Wir sind irgendwie von Anfang an in der Prog-Ecke gelandet.
Rocktimes Interview Nach sechs Jahren Pause veröffentlichen Everon endlich ein neues Werk - "North". Also wollten wir uns bei Oliver nach dem Grund für die lange Schaffenspause erkundigen.



Interview vom 19.07.2008


Michelle Karayilan
RockTimes: Hallo Oliver, vielen Dank, das Du Dir Zeit nimmst, um für RockTimes ein paar Fragen zu beantworten. Dies ist übrigens mein erstes Telefon-Interview, ich habe auch sonst noch nicht viele Interviews ausgearbeitet und bin etwas nervös.
Oliver: Gerne doch. Mir persönlich ist es über phone lieber, als ständig über Mail die gleichen Fragen zu beantworten.
RockTimes: Dann falle ich gleich mal mit der Tür ins Haus, North ist ja jetzt schon eine Zeitlang veröffentlicht, wie ist die Resonanz zu dem Album?
Oliver: Hm, es sind gerade mal ein paar Wochen in etwa, in denen man das Album käuflich erwerben kann. Nun, zu den Verkaufszahlen kann ich nichts sagen, jedoch seitens der Kritiker ist die Resonanz positiv.
RockTimes: Du wolltest, wie man es beim ersten Track "Hands" hören kann, das Album gitarrendominanter wirken lassen. Wobei ich sagen muss, dass es zum Glück nur bei diesem einen Song so ist.
Oliver: Warum, findest Du diesen Song scheiße?
RockTimes: Nein, ich mag nur die anderen mit orchestralem Sound lieber.
Oliver: Jaaaa, ich arbeitete bislang immer viel mit Orchestrierung und wollte halt mal etwas anderes machen. Aber es hat nicht lang gehalten, das ist schon wahr. Irgendwie kann ich nicht so aus meiner Haut.
RockTimes: Ich finde es auch gut so.
Oliver: Also hat "North" Dir gefallen?
RockTimes: Auf jeden Fall! Aber ich mag bis jetzt alle Alben von Euch. Das Cover, sowie einige Songs kommen sehr düster rüber. Reflektieren diese eine Phase, die Du durchlebt hast?
Oliver: Ja, das ist wohl eher Zufall, aber ich denke alle Songs sind fast so, dass sie ins Melancholische gehen. Das ist für die Musik schon echt typisch, die Lieder sind ja eher poetisch aufgebaut und da passt wohl 'gute-Laune-Musik' nicht so. Außerdem mag ich diese Art Musik nicht singen. Es ist aber nicht so, als würde ich nur Trübsal blasen, oder mich ins Schwert stürzen.
RockTimes: Judith Stöber war ja das erste Mal bei "Flesh" zu hören, wie kam es eigentlich dazu?
Oliver: Ich kenne Judith schon seit Anfang der 90er Jahre als Studiosängerin und da haben wir sie einfach mal gefragt, ob sie auch mal was mit Everon singen würde. Ich bin kein großer Fan meiner eigenen Stimme und daher schummele ich ganz gern mal eine andere mit rein.
RockTimes: Ja, aber vor "Flesh" war sie nicht zu hören.
Oliver: Das ist richtig. Auf "Bridge" hatten wir Gunther Theys als Gastsänger. Ich hätte Judith auch gerne mehr singen lassen, da ich mich nicht als den begnadeten Sänger sehe.
RockTimes: Och, ich finde Deine Stimme gut.
Oliver: Na ja, da gibt es wohl ein paar die das meinen, deshalb muss ich wohl singen. Ich will ja auch nicht sagen, das ich scheiße singe, jedoch habe ich durch die Studioarbeit mit wirklich guten Sängern gearbeitet. Ich halte meine Stimme für sehr limitiert und kann nur durch den Ausdruck punkten, da liegen meine Stärken. Es gibt halt Sänger, die wesentlich besser sind.
RockTimes: Okay, es gibt jedoch auch genügend, die wesentlich schlechter sind.
Oliver: Schlechter geht immer. (lacht)
RockTimes: "Islanders" ist für Everon eher untypisch, da dieses Lied recht poppig angelegt ist, oder?
Oliver: Untypisch? Nein, eigentlich nicht. Auf "Flesh" gibt es da z.B. den Song "Already Dead", der auch poppig ausgerichtet ist. Ich höre ganz gerne 'Erwachsenen-Pop'.
RockTimes: Also ein bisschen mehr mit Anspruch?
Oliver: Ich mag hier dieses Wort 'Anspruch' nicht so sehr, das klingt immer so nach Proggie. Pop-Musik hat oft ein eher negatives Etikett, gerade in der Rockszene, dabei gibt es hervorragende Popmusik, die auch handwerklich sehr gut gemacht und sehr geschmackvoll ist.
Ich mag diese ganze Protzerei nicht, die es oft im Metal gibt, wie so superschnell spielen und »guck mal was ich kann«. Ich mag Songs mit klaren Strukturen. Diese extremen Prog-Fans können mit unserer Musik wohl weniger etwas anfangen, aber damit kann ich leben und es ist wohl alles Geschmacksache.
RockTimes: Nun, ich mag diese extremen Prog-Sachen, die besonders schräg klingen, gar nicht.
Jetzt habe ich noch eine andere Frage: In dem Track "Running" fallen mir besonders bei den Keyboardpassagen Ähnlichkeiten zu Saga auf, bist Du ein Fan von ihnen?
Oliver: Ich kenne zwar Saga, aber sollten Ähnlichkeiten vorhanden sein, dann ist das Zufall. Vielleicht liegt es daran, dass man das gleiche Equipment nutzt.
RockTimes: Du schreibst ja die Musik und die Texte, hat da die Band in irgendeiner Form Mitspracherecht?
Oliver: Nicht soviel, ich neige da eher dazu, etwas despotisch zu sein. Die Zeiten, als Songs im Proberaum ausgearbeitet wurden, gibt's schon lange nicht mehr. Durch die viele Arbeit im Studio ist das Proben recht wenig geworden. Ich ziehe mich immer zurück, wenn ich anfange Songs zu schreiben, und dann sind sie schon ziemlich weit ausgearbeitet. Ich und Moschus haben ja auch beruflich mit Musik zu tun. Die anderen Beiden gehen z.B. ganz normalen Jobs nach und die Songs sind dann schon zu weit ausgereift, dass sie gar nicht wüssten wo sie da eingreifen sollten. Lediglich der Moschus arbeitet seine Drumparts aus, der Rest ist dann schon fertig.
RockTimes: Was entsteht da zuerst, die Texte, oder die Melodien?
Oliver: Ich habe noch nie die Texte zuerst geschrieben, es sind zwar hier und da einige Textbrocken im Kopf, die dann auch Verwendung finden und weiter ausgearbeitet werden, aber zuerst entsteht die Musik.
RockTimes: Es gibt ja wahnsinnig viele Genres, in welchem seht ihr euch?
Oliver: Och, ich habe da keine Ahnung. Wir sind irgendwie von Anfang an in der Prog-Ecke gelandet.
RockTimes: Zwischen "Flesh" und "North" liegen sechs Jahre, warum diese lange Pause?
Oliver: Nun, man sollte nicht vergessen, dass im selben Jahr, als "Flesh" erschienen ist, zuvor auch das Album "Bridge" rauskam. Das sind immerhin in einem Jahr zwei Alben. Tja, danach hatten wir viel Arbeit im Studio und ich hatte Probleme mit meiner Gesundheit u.s.w. - die Platte hätte eigentlich schon vor drei Jahren fertig sein können.
RockTimes: Das mit den gesundheitlichen Problemen hatte ich zufällig mal in einem Forum gelesen.
Oliver: Dann kommt noch hinzu, dass so ein Album zu produzieren auch Geld verschlingt und es sich zu einem Legdrauf-Geschäft entwickelt hat. Die Entwicklung in der Musikindustrie ist auch eher negativ.
RockTimes: Das illegale Downloading macht da sicherlich einiges kaputt.
Oliver: Nicht nur das illegale Downloading. Da wäre auch noch das Filesharing zu erwähnen. Das macht Labels und Studiobetreibern schon zu schaffen, vor allem den kleinen. Um diese negative Entwicklung zu umgehen, mache ich in unserem Studio unter anderem Orchestrierung für Filmmusik.
RockTimes: Genau dieses Thema haben auch Saga im Interview angesprochen, das ich mit ihnen führte. Sie erzählten mir, dass sie z.B. in Los Angeles zwei größere Studios aufgrund dessen schließen mussten.
Oliver: Die Bands nisten sich auch nicht mehr wochenlang im Studio ein, sondern durch relativ gutes Homerecording-Equipment lassen sie ihr Zeug höchstens noch im Studio abmischen.
RockTimes: Der Sound leidet da nicht darunter?
Oliver: Nein, gar nicht. Dafür musst du allerdings auch einen guten Produzenten haben, der in der Lage ist, in kurzer Zeit Fehler auszumerzen. Da tauchen im Studio plötzlich Fehler auf, die bei den Proben nie aufgefallen sind. Die Musik und das Drumherum sind sehr technisch geworden. Jedenfalls hat keine Band mehr das Budget, das es ihnen erlaubt, mehrere Wochen ins Studio zu gehen.
RockTimes: Viele Bands wollen ja sicherlich auch nicht die hohen Kosten riskieren, wenn sie damit rechnen müssen, auf ihren CDs sitzen zu bleiben.
Oliver: Ja, diese Verkäufe sind einfach nicht mehr da und dann fehlt auch das Geld, was diese ganzen Dinge leben lässt. Mich stören diese Leute, die sich da haufenweise Megabytes runtersaugen, nur um Alles haben zu müssen überhaupt nicht, denn die kaufen eh nicht. Aber da sind mittlerweile die, die behaupten Fans der Band zu sein, aber nie etwas von denen gekauft haben und so verschwinden auch die Bands. Es zieht auch andere Branchen mit runter, so hat z.B.
Mattias Norén, der Cover Designer, auch aufgehört.
RockTimes: Wow, das habe ich gar nicht gewusst. Ich habe ihn flüchtig in Baarlo auf dem Prog Power-Festival kennengelernt und da war es noch kein Thema.
Oliver: Ich weiß auch nicht, ob ich mit Everon noch eine Platte machen werde…
RockTimes: Oh, das würde ich und natürlich alle Fans von Euch, die noch die Alben kaufen, sehr bedauern.
Oliver: Es kommt halt drauf an, wie gut sich nun "North" verkauft. Da kommt es auch auf die Promotion an. Die Promotion-Firma schickt die Scheibe dann zu den Reviewschreibern und da sind leider auch schwarze Schafe. "North" war schon ca. vier Wochen vor VÖ auf gewissen Downloadservern zu finden.
RockTimes: Tja, das ist eine Schande und sicherlich auch ein Grund, weshalb einige nur noch mit Streams arbeiten.
Oliver: Ja, oder auch mit Einblendungen in den Songs.
RockTimes: Was auch ziemlich nervig sein kann, wenn man so ein Teil besprechen soll. Es macht ja auch für den Schreiberling Arbeit die Promo zu besprechen und man sieht dann eine ordentliche Promo als gewissen Lohn für seine Mühe.
Wie kommt es, dass manche Bands öfters das Label wechseln?
Oliver: Das kann verschiedenerlei Gründe haben. Zum einen, dass vielleicht die Band bei einem anderem Label ein besseres Angebot bekommen hat, oder die Platte zuvor war nicht der Renner und das Angebot fällt wesentlich geringer aus. Oder das Label hat Pleite gemacht.
Wir haben z.B. einen schönen Vorschuss für "North" bekommen und hoffen nun, dass das Album auch entsprechend gekauft wird, sonst ist es wirklich fraglich, ob es von uns noch einmal eine Platte gibt.
RockTimes: Ich kann mich da nur wiederholen, ich würde dies sehr bedauern.
Oliver: Das ehrt uns, aber leider machen die wenigen, die noch kaufen so eine Produktion nicht bezahlbar. Es gibt immer mehr Leute, die dich kennen, aber du verkaufst weniger. Fakt ist, dass Menschen, die Platten kaufen, zur aussterbenden Spezies gehören und Argumente wie 'wären die Scheiben billiger, dann würde auch gekauft werden' halte ich persönlich für Blah-Blah.
Musikfirmen, die unsere Teenies mit Musik versorgen, machen das große Geld mit Klingeltönen fürs Handy, die man sich für teures Geld runterladen kann, jedoch nicht mit dem Verkauf von CDs. Diese geben für Klingeltöne richtig viel Geld aus, haben aber für tolle Livekonzerte kein Geld übrig.
RockTimes: Wo Du gerade Livekonzerte erwähnst - Ihr habt Eure Webseite schön gestaltet, allerdings vermisse ich die Rubrik Tourdates, oder Livedates. Wird man Euch live nicht zu sehen bekommen?
Oliver: Hm, wenn es da wirklich eine Nachfrage gibt, würde ich auch wieder ein Live-Set zusammenstellen und spielen. Geplant ist da nichts, ich bin mehr Studiomensch als Live-Performer.
RockTimes: Wenn ich mich jetzt nicht täusche, hat man Euch auch früher wenig live bewundern können, oder?
Oliver: Ja, doch im Kölner Raum, oder auch in Holland und in Belgien.
RockTimes: Die melodischen Sachen, wie z.B. auch der Neo Prog, scheint bei den Nachbarländern überhaupt besser zu laufen und ist dort mehr gefragt.
Oliver: Ja, Holland hat für solche Musik schon eine richtige Szene aufgebaut und die Konzerte sind dort auch noch richtig gut besucht. Aber was nützt hier in Deutschland ein Konzert, wenn gerade mal 15 Leute kommen?
RockTimes: Okay, ich würde auch nach Holland fahren um Euch mal live zu sehen.
Oliver: Du scheinst eine von wenigen Frauen zu sein, die progbegeistert ist.
RockTimes: Stimmt, viele gibt es da sicherlich nicht. Nun möchte ich mich für das nette Gespräch mit Dir bedanken und wünsche Dir weiterhin alles Gute.
Oliver: Auch ich danke Dir und vielleicht spricht man sich wieder bei der nächsten Platte.
RockTimes: Oh ja, ich nehme Dich da beim Wort.
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