arrangements ständig zwischen 'voll auf die 12' und melodischen und eindringlichen Passagen zu wechseln. Immer wieder schaffen sie es, ihr düsteres Gesamtkonstrukt nach vorne zu treiben, wenn man sich gerade mal beim Entspannen und Genießen ertappt hatte.
Dieses Entspannen funktioniert natürlich nur, wenn man sich einen Dreck um die Texte und die vor dem inneren Auge ablaufenden Filme schert. Da möchte man eigentlich selber ganz schnell zu den Pillen oder dem Strick greifen. Ich empfehle jedem Hörer, mal ein ruhiges Stündchen zu nutzen und sich das kleine Poster mit den Lyrics einzuverleiben. Jeder 'Mützendoktor' würde sich über solche Patienten freuen - er würde nie arbeitslos werden.
Trotz dieser Aussagen glaube ich, dass so einige der Tracks, wenn sie gut vorgetragen sind, live unglaublich gut kommen. Die Scheibe fällt meines Erachtens gegen Ende ein wenig ab, hat aber z. B. mit den Gitarren- und Pianoparts auf "It Comes From Within" durchaus noch Highlights. Auch das choral anmutende Klang-Intro macht richtig Angst, wird aber zum Glück bald von einem tollen Riff abgelöst - Anspieltipp, nicht zuletzt wegen des später einsetzenden Gitarren-Solos. "Free" ist mir persönlich ein wenig zu sehr Ballade, lebt aber erneut von der großartigen Stimme des Frontmannes und wird direkt im Anschluss von dem druckvollen "I'm Drowning Alone" wieder rausgerissen. Der letzte Track "…And The Distance" mit seinem anfangs sehr gezügelten Tempo und den teilweise nur andeutungsweise eingeflochtenen Gitarrenlauten rundet dieses Album perfekt ab. Wir bekommen noch einmal eine bedrohliche Double-Bass, geile Riffs und einen wunderbar getragenen mehrstimmigen Gesang auf die Ohren. Auf dem gleichnamigen Bonus-Track darf Carina Eglund ihre Sangeskunst zum Besten geben und vermittelt dem Song eine etwas andere Note, da auch ansonsten das Arrangement ein wenig variiert und Tom 'nur" die zweite Stimme geben darf. Not bad, my friends, not bad at all. Kaufen!
Bevor ich mich jetzt auf die Couch des Psychiaters meines Vertrauens begebe, möchte ich mit den folgenden Konzerthinweisen schließen: Für einige wenige Shows sind Evergrey bald in Reichweite und können außer im niederländischen Tilburg (9.11.) sowie im belgischen Genk (11.11.) und in Mons (12.11.) bei uns sonst live nicht unter die Lupe genommen werden - es sei denn, eine Reise nach Schweden stünde auf dem Programm.
Line-up:
Tom Eglund (vocals, guitar)
Marcus Jidell (guitar)
Johann Niemann (bass)
Rikard Zander (keyboard)
Hannes van Dahl (drums)
Carina Eglund (vocals - #14)
Tracklist
01:Leave It Behind Us
02:You
03:Wrong
04:Frozen
05:Restoring The Loss
06:To Fit The Mold
07:Out Of Reach
08:The Phantom Letters
09:The Disease…
10:It Comes From Within
11:Free
12:I'm Drowning Alone
13:…And The Distance
14:…And The Distance (feat. Carina Eglund)
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