Manche Musiker haben die Gabe, ihre eigene Persönlichkeit in einem einzigen Song darzustellen. Und dass er einer von jenen ist bzw. war, hat John Entwistle mit dem ganz starken Rocker "The Quiet One" von dem The Who-Album "Face Dances" bewiesen. Abgesehen davon, dass Pete Townshend im Jahr 1981 im privaten Bereich durch ein unterirdisches Tal wanderte und kreativ auch nicht gerade an seinem Zenit kratzte, ist "The Quiet One" nicht nur aus diesem Grund auf dem Album ein absolutes Highlight. Nein, der Song sollte auch ganz eigenständig durch die kraftvolle Umsetzung, seine Durchschlagskraft, einen autobiografischen Text, sowie den starken Gesang und die einzigartige Stimme in die Rock-Annalen eingehen.
Im gleichen Jahr wie "Face Dances" wurde auch das mittlerweile fünfte Solo-Album Entwistles, "Too Late The Hero", veröffentlicht. Der Meister der vier dicken Saiten hatte bereits in den Siebzigern mit "Smash Your Head Against The Wall" und "Whistle Rhymes" sowohl ganz starke, wie auch unterbewertete Longplayer abgeliefert. Die Nachfolger "Rigor Mortis" und "Mad Dog" waren zwar solide, fielen gegen die ersten beiden aber etwas ab.
Nach dem Tod von Keith Moon (1978) und der folgenden The Who-Schaffenspause nahm Entwistle seine Solo-Aktivitäten nach sechs Jahren wieder auf. Selbst übernahm er bei dem vorliegenden Werk den Gesang, die Keyboards, die Blasinstrumente und (selbstverständlich) den Bass. Dazu hatte er Joe Walsh ( James Gang, The Eagles), für die Gitarre und dessen langjährigen Weggefährten Joe Vitale an den Drums eingeladen.
"Try Me" könnte durchaus als ein Who-Song der damaligen Zeit durchgehen. Sehr modern produziert, mit feinen Gitarrenmelodien von Walsh und dazu mit den unverkennbaren Entwistle-Vocals und -Basslinien versehen. Gefällig, aber auch nicht gerade umwerfend. Und selbst wenn "Talk Dirty" mit einem Monster-Bassriff anfängt und Walsh (hier meist zu sehr in den Hintergrund gemixt) glänzt, der Song an sich haut einen nicht wirklich vom Hocker.
Ist der gute John Entwistle doch nur dann am besten, wenn er wie bei seinem Hauptarbeitgeber nur einen oder zwei Songs pro Album beisteuern muss? Aber hoppla, als ob der Meister meine Gedanken lesen konnte, trumpfen danach die wunderschöne Ballade "Lovebird" (ohne die lästigen Keyboards und John, sowie Joe Walsh in Höchstform) und "Sleeping Man", ein geiler Midtempo-Rocker mit den so Entwistle-eigenen und sich in die Gehörgänge fräsenden Gesangsmelodien, auf. Und erneut stellt sich Joe Walsh als Qualitätsgarant und wahre Bereicherung heraus.
Eine Liebeserklärung (obwohl: »...but I wouldn't wanna live there... «) an Kalifornien stellt "I'm Coming Back" dar. Nicht so stark wie die letzten beiden Nummern, aber besser, als die zwei Opener des Albums, reiht sich dieser letzte Track der damaligen LP-Seite 1 irgendwo in der Mitte ein. Zur Halbzeit also ca. 50:50.
"Disco Master" lebt von einem funky Disco-Bassriff, der Gesang und die Gitarre sind nicht sonderlich hervorzuheben, und der gesamte Track ist so schnell vergessen, wie er gehört wurde. Ob Karikatur oder Flirt mit der damals so angesagten Disco-Musik, das darf sich letzten Endes jeder selbst aussuchen.
Gefolgt wird jedenfalls mit dem besten Song auf "Too Late The Hero", nämlich "Fallen Angel". Nach verhaltenem Beginn lässt das Trio hier die Kuh fliegen. Wobei sich erneut alles im Midtempo-Bereich abspielt. Aber wieder mal bekommen wir diesen einzigartigen, unverwechselbaren Bass, eine Killer-Gesangsmelodie und Joe Walshs auf den Punkt passende und famos-melodische Gitarrenarbeit geboten. Und der Teufel soll mich holen, wenn der (schwarzhumorige) Entwistle bei den Textzeilen (speziell zu diesem Zeitpunkt) nicht Keith Moon und/oder Pete Townshend im Hinterkopf hatte.
"Love Is A Heartattack" besticht durch Entwistles unike Stimme und den unterschwelligen Reggae, landet vom Kompositorischen her aber eher im Mittelmaß. Zum Schluss des Original-Albums dann der Titelsong: Ein sehr präsentes Keyboard, sehr melancholischer Gesang, und es überfällt einen der Eindruck, dass das Stück kurze Zeit nach dem Ableben Moons entstand und keiner wusste, wie es weitergehen soll. Melancholisch, aber dennoch atmosphärisch und gut.
Als Bonus gibt es auf dieser Ausgabe vier Demo-Versionen von Songs des Albums, die mal mehr, mal weniger interessant sind und ein Outtake namens "Overture", das genau eine selbige ist, auf welche aber letztlich verzichtet wurde.
Zum Abschluss will ich aber auch nicht vergessen, Joe Vitale an den Drums erneut zu erwähnen. Der macht seinen Job nämlich sehr gut, wenn er auch nicht unbedingt (im Gegensatz zu Walsh) Akzente setzen kann und hier somit über den Standard eines Session-Drummers nicht wirklich hinauskommt.
Fazit: 'Too Late The Hero" verfügt mit dem Titelsong, "Lovebird", "Sleeping Man" und "Fallen Angel" über vier überdurchschnittliche bis richtig geile Tracks und ist für alle Fans des Protagonisten natürlich unverzichtbar. Da aber (für Entwistle-Verhältnisse) beim Songwriting auch einiges an Mittelmaß geboten wird, sind Werke wie die bereits erwähnten "Smash Your Head Against The Wall" und "Whistle Rhymes" dann doch empfehlenswerter.
Trotzdem: Einen weiteren John Entwistle in seiner Einzigartigkeit wird es nie wieder geben. Rest in Peace, John. Wir vermissen dich!!
Line-up:
John Entwistle (vocals, bass, keyboards, brass)
Joe Walsh (guitars)
Joe Vitale (drums, percussion)
Tracklist |
01:Try Me
02:Talk Dirty
03:Lovebird
04:Sleeping Man
05:I'm Coming Back
06:Dancing Master
07:Fallen Angel
08:Love Is A Heartattack
09:Too Late The Hero
10:Sleeping Man (Demo)
11:Dancing Master (Demo)
12:I'm Coming Back (Demo)
13:Love Is A Heartattack (Demo)
14:Overture (out-take)
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