Kevin Erdel / Halt
Halt Spielzeit: 51:00
Medium: CD
Label: 7US Media Group, 2013
Stil: Singer/Songwriter

Review vom 28.06.2013


Boris Theobald
Ach, wie schön kann romantische Musik sein! Dass er auf der Gefühlsschiene fährt, lässt sich kaum leugnen. Dies aber wirklich fein, fürwahr ... Kevin Erdel aus Weinheim, und sein Klavier - das sind die Protagonisten auf dem Album "Halt". Es ist das Debütwerk des Musikstudenten, Anfang 20. Dass seine Stücke am Piano entstehen, ist nicht das Einzige, was ihn von vielen anderen Singer/Songwritern abhebt, die bevorzugt mit der Gitarre komponieren. Erdel ist wohltuend ungekünstelt. Er schreibt Songs, die einem trotz einfacher Botschaft nahe gehen, die trotz ihrer Geradlinigkeit viele harmonische Schönheiten offenbaren und die trotz ihrer Eingängigkeit unbedingt oft wieder gehört werden wollen. Und Kevin Erdel ist auch noch ein guter Sänger - der Gesang ist nicht weinerlich, nicht quäkend, nicht überdreht ... einfach natürlich und gekonnt. Jawohl, ein Könner ist am Werk. Kevin Erdel hat auch Pop-Appeal, aber hebt sich von pseudo-poetischen Dünnbrettbohrern wie Andreas Bourani oder Tim Bendzko ab. Sein Album zu ignorieren, wäre ein Fehler.
Mit seinen Songs bewegt sich Kevin Erdel zumeist auf einem schmalen Grat zwischen Traurigkeit und Zuversicht; aber eine gewisse Grundschwere ist ihnen fast allen gemein, ausgedrückt durch kraftvolle tieftönige Piano-Anschläge oder, ganz im Gegenteil dazu, zerbrechlich-pittoreske Melodien in den hohen Oktaven. Beides führt er zusammen bei "Aus und vorbei". Hier liefert der Songschreiber seine absolute Meisterleistung. Dieses Stück ist wirklich sehr ergreifend, verstärkt durch Streicher, die selbstverständlich echt sind und von Könnerinnen eingespielt wurden. Diese Ballade ist gar nicht spektakulär, aber einfach überwältigend schön. Das Video dazu gibt es hier. "Aus und vorbei" ist so ein Song, der absolut das Potenzial dazu hat, im Pop-Radio gespielt zu werden, ohne Mainstream zu sein, und jedes Programm mit Tiefgang zu bereichern. Wetten, es kämen Anrufe und Emails von verdutzten Hörern, die fragen: Was habt ihr da gespielt? Wer war das?
Nun soll Kevin Erdel aber bitteschön nicht auf seine Mann-am-Klavier-Nummern beschränkt werden. "Perfect" ist ein dynamischer und durchaus optimistischer Pop-Song. Interessant, wie bei Erdel dennoch auch hier diese gewisse Wehmut mitschwingt. Schlagzeug und Gitarre lassen die Nummer leichtfüßig rocken. Doch das Grundriff am Klavier trägt Erdels aus diesem Album rasch gelernte und wohlwollende abgespeicherte Handschrift (ähnlich auch bei "Verschwende mich"; dort mit leichter Latin-Note). "Won't Forget" ist ein weiterer Song, der in die Rock-Richtung geht. Hier wird durch ein hintergründig verhalltes Gitarren-Tremolo eine faszinierende Melancholie transportiert. Die Atmosphäre ist dichter als sonst - gerade auch durch die Abwesenheit melodieprägender Tasteninstrumente ist es ein ungewöhnliches Stück, das beweist, dass man nicht nur das Erwartbare erwarten sollte. Die verzerrte Gitarre ist das markante Instrument, wie auch beim Fusion-lastig groovenden Schlusstrack "Don't Need Your Attitude":
»I don't need your attitude - I have enough of my own« ...
... das könnte beinahe eine Botschaft an all jene sein, die Kevin Erdel am liebsten vorschnell als Schlagerbarden wegschubladisieren würden. Das funktioniert aber nicht - nicht einmal mit den Balladen. Von denen hat er noch ein paar auf Lager, die eigentlich zu gut sind, um sie mit einem so abgedroschenen Begriff wie 'Ballade' zu bezeichnen ... "This Night" ist unter den ganz nachdenklichen ein weiterer Song, der heraussticht - ohne langsam zu sein. Die filigrane Klavierbegleitung hat etwas Berauschendes; und der männlich-weibliche Doppelgesang ist (wie bei mehreren anderen Songs auch) einfach hervorragend arrangiert. Die Stimmen passen zueinander und erzeugen zusammen eine ganz neue Wirkung - es ist das absolute (professionelle) Gegenteil von ach so vielen Harmoniere-oder-ich-hau-dich-Duetten.
Nur bei ganz wenigen Nummern mit all zu viel Tränendrüsendruck hat Kevin Erdel Mühe, die Schnulzen-Schlagseite nochmal mit Gegenmanövern auszugleichen. Sie werden gerade nochmal so interessant genug aufgepeppt, um keine Abschalter an Bord zu haben. "Immer wenn" oder "Sliding Through Your Mind" schrammen haarscharf durch die Qualitätskontrolle, dank anmutvollen Streichern oder dezentem Schlagzeug - "Wer bin ich" schafft es durch einen spannenden, schichtweisen Aufbau. Lediglich "All I Do" geht nach gewisser Zeit die Luft aus. Das Stück ist mit mehr als fünf Minuten zu lang. Das tut nicht weh, ist aber ein Beispiel dafür, wo Kevin Erdel beim nächsten Songwriting noch nachbessern kann und erkennen muss, bis wo hin eine Songidee trägt und wo Schluss sein sollte. Aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Dieses Debütalbum, "Halt", mit seinem unkonventionellen, aber irgendwie erfrischenden Deutsch-Englisch-Mix bringt uns einen Künstler auf den Plan, von dem zu hören sein wird - bestimmt auch ohne Talentshows.
Line-up:
Kevin Erdel (vocals, piano)
Sarah Kosattek (vocals)
Angie (vocals)
Kai Stahlenberg (guitars, bass)
Ralf Oehmichen (guitars)
Michael Herzer (bass)
Dennis Nowak (drums, percussion)
Horst Schnebel (drums, percussion)
Rebekka Kleinath (violin)
Anna Frisch (violin)
Charlotte Bickert (cello)
Tracklist
01:Interlude - Close Your Eyes (3:40)
02:Perfect (2:44)
03:All I Do (5:20)
04:No Control (3:46)
05:Won't Forget (3:36)
06:This Night (3:48)
07:Immer wenn (4:25)
08:Verschwende mich (3:37)
09:Aus und vorbei (5:49)
10:Sliding Through Your Mind (5:32)
11:Wer bin ich (4:38)
12:Don't Need Your Attitude (3:46)
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