Als Online-Musikmagazin verbindet RockTimes Musik liebende Menschen über weite Distanzen. Und so war es mir als Saarländer, der vier Wochen im fernen Berlin zubrachte, ein besonderes Fest, mit dem dort ansässigen Kollegen und Freund Mike Kempf samt seiner liebsten Conny auf musikalische Entdeckungstour zu gehen. Das erinnerungswürdige Ergebnis war ein doppelter RockTimes-Abstecher in den Jazz- und Bluesrock-Keller Quasimodo.
Für mich war's das erste Mal in Mikes 'Wohnzimmer' mit der intimen Atmosphäre eines Irish Pub. Noch besser als in den meisten Irish Pubs: Eine freundliche Bedienung, die einem die 'Pilsbrause', wie Mike das so schön zu nennen pflegt, an den Tisch bringt in dem sich langsam füllenden Musikkeller, eine gute Stunde bevor die Engländer Ezio anfangen sollten. Ezio - das war für uns beide eine Premiere. Denn die Band aus Cambridge kannten wir nicht - ein schweres Versäumnis, wie sich bald rausstellen sollte!
Der erste Kontakt mit Ezio kam kurioserweise mit modernen Mitteln der Telekommunikation zu Stande. Denn auf den runden Bartischen hatte die Band Zettel hinterlegt:
»Um Infos über Ezio zu erhalten schickt einfach eine SMS an 01…
Vielleicht lesen wir eure Nachricht während der Show vor. Also bitte nichts unanständiges, wir sind eine feinfühlige Band und man kann uns leicht aus der Ruhe bringen :-) « Auf deutsch, wohlgemerkt!
Das ließen wir uns nicht entgehen und setzen eine Message ins Ungewisse ab - auch auf deutsch - unmittelbar vor dem kurzfristig gereiften Entschluss, eine zweite Runde kohlesäurehaltigen gelben Multivitaminsaft zu konsumieren. Wir wurden nicht enttäuscht, weder von den Produkten des Berliner Hopfenpressertums, noch von der sympathischen Publikumsnähe dieser Band - natürlich bekamen wir diese SMS nochmal zu hören!
Mit satter Verspätung, die Mike und ich nutzten, um unsere Erwartungen von einem jungen, glühenden Ezio-Fan schüren zu lassen, betraten zwei Herren mit Gitarre kurz nach halb elf die Bühne. Drumset und Orgel-Hocker blieben vorerst leer, während der 'Chef', Ezio Lunedei am Gesang und der Akustikgitarre mit seinem körpergewaltigen Kompagnon Booga an der Halbakustischen ein paar Stücke zockten und die Zuhörer verzückten.
Publikum war inzwischen reichlich erschienen - ein Mix von Leuten im besten Bluesrock-Alter und erstaunlich vielen, sehr jungen Leuten. Die hatten verdammt viel Spaß und kannten sich super mit der Musik der Band aus. Sie sangen und wippten mit und grinsten breit und glücklich von der allerersten Sekunde an. Eine tolle Stimmung!
Kurz später traten dann auch Alex Reeves am Schlagzeug, Lidia Cascarino am Bass und Allzweckwaffe Lee 'The Reverend' Russel aus dem Backstagebereich auf die Bühne - allesamt ziemlich stilvoll 'upper casual' gekleidet und eine gewisse würdevolle Coolness ausstrahlend. Zu fünft zauberten Ezio einen erfrischenden Cocktail auf die Bretter. Da gab es still bezaubernde, nachdenklich verträumte Folk Rock-Melodien - Texte wie »You don't have to be braver than you are; it's okay to be scared sometimes« haben sich tief in meinen Gehörgang eingebrannt. Aber auch unbeschwerte temporeiche Nummern mit beherzt mitreißenden Akustik Rock-Drives wie "Hotel Motel", dessen Stimmung mich ein wenig an "For What It's Worth" von Buffalo Springfield erinnert hat.
Das Quasimodo war voller Ezio-Insider; und ich beobachtete eine Zeit lang ein paar junge Mädels, die bei den wehmütigen Songs über verflossene Liebe mit glasigen Augen mitträumten und beim nächsten halbakustischen Rock'n'Roller schon wieder sportlich mittanzten. Der Funke sprang ganz schnell auf Ezio-Newbies wie Mike, Conny und mich über. Denn der Frontmann zeigte sich ganz Fan-nah und ließ uns immer mal wieder mitsingen: »You took us higher than we'd ever been, you took us higher than we'd ever been...«
Zwischendurch präsentierte Ezio Lunedei dem Publikum seinen speziellen Humor. »Would you like a slow or fast song now?« - »Feeeehhhst!« tönte es aus hunderten von Kehlen. - »Oh, I hate fast songs. Those times are gone. I only write slow songs now. I have a few new slow songs for you« kündigte er an, ohne seine Drohung wahr zu machen und ohne eine Miene zu verziehen. Mann, Mann, der Typ is 'ne coole Sau…
Irgendwann zwischen Anekdoten aus dem Tourleben wie die über »real, I mean r e a l doner kebabs in Portsmouth«, die nur aus Zwiebeln gemacht werden, zückte der Frontmann dann auch sein mobile phone und verlas die Kurznachrichten. Wir waren ganz, ganz gespannt! »Oh, this one is in Geeeeerman… let's see, bluesrockige Gruuuuussie von Conny, Mike uuund Borrrris won RockTimes. LASST KRACHEN, JUNGS! Gibt es dafuuur jazzt Fraibeer?!« Wir waren mächtig stolz auf den Jungen da vorn!!
In der Pause lernten wir dann noch John und Diana aus Irland kennen - mal wieder ein Beispiel dafür, dass man unter Musik liebenden Menschen immer tolle Bekanntschaften macht! John ist Hobbyfotograf und setzte direkt vor der Bühne seine fette Linse auf Ezio an, was dem Frontmann nicht entgangen ist: »Hey, you got a big one there! Remember me not to go to the gym with you…«
Beim nächsten Wunschkonzert forderte der junge Ezio-Fan vom Anfang lautstark "James Brown!" Angeblich könne Booga den super nachmachen, steckte er uns… Expect the unexpected, sag ich da nur: Ezio Lunedei machte lieber selbst den 'Godfather of Soul', allerdings mit einer butterweichen Schmuseversion von "It's A Man's World". Wir haben uns echt weggeschmissen… Ein Typ aus der letzten Reihe fordert später den Song "30 Years!" Den gibt's gar nicht, lerne ich bald, er meinte wohl "30 And Confused". No problem, Ezio & Konsorten improvisieren ein rabenschwarzes Musik-Gedicht über 30 Jahre Horror-Ehe, schaffen es damit unter schallendem Gelächter über mehrere Strophen und kapitulieren erst beim Refrain.
Nicht improvisierte Musik gab's auch noch, und die war ungeheuer facettenreich! Mal Folk Rock, mal Country, dann lässiger Akustik Rock à la Jack Johnson, mal ein wenig 'alternative', dann as bluesig as can be. Lee Russel bediente die unterschwellig einen Vibe von Classic Rock verströmende Orgel, streichelte seine Lap Steel auf den Schoß, packte in eher seltenen Fällen eine dritte, dann sogar elektrische Gitarre aus und spielte unentwegt mit seinen Percussion-Instrumenten, darunter ein Apfel, mit dem er rhythmisch vor seinem Mikro durch die Luft wedelte und der erstaunlich echt aussah… ein Umstand, der uns lange an unserem Verstand zweifeln ließ. Lee, Sunnyboy Alex am Schlagzeug und Basserin Lidia hielten sich aber überwiegend im Hintergrund.
Denn die Stars sind ganz klar Ezio himself und sein 'großer' Nebenmann Booga. Ezio Lunedei beeindruckte uns mit seinen irre flinken Fingern an der Akustischen. Das ist schon eine großartige Sache, dass man im Quasimodo, wenn man früh da ist, auch so nah dran sein kann und den Leuten auf die Finger gucken kann. Die Bühne ist vielleicht gerade mal 40 Zentimeter hoch und ohne jede Art von Abgrenzung. Man steht dem Künstler gegenüber wie sich selbst frühmorgens vor dem Spiegel im Badezimmer. Nur, dass ich nicht derart filigran das Zahnseiden-Lasso schwingen kann wie dieser kleine Mann die Saiten bedient. Bei einem Song spielt er zusätzlich noch die Mundharmonika. Sein emotionaler Gesang, der manchmal etwas an Ray Wilson erinnert, ist zudem nicht von schlechten Eltern und wirkt sehr authentisch.
Ein imposanter Hingucker neben ihm ist Booga - ein Berg von einem Mann, ein echter XXL-Typ von der Gewichtsklasse eines Bud Spencer, aber ganz friedlich. Bei Booga staunten wir sogar über die Größe der Armbanduhr - eine Sonderanfertigung?? Auf jeden Fall hat Booga es mächtig drauf und beeindruckt die Anwesenden mit filigranen Soli am laufenden Band. Gar nicht übel, meint der Mike neben mir, der allerdings schon Joe Bonamassa an gleicher Stelle bewundern durfte und da könne auch der Booga nicht gegen anstinken. Booga mit seinen im Takt mitschwingenden Kräusel-Löckchen ist aber vor allem unheimlich beliebt beim Publikum. Er ist Kult und erntete reihenweise Applaus auf offener Szene.
Gegen Ende gab es nochmal musikalischen Slapstick de luxe: Beim Song "59 Yards" ging die Textzeile »One day I'm gonna die, one day I'm gonna die« in die Endlosschleife; und Ezio Lunedei gab als brillanter Schauspieler diverse Interpretationen zum Besten. Zunächst sang er als 'The Man', Johnny Cash, dann als Al Pacino, dem Ezio zudem noch zum Verwechseln ähnlich sieht! Nun spielte er den Ball an die Fans weiter. Zur Beförderung unserer Ausgelassenheit griff er meinen spontanen Vorschlag einer Michael Jackson-Version gern auf und zeigte uns einen Eunuchengesang mit unanständig angepassten Lyrics.
Wen sollen wir als nächstes nachmachen? - »You should have asked for Scooby Doo… 'cause Booga can do Scooby Doo!« Mann, was für ne Nummer - da jault der Hühne uns den Köter ins Mikro. Wir schmeißen uns weg. Dann kam ein kurzer Vortrag über guten Geschmack - eher als Entschuldigung gedacht… denn Booga kann auch Steven Hawking. Offenes Gelächter verwandelte sich beim Publikum in tieftönig gebrummte 'ho-ho-ho's bei schmerzhaft verzerrten Gesichtern ob des tiefschwarzen Humors.
Was soll ich sagen… wir waren begeistert. Conny und Mike, John und Diana, und sogar der junge Ezio-Fan, obwohl Booga ihm nicht den James Brown machte. Begeistert von fantastischen, sehr abwechslungsreichen Songs und einer Band, die ihre Instrumente vorbildlich bedient, eine klasse Show macht und sich sympathisch bis zum Anschlag präsentiert. Es dauerte zwei ausgedehnte Zugaben lang, bis wir sie schweren Herzens und geschwollener Patsche-Händchen von der Bühne gehen ließen.
Der Kontakt mit der Band war freilich noch nicht vorüber. Bei Bogga himself kauften Mike und ich noch diverse Klang- und Bildkonserven. Und alle Musiker ließen sich vor und neben der Bühne noch zwecks Signaturen auftreiben. Beim späteren Betrachten der DVD "Ezio Live At The Junction" stellte ich aber fest: An diesem Abend in Berlin waren sie noch genialer. Und das lag auch an der klasse Location, wo sich Künstler und Fans so nah sind.
So ging ein mordsmäßig kurzweiliges Treffen von Co-RockTimern in der Hauptstadt viel zu schnell zu Ende - mit geleerten Humpen, vollgeknipsten Kamera-Chips, tollen Erinnerungen, dicker Freundschaft und neuen Bekannten. Es war mir ein Fest, liebe Conny, lieber Mike. Auf ein Wiedersehen in Berlin - oder bei mir im Saarland?
Line-up:
Ezio (vocals, guitar)
Mark 'Booga' Fowell (guitar)
Lee 'The Reverend' Russel (guitar, keyboard, percussion, organ, lap steel guitar)
Lidia Cascarino (bass)
Alex Reeves (drums)
Bilder vom Konzert
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