Eine der Musik-Hauptstädte in den Vereinigten Staaten ist, und das bereits seit vielen Jahren, das in Texas gelegene Austin. Während Metropolen wie New York City, Los Angeles, aber auch New Orleans, Nashville oder San Francisco immer als die amerikanischen Mekkas diesbezüglich gesehen werden, hat sich in Austin über die letzten Jahrzehnte eine blühende und pulsierende Szene entwickelt, die aber immer noch ein Geheimtipp zu sein scheint. Und genau dorthin hat es vor erst ein paar Jährchen die Singer/Songwriterin Charlie Faye verschlagen, die zuvor bereits mit mehreren Bands in ihrer Heimatstadt New York musikalisch aktiv war. Anschluss fand sie dort schnell und es dauerte auch nicht lange, bis sie die Chance bekam, ihr Debütalbum aufzunehmen.
Nun liegt mir ihre brandneue Scheibe, die sie aus Liebe zu ihrer neuen Heimat auch gleich nach ihrer persönlichen Adresse benannt hat, vor und schickt sich an, uns mit ihren zehn Tracks um den Finger zu wickeln. Singer/Songwriter-Material in seiner pursten Form findet man allerdings eher selten, da Miss Faye hier grundsätzlich mit kompletter Band am Start ist und die - zumeist von ihr im Alleingang geschriebenen - Songs einen deutlichen Pop- bzw. Rock-Anstrich verpasst bekamen. Logisch kann man auch locker dann wieder den scheinbar riesengroßen Americana-Eimer drüber stülpen, der passt bei dieser Art von Musik ja fast immer. Aber das sind eh nur Spielereien, die nicht den Blick auf das eigentliche Album trüben sollten.
"Wilson St." hat mal flott Rockiges, mal Nachdenkliches und hier und da auch mal Ausflüge in poppige Gefilde zu bieten. Die Stücke sind zumeist sehr eingängig und lassen eine gepflegte Handschrift erkennen, was das Songwriting angeht. Auch gesanglich ist Charlie Faye nicht von schlechten Eltern. Geschichten wie zum Beispiel "Jersey Pride" kommen sowohl angenehm, mit guten Hooks wie auch eingestreuten Country-Anteilen daher, sodass sie sich automatisch für gleich eine Vielzahl der in den Staaten breit vertretenen, einschlägigen Radiostationen empfehlen. Wesentlich sanfter, aber ebenso nach einem Hit schreiend dann "Coward's Lament".
Aber gerade bei Letztgenanntem, wie auch vielen anderen Stücken, liegt der Teufel im Detail. Wer sich genauer mit "Wilson St." beschäftigt, der merkt sehr schnell, dass diese Songs nicht eben im Vorbeigehen geschrieben und seelenlos zum Besten gegeben wurden. Speziell die Texte sind sehr persönlich und man hat das Gefühl, dass sich die Faye gerade und ganz besonders von ihrem nächsten Umfeld inspirieren lässt. Wie man so eine Aussage belegen kann? Eigentlich gar nicht, das hat vielmehr mit Bauchgefühl zu tun. Und genau das ist der Grund, warum sich der Eine nach zwei Durchläufen einen zukünftigen Staubfänger ins Regal stellen, sich der Andere diese Scheibe aber wieder und wieder anhören und seine wahre Freude daran haben wird.
Beispiele der flotteren Gangart sind z.B. "Bottletops" und "Lady Of The Leading Man". Ersteres kommt nahezu countryrockig und schmeichelt sich durch ein tolles Arrangement und starke Melodien in die Ohren des Zuhörers. Bei "Lady…" verwöhnt uns die Rhythmusabteilung mit einem Rockgroove, über den Charlie Faye dann ihre Gesangsmelodien legt. Eine angenehm (natürlich im gesteckten Rahmen bleibende) riffende Gitarre gibt es auch bei "Runaround" und das Wechselspiel der Tempi bei den Songs lässt keine Langeweile aufkommen. Sehr schön auch "Ready To Fall", das "Wilson St." beschließt. Hier wird die Band zu größten Teilen doch mal außen vorgelassen und der starke wie gefühlvolle Gesang wird lediglich von einer gezupften Akustikgitarre und weiteren, allerdings äußerst sparsam eingesetzten Instrumenten unterstützt.
Charlie Faye ist mit "Wilson St." ein absolut gelungenes, wenn auch kein bahnbrechendes Album zu bescheinigen. Mir persönlich hätte hier und da mal eine Ecke und Kante mehr im Spiel sein dürfen, aber diese Lady ist ohne Frage auf einem sehr viel versprechenden Weg. Bleibt zu wünschen, dass sie ihre Marschroute unbeirrt weitergeht, ihre - wenn auch etwas versteckten - Rockeinflüsse beibehält und sich nicht in eine kommerzielle Richtung drängen lässt, aus der man sich, erstmal angekommen, wenn überhaupt, höchstens noch mit Händen und Füssen wieder rausprügeln kann.
Wie ich überhaupt auf so eine Idee komme? Weil ich gerade - wenn der direkte musikalische Vergleich auch etwas hinken möge - daran dachte, dass "Wilson St." mit den Produktionen einer Carrie Underwood, die zumindest in den USA bereits Millionen von Scheiben verkauft hat, locker mithalten kann, wenn es nicht sogar noch einen draufsetzt. Und wenn das mal kein Anfang ist…
Line-up:
Charlie Faye (guitars, lead vocals)
Will Sexon (bass, guitars, background vocals)
David Holt (guitars)
Rick Richards (drums)
With:
Joe Humel (drums - #3,6)
Cornbread (bass - #3,6)
Mark Hallman (keyboards, accordion, background vocals)
Gurf Morlix (guitar - #6)
John X. Reed (guitar - #9)
Abra Moore (background vocals - #1,8)
Philip Gibbs (background vocals - #9)
Taylor Hallman (tambourines)
J.J. Johnson (drums - #4)
George Reiff (bass - #4)
Gabe Rhodes (guitar)
Katy Cox (fiddle - #4)
Tracklist |
01:Bottletops
02:Runaround
03:She's Gonna Go
04:Simple Seduction
05:Waitin' On Something
06:Jersey Pride
07:Coward's Lament
08:Summer Legs
09:Lady Of The Leading Man
10:Ready To Fall
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