Fates Warning / A Pleasant Shade Of Gray
A Pleasant Shade Of Gray Spielzeit: 53:48 (CD), 53:24 (Bonus-DVD)
Medium: CD/DVD (Re-Release mit Bonus-DVD)
Label: Metal Blade Records, 1997/2006
Stil: Prog Metal


Review vom 17.02.2008


Boris Theobald
Wie findet man die richtigen Worte für ein im wahrsten Sinne des Wortes 'unbeschreiblich' gutes Album? Fates Warnings Progressive Metal hat 1997 mit "A Pleasant Shade Of Gray" einen Höhepunkt darin gefunden, so extravagant zu sein, dass man das, was man da hört, mangels Referenzen mit puren Worten nicht beschreiben kann. Nach "Inside Out" (1994) bestand die Gefahr, mit einem weiteren Album, das keine großen neuen Akzente setzen würde in einen kreativen Stillstand auf hohem Niveau zu geraten. Das Gegenteil ist passiert - Jim Matheos, der kreative Kopf der Band, hat ein eng zusammenhängendes Konzeptalbum verfasst und entflieht dabei nahezu allen Klischees einer 'Rockoper', was "A Pleasant Shade Of Gray" überhaupt nicht ist.
Die 54 Minuten bestehen aus zwölf, schlicht Parts "I-XII", betitelten Tracks und sind überwiegend nicht etwa eine Aneinanderreihung einzelner Songs, in sich mit Strophen und Refrains, sondern ein episches, aufwändig und detailliert zusammengebautes Gesamtkunstwerk, das durch die Herausnahme eines einzelnen Stückes unvollkommen werden würde. "A Pleasant Shade Of Gray" erzählt keine Geschichte - zumindest keine konkrete. Es ist eine zuweilen bedrückende und sehr tiefsinnige Reise durch eine bildhafte Welt beklemmender Emotionen und handelt von Vergänglichkeit, Reumut und Trauer - melancholisch, oft düster, mit tiefgehend emotionalen Melodien und vielschichtigen Atmosphären ausgestattet, fesselnd vom ersten bis zum letzten Teil. Die rätselhaft abstrakten Lyrics machen so nachdenklich wie die Musik, welche die Emotionen derart prägnant ausdrückt, wie es bloße Worte niemals könnten.
Fates Warning wandern auf einem Grat zwischen melancholisch zerbrechlichen, musikalischen Gebilden und druckvoller, unterkühlter Härte. Einmal liegen Melodie, Harmonie und Rhythmus lediglich in überlegt dosiert, Ton für Ton wiedergegebenen Clean-Guitar-Akkorden voller Spannung, die nur in ganz ausgewählten Momenten vollständig aufgelöst wird. Wie ganz zu Beginn - jeder einzelne Ton hat seine Daseinsberechtigung, wie ein Steinchen im Mosaik.
Dem gegenüber stehen düster harte Heavy-Passagen, die durch prägnante Breaks etwas monumentales, dramatisches haben, wie in Teil III ("Rain Falling, Hours Crawling...") und in Teil V ("Murdered In Munich...") mit den eindringlich, beinahe hypnotisch interpretierten Vocals »Let nothing bleed into nothing... « - eines von mehreren gesungenen und instrumentalen Motiven, die sich wie ein roter Faden durch das Album ziehen. Deren feinfühlige Variationen bedienen sich auch auf Album 1 nach dem Weggang von Frank Aresti (zweite Gitarre) und Joe DiBiase (Bass) und damit dem ersten Album mit Joey Vera am Bass einer instrumentalen Perfektion, wie man sie von Fates Warning kannte, aber in einer entfesselnden Freiheit jenseits der Grenzen, wie sie ein kompakter Song stets setzt.
Und ein alter Bekannter verleiht mit seinem Mitwirken "A Pleasant Shade Of Gray" noch einen entscheidenden, magischen Touch: Kevin Moore (Ex- Dream Theater) spielt Synthesizer und Klavier und ist zudem für die zahlreichen Samples und Sounds verantwortlich, welche die Atmosphären exzellent unterstützen. Hier wird deutlich, warum sich die Wege von Dream Theater und Kevin Moore trennten - und es wird klar, dass es eine richtige Entscheidung war. Moore setzt, wie einst auf Dream Theaters "Images And Words" und "Awake", neue Glanzpunkte des Keyboards im Progressive Metal. Für ihn und für Fates Warning ist "A Pleasant Shade Of Gray" ein Höhepunkt darin, immer wieder stilistisch einzig- und neuartig zu sein, ohne sich an bestehenden Trends zu orientieren.
Seine oft melancholisch anmutenden, ruhigen bis virtuosen Klaviermelodien ergänzen sich mit Jim Matheos' Gitarren zu rhythmisch höchst anspruchsvollen Prog Metal-Kunstwerken in ausgedehnten Instrumentalpassagen - atemberaubende, rhythmisch außergewöhnlich angelegte Solo-Duette (Ende von "Part IV") und filigrane, energiegeladene Drives ("Part XI"), die niemals zum Selbstzweck verkommen, sondern in der emotionalen Reise von "A Pleasant Shade Of Gray" einen wohl ausgesuchten Start- und Zielpunkt haben.
Mehr als bloße Randfiguren sind Joey Veras bestechend tighter Bass - unendlich wichtig für die düsteren Stimmungen und daher in mehreren Solospots auch mal im Vordergrund - und das perfektionierte Spiel des Detail-Künstlers Mark Zonder am Schlagzeug, der mitunter Zählzeiten im 16tel-Bereich akzentuiert, die andere Drummer gar nicht kennen.
Als Krönung des Ganzen darf man den Gesang Ray Alders bezeichnen, der mit seiner unvergleichlichen emotionalen Intensität die Seele berührt. Und das nicht erst, wenn er bei heavy Passagen richtig aus sich raus geht, sondern schon bei seinem ersten Einsatz, wenn alles andere punktuell in den Hintergrund tritt, und nur ein ostinater Synthesizer-Ton ihn begleitet: »So where do we begin and what else can we say?/When the lines are all drawn what should we do today?« - der Gänsehaut erregende Beginn eines musikalischen Spannungsbogens, der kaum enden will. Diese beinahe-a-capella-Passage taucht zwei Mal wieder auf. Das erste Mal am Ende von "Part VI", dem einzigen großen Einschnitt innerhalb des Albums, direkt folgend auf einem Höhepunkt intensiv dichter, elegisch expressiver Atmosphären. Und das zweite Mal erstrahlt diese Passage am Ende noch einmal, in gänzlich gewandeltem Ausdruck, und leitet einen Schluss ein, der nicht nur in den Lyrics das Ende der Trostlosigkeit andeutet - nicht durch Fröhlichkeit und überschwänglichen Optimismus, sondern durch die vorsichtige Andeutung eines Akzeptierens:

»Close our eyes awhile
as morning shadows play
and listen to the rain
wash the long night away
face to face we'll awake
to see another day
and with hope in our hearts
embrace this shade of gray
this pleasant shade of gray«
Auf der Bonus-DVD gibt es das komplette Album am Stück live gespielt - zuvor nur 1998 auf VHS als "A Pleasant Shade Of Gray" erschienen, aber schon lange nicht mehr zu kaufen. Der Mitschnitt entstand auf der 1997er Tour in verschiedenen Orten in Deutschland und den USA. Zwischendurch werden Video-Sequenzen eingestreut, die mit der Symbolik des Konzeptalbums spielen - alles passend in Grautönen gehalten. Die Bildqualität der Live-Performance ist durchschnittlich und wirkt nur beinahe-professionell - der Ton ist jedoch ebenso überragend wie die Performance selbst.
Fates Warning beweisen, dass "A Pleasant Shade Of Gray" keines dieser Alben ist, die ihre Wirkung allein durch zahlreiche Studio-Nachbearbeitungen erhält, sondern dass es wahrlich die musikalische Genialität ist, die beim Zuhören fesselt. Die Live-Version ist mindestens genauso hypnotisierend wie die Studiofassung. Nur wenige Variationen gibt es, u.a. dadurch bedingt, dass Kevin Moore nicht mit auf Tour ging und ein gewisser Ed Roth Keyboards spielt. Unglaublich tight sitzt jeder Lauf und jedes Break; und Ray Alder singt kompromisslos göttlich - ein absolutes Highlight.
Line-up:
Ray Alder (vocals)
Jim Matheos (guitar)
Mark Zonder (drums)
Joey Vera (bass)
Ed Roth (live keyboards)
Tracklist
01-12:Parts I-XII
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