Fanfare Ciocărlia / Queens And Kings
Queens And Kings Spielzeit: 48:45
Medium: CD
Label: Asphalt-Tango Records, 2007
Stil: Balkan Brass, Zigeuner-Ethno

Review vom 20.04.2007


Norbert Neugebauer
RockTimes einmal mehr auf World Music-Trip.

Zigeunermusik = Emotion
Balkan Brass = Power
Das Produkt = Fanfare Ciocărlia
Wer einmal eine ordentliche Balkan Brass-Band live und recht unmittelbar erlebt hat, der kann sie wohl kaum mehr vergessen. Entweder wird er/sie künftig schnellstens die Flucht ergreifen oder fasziniert von der ungeheuren musikalischen Wucht und Energie sein. Ähnlich ist es mit den Spielarten der Zigeunermusik, ob dem rauen Flamenco der Gitanes, dem Roma-Brass, dem Swing-Jazz der Sintis, den melancholischen Melodien des europäischen Ostens oder auch seiner Pop-Variationen. Es packt oder es verstört. Und Fanfare Ciocărlia liefern mit ihren Gästen, den "Queens and Kings", die aktuelle Potenz dieser Mischung ab.
Auf bisher fünf Alben hat die 12-köpfige Band aus einem Dorf in Rumänien, die von Deutschland aus einen weltweiten Erfolgskurs angetreten hat, ihren Brass bisher veröffentlicht. Die BBC hat sie 2006 mit dem World Music Award ausgezeichnet. Das jüngste ist nun eine Tour de Europe zu den Verwandten und deren Spitzenkünstlern. Auf der unglaublichen Blech- und Drumpower, die Fanfare liefern, zelebrieren die Sängerinnen und Sänger samt sieben weiteren Assen auf diversen Instrumenten ihre (Lust-)Gefühle. Mitreißend, unpathetisch und höchst ansteckend. Eine Reise quer durch den derzeitigen Kosmos des ehemals fahrenden Volkes, das die Weltmusik- und Ethnofans in Wallung bringt. Nr. 1 der Word Music Charts Europe im April 2007 wird man auch nicht so ohne weiteres!
Jungs und Mädels, in der Rockmusik und auch in unseren Rezensionen werden die Begriffe 'Roots', 'Tradition' und 'Erbe' so gern verwendet und dabei meist auf die amerikanische (erweitert auf afro-amerikanische) Herkunft beschränkt. Die ist jedoch in bekannter Form nicht mal 150 Jahre alt und basiert auch auf der oft gern vergessenen europäischen. Hier ist jahrhundertealte, gewachsene und hochkonzentrierte Musik aus unserem eigenen Dunstkreis, top-aktuell präsentiert! Wer dem Album Authentizität, Power, Groove und damit die Qualität der Rockmusik abspricht, der hat wirklich keine Ahnung. Auch Blechfans sollten mit heißen Fingern zugreifen. Aber Vorsicht, dieser hochangereicherte Balkan Brass macht süchtig - oder hochgradig allergisch …
Die Aufnahmen erfolgten in Bosnien/Herzegowina, Serbien, Frankreich, Rumänien, Mazedonien, Russland und in Berlin. Los geht's mit 'Manele', Gypsy Pop, mit seinem bekanntesten Sänger, Dan Armeanca. Auch die französischen Kaloome tönen sehr eingängig, nicht weit von den Gypsy Kings entfernt, das läuft am Ballermann genauso wie bei Schicki-Mickis Wohnungseinweihung. Saban Bajramović ist eine der herausragenden Stimmen und Autoren seines Volkes, der mit seinem kraftvollen, emotionalen Gesang packt. An das muselmanische Erbe erinnert Mitsou, eine hocherotische Kindfrau-Stimme aus dem alten Osmanien (Scheherazade und Jeannie tauchen im Geiste auf). Eine top-aktuelle Crossover-Mucke liefern Mitsou und Florentina Sandu mit "Duj Duj" ab, Ambient-Orientalik des 21. Jahrhunderts.
Esma Redžepova ist die tatsächlich gekrönte Gipsy Queen, mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen und aus mächtigem Körper mit einer Stimme gesegnet, die den gesamten Balkan ohne Verstärker in Erregung versetzen kann. Und Florentina Sandu zeigt, dass sie auch im 'klassischen' Terrain zu den Anwärterinnen auf den Thron gehört. Wären da nicht die akzentuierten, kantigen Bläsereinsätze, würde "Ma Maren Ma" glatt als Son des Buena Vista Social Club durchgehen - große Klasse Señor Bajramović! Dass "Ma Rov" von einer Frau gesungen und das anschließende "Mig Mig" von einem Mann, ist auch erst mit Blick auf das Cover klar. Was soll's - wer die Hosen anhat, ist nicht von der Stimmlage abhängig. Mit dem "Farewell March" spielt sich der im Herbst 2006 verstorbene Patriarch, Leiter und Klarinettist der Fanfare, Ioan Ivancea, selbst seinen Abschied. Ihm ist auch das Album gewidmet, wie es sich gehört.
Die abgedrehteste Version eines Rocksongs folgt zum Schluss. Wer ohne den in englisch gesungenen Refrain das ursprügliche "Born To Be Wild" erkennen wollte, müsste wirklich viel Fantasie besitzen! Klasse, auch das, wie die ganze CD! Am Sound gibt's nichts auszusetzen, allerdings hätte (aus Erinnerung an die Live-Power) die Brass-Sektion noch etwas druckvoller abgemischt werden können. Trotzdem ist alles sauber zu hören und den "Queens and Kings" gebührt die Bühnenmitte. Egal, was die auch singen, mit dem virtuosen High-Speed-Gebläse wird eine Glut entfacht, die alles in Schutt und Asche legt.
Die Titel und die Texte spielen keine Rolle, obwohl sie übersetzt sind. Besser, dass man sie nicht versteht, meist der übliche Herz-Schmerz-Mist. Woher ich mich so gut damit auskenne? Das macht die 11… - nein, hier hauptsächlich das Booklet, das die Hintergrund-Infos und klasse Stimmungsfotos der Liveauftritte in einem opulenten, liebevoll gestylten 4-fach-Digipack liefert.
Auch da ist die Kompetenz und das Engagement des kleinen Labels für seine Künstler unübersehbar. Ihr dicken, satten und über rippende Fans lamentierenden Majors - so, mit Qualität auch im Zubehör, gewinnt man heutzutage Kunden und nicht mit 08/15-Aufmachungen, unlesbaren Texten und Spion-Software!
Tracklist
01:Kan Marau La - feat. Dan Armeanca (4:31)
02:Que Dolor - feat. Kaloome (3:55)
03:Sandala - feat. Saban Bajramović (2:49)
04:Pana cand nu te iubeam - feat. Mitsou (4:06)
05:Cuando tu volveras - feat. Kaloome (4:30)
06:Duj Duj - feat. Mitsou & Florentina Sandu (3 :56)
07:Ibrahim - feat. Esma Redžepova (3:05)
08:Ma Maren Ma - feat. Saban Bajramović (3:50)
09:Mukav Tu - feat. Florentina Sandu (2:09)
10:Nakelavishe - feat. Esma Redžepova (2:58)
11:Ma Rov - feat. Ljiljane Butler (4:38)
12:Mig Mig - feat. Jony Iliev (3:19)
13:Farewell March - feat. Ioan Ivancea (1:36)
14:Born To Be Wild (3:11)
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