»"Angel Dust" was like a hurricane coming - a big, ugly storm. "King For A Day" was like when the storm was hitting you, with all this stuff flying all over the place. And this record... this record is kind of like digging through the wreckage and pulling out bodies afterwards.« - Billy Gould, 1997
Faith No More und 'Klassiker-Album'? Da werden die meisten wohl augenblicklich "Angel Dust" schreien. Ist zwar richtig, allerdings auch ziemlich vorhersehbar. Dass aber das - trotz Reunion 2009 - bis heute allerletzte Studioalbum mit dem zynischen, beißend ironischen Titel "Album Of The Year" so was wie ein (hoffnungslos unterbewerteter) Klassiker sein kann, wird vielleicht so manchen überraschen. Und dennoch…
"Album Of The Year", vor mittlerweile 14 Jahren veröffentlicht, entstand zu einer Zeit, als Faith No More das Feuer beim Komponieren verloren hatten und eher aufgrund von Songwriting-Routine agierten - »We were starting to make bad music«, sagte Sänger Mike Patton sogar einmal. Zudem ist es das dritte Album mit dem dritten Gitarristen (diesmal griff Jon Hudson in die Saiten, der im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern Jim Martin und Trey Spruance jedoch keine nennenswerten Akzente setzen konnte), was aber nicht weiter schlimm ist, da ohnehin Mastermind und Bass-Tier Billy Gould sowie Goldkehlchen Patton die meisten Songs schrieben. Dass trotz all dieser Vorzeichen letztendlich ein so überragendes Werk dabei herauskommen sollte, ist geradezu unfassbar!
Soundtechnisch hatte sich die Band einmal mehr weiterentwickelt und war vom Endachtziger-Crossover ("The Real Thing" (1989), "Angel Dust" (1992)) über einen heillosen Stil-Overkill ("King For A Day… Fool For A Lifetime" (1995)) zu einer Crossover/Alternative-Gesamtausrichtung gelangt, die genügend Spielräume im Klangkosmos ließ und dabei trotzdem so etwas wie Homogenität ausstrahlte. Natürlich war der distinktive Bandsound nach wie vor unweigerlich zu erkennen und Faith No More weit davon entfernt, sich stilistisch komplett neu zu definieren - "Album Of The Year" stellt eine Einheit dar, wie man sie auf dem Vorgänger "King For A Day" vermisst hatte.
Durch genügend Platz für kleinere und größere Experimente enthält die Scheibe insgesamt einen packenden Mix aus Rock-, Hardcore-, Elektro-, Pop- und Wasweißichfür-Elementen, die die ganz harten, wild-verrückten Extreme des Vorgängerwerkes außen vor lassen und sich mehr auf den Song an sich besinnen. So bricht der treibende Opener "Collision" zwar wüst aus den Lautsprechermembranen, hält sich insgesamt aber doch so weit zurück, dass man von kontrollierter Aggression sprechen kann. Das nachfolgende "Stripsearch" verblüfft durch einen reinen Elektronica-Loop-Sound und driftet permanent in so intensiv-sphärischen Gefilden, dass man die dahinter stehende Rockband völlig aus dem Blick verliert - dass Patton auf diesem Klangteppich seine Stimme zu wahrer Größe entfalten kann, dürfte klar sein. So überraschend "Stripsearch" auch ist, dieser Song ist einer der allerbesten von Faith No More.
Mit "Last Cup Of Sorrow" folgt ein verstörender Groove-Brocken, der so manchem Zeitgenossen sicher noch aufgrund des an Alfred Hitchcocks "Vertigo" angelehnten Videoclips bekannt sein dürfte. Die psychotischen Keyboardklänge und die bedrohlich-flüsternden, durch ein altes Mikrofon verzerrten und extrem komprimierten Strophen-Vocals münden in einen hochmelodischen Refrain und lassen den Song durch diesen Kontrast zu etwas Genial-geisteskrankem werden. Hammer-Nummer!
Darüber hinaus gibt es Hektisch-verstörendes, komplett Krankes wie "Naked In Front Of The Computer" (im Text werden moderne Kommunikationsformen wie E-Mail thematisiert), "Mouth To Mouth" (gespickt mit arabisch anmutenden Soundeinflüssen) oder "Got That Feeling" (hier überschlägt sich Pattons ekstatischer Gesang teilweise völlig!) sowie als krassen Kontrast dazu balladeske, melancholische Momente wie "Helpless" (wunderbar softe Background-Vocals) und "She Loves Me Not" - letzteres erinnert gar an lässige Lounge-Musik! Abgesehen davon begeistert das hochmelodische, fast poppige Glanzstück "Ashes To Ashes" (vollends durch Pattons Gesang geprägt, der die beste FNM-Hookline aller Zeiten rüberbringt!) - neben "Stripsearch" sicher der Track, der am besten ins Ohr geht und sich dort unwiderruflich einnistet.
Schlussendlich verströmen "Paths Of Glory" sowie "Home Sick Home" und "Pristina" ihren ganz eigenen, intensiven Vibe. Gerade "Pristina" verlässt aufgrund der erfrischend andersartigen Arrangements die ausgetretenen Rock-Pfade nahezu vollständig, sodass festgehalten werden muss, dass Faith No More mit ihrem allerletzten regulären Albumtrack nochmals wahre Akzente setzen konnten - riesiger Song!
"Album Of The Year" wird wohl auf alle Zeit ein eher geschmähtes Werk im Faith No More-Backkatalog bleiben. Kommerziell weniger erfolgreich als andere Scheiben der Band, ist es dennoch der Silberling, der neben dichten Arrangements insgesamt die großartigste Gesangsperformance Mike Pattons enthält. Die im Allgemeinen eher lauwarme Akzeptanz und Resonanz auf dieses Meisterwerk kann ich nicht nachvollziehen, da diese Scheibe mit der Zeit immer besser wird! Wer sich hierauf einlässt, wird ob der Vielfalt und Intensität einfach nur überrollt bzw. weggeblasen.
Anmerkung: Das Coverartwork zeigt den ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk (1850 - 1937) und enthält Fotos von dessen Beisetzung. Es soll wohl repräsentativ für das Ende einer goldenen Ära stehen und kann daher auf die Band Faith No More übertragen werden, die sich kurze Zeit nach dem "Album Of The Year"-Release auflöste und erst zur Reunion 2009 zurückkehren sollte.
Line-up:
Mike Bordin (drums)
Roddy Bottum (keyboards)
Billy Gould (bass guitar)
Jon Hudson (guitar)
Mike Patton (vocals)
Tracklist |
01:Collision (3:24)
02:Stripsearch (4:30)
03:Last Cup Of Sorrow (4:11)
04:Naked In Front Of The Computer (2:09)
05:Helpless (5:26)
06:Mouth To Mouth (3:49)
07:Ashes To Ashes (3:37)
08:She Loves Me Not (3:30)
09:Got That Feeling (2:20)
10:Paths Of Glory (4:18)
11:Home Sick Home (1:58)
12:Pristina (3:52)
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