Ein paar Hundert Fans waren von teils weit her nach Aschaffenburg gepilgert, um die Colos-Saal-Premiere einer Band zu erleben, die nunmehr seit Jahrzehnten den Ruf der 'Besonderen' unter den Besonderen genießt. Jim Matheos hat unzählige Prog-Bands beeinflusst; und während all der Jahre ist sein 'Baby' Fates Warning immer der Inbegriff einer kommerziellen Marginalie geblieben. Künstlerisch hat das freilich nicht geschadet - vielleicht sogar am Ende genutzt, um ehrlich und authentisch zu bleiben? Fates Warning sorgten mit jener Echtheit und Unverbrauchtheit an diesem Abend für ein Konzerthighlight der Extraklasse, das nur leider viel zu schnell auch schon wieder vorbei war...
Ohne Vorband angetreten und ohne einen Anflug von Show und Sperenzchen - nicht mal ein Backdrop mit Bandlogo gab es - starteten die unheilvollen Klänge des "Disconnected"-Intros vom Band, während sich die Band im Dunkeln auf der Bühne postierte, um mit dem eingängigen "One" einen perfekten Start in den Gig zu finden. Wesentlich härter und rauer kommt live speziell der "Disconnected"-Stoff gleich im harten Intro ohne seine Studio-Effekte daher. »Under the spotlights, I feel our worlds becoming one« - Ray Alder zeigte gleich mit seinen ersten, voller Power und Leidenschaft gesungenen Worten, dass er fantastisch drauf war und jagte sicherlich manch einem schon zu Beginn die ersten heißen und kalten Schauer über den Rücken.
Aber nicht nur der Frontmann hinterließ einen grandiosen Eindruck! Joey Vera ist ein echtes Tier am Bass. Die bandtypisch extrem komplexen Heavy-Grooves spulte er mit einer sichtlichen körperlichen Hingabe runter - im Prog Metal so eine Art Gegenbeispiel für John Myung. Da, wo seine tiefen Töne komplett frei standen, war er enorm präsent zur Stelle - vor dem Gesangseinstieg von "Still Remains" zum Beispiel, da brachte Vera den ganzen Saal zum Beben, wow! Drummer Bobby Jarzombek, ein 'alter Hase' im Geschäft, aber verhältnismäßig jung bei Fates Warning, exerzierte die göttlichen Vorlagen Mark Zonders recht originalgetreu und extrem hart. Ihm sah man durchweg eine enorme Konzentration an - seinen Job machte er einwandfrei.
Viel und vielseitig beschäftigt war natürlich auch Frank Aresti, der sich von einer Art 'Special Guest' längst wieder - zumindest gefühlt - ins feste Inventar der Band hineingespielt hat. Aresti bewies, dass er für Jim Matheos die Traumergänzung für all diese fein ineinander verwobenen Gitarrenparts ist. Zudem waren seine Frickel-Soli wirklich famos, besonders jenes bei "Outside Looking In", das er sogar weit bis in Ray Alders Gesangsreprise hineingezogen hat; und die Double Leads, beispielsweise im Intro von "Down To The Wire" waren ohnehin Sahne fürs Gefühlszentrum. Darüber hinaus sang Frank Aresti die Backing Vocals. Er ünterstützte Alder in einigen Refrains und beeindruckte ganz besonders bei "Life In Still Water", hier sang er nämlich diese verflixt hohe der beiden Vocal Lines!
Nun fühlt es sich ja schon beinahe frevelhaft an, ausgerechnet Jim Matheos, den Mann, der Fates Warning ist, als letzten lobend zu erwähnen. Aber Matheos ist nunmal in seiner stillen Art der Unauffälligste. Seine größte Gefühlregung: Einmal, ganz kurz, klatschte er in Richtung des begeisterten Publikums und hob beide Daumen. Ansonsten zelebrierte er in seiner stoischen Art wie in Trance seine brachial-melancholischen Kompositionen. Er gab sich voll und ganz der Wirkung der Stücke hin, hatte oft sogar für längere Zeit beim Spielen die Augen geschlossen. Zwei, drei Mal ging er ein paar Schritte rüber zu Joey Vera und Frank Aresti, um gemeinsam technische Feinheiten zu zelebrieren.
Bei all dem Großartigen, was man von Fates Warning ohnehin erwartet, fällt es fast schwer, Überraschungen und Höhepunkte des Konzerts zu definieren. Überraschungen? Vielleicht der relativ hohe "Inside Out"-Anteil der Setlist. Nicht unbedingt erwartbar war auch "At Fate's Hands" im Zugabenteil, die "Perfect Symmetry"-Perle mit Ray Alders ruhigem, wehmutvollem Gesangsintro und anschließendem wunderbar vertrackten Instrumentalpart. Jim Matheos und Frank Aresti gaben einander über grandioser Rhythmik mit ihren Soli die Klinke in die Hand. Das ist ein Stück Prog Metal-Geschichte, und die Band hält sie am Leben - ganz ganz fein, die Herren!
Höhepunkte? Ja! So großartig die Performance insgesamt war, stachen ein paar Nummer immer noch hervor. Das 'heimliche' Highlight des Abends war vielleicht der Longtrack "Still Remains", auf rund 13 Minuten gekürzt, weil man das elegische Intro wegließ und gleich mit den hypnotisierend schönen instrumentalen Verflechtungen einstieg. Hier gab es natürlich gehörig viel umzuarrangieren. Alle Moore'schen Keyboard-Parts wurden zum Job für Frank Arestis zweite Gitarre. Jedoch hat er sie längst nicht alle eins zu eins übernommen, was zu einigen sehr schönen, unvorhersehbaren Momenten führte. Insbesondere im späten, atmosphärischen Teil des Stücks hatte Aresti noch ein paar richtig gute Solo-Passagen. Wow, was für ein aufwühlendes, vielschichtiges Highlight mit famosen Wechseln - "Still Remains" war auch live in Traum...
... ein Traum zum Zuhören, Staunen und Genießen. Wohingegen "The Eleventh Hour" besonders von seinen 'traumhaften' Momenten zum Mitsingen lebte. Schon die Vorfreude bei den ersten Klängen dieses epischen Klassikers löste im Publikum Jubelstürme aus. Und wie dann nahezu alle im Saal genau auf den Punkt mitsangen: »Oooh, oooh, oooh...« bevor dann Ray Alder komplettierte: »...and nothing's easy anymore...« Überwältigend, wie intensiv die Atmosphäre im Saal war, und wie eng verbunden (nicht nur) hier Band und Publikum waren. Genau hier hat man ganz deutlich gespürt: Fates Warning sind (aus nicht nachvollziehbaren Gründen) auch heute noch eine echte Nischenband, die (aus noch weniger erfindlichen Gründen) den Colos-Saal nicht komplett füllte. Doch das bedeutet auch: Die Fans, die zu Fates Warning kommen, sind unfassbar stark mit der Band verbunden, singen und fühlen mit, feiern die Band großartig ab.
Zu Recht. Obwohl sich die ganz vage Hoffnung auf ein neues Stück eines doch hoffentlich nächsten Albums nicht erfüllte - genau so wenig wie der von manchen gehegte, aber unrealistische Wunsch nach uraltem John Arch-Stoff... und obwohl der an sich gute Mix nach ein paar Songs plötzlich einen Ticken zu laut wurde. Aber hey, soll ich den lieben Gott noch dafür kritisieren, dass er sich am siebten Tag ausgeruht hat? Das Konzert war einfach grandios. Und auch der Gesang - die unsicherste Variable eines jeden Auftritts, da für Formschwankungen einfach am Empfindlichsten - war über alle Zweifel erhaben. Ray Alder hauchte und powerte und screamte mit großer Gänsehautgarantie. Die übermenschlich hohen Passagen, die er einst mit Anfang 20 der Metalwelt schenkte, zum Beispiel bei "The Eleventh Hour" oder dem Power-Galopp von "Quietus" waren umarrangiert, so dass er sie perfekt mit seiner einzigartigen Stimmfarbe darbieten konnte. Auch mit seiner Körpersprache, mit seiner Gestik, mit leidvoller Miene und mit viel Bewegung zur Dynamik der Songs 'lebte' ein topfitter Ray Alder die Musik von Fates Warning.
Ein Kritikpunkt bleibt - und der muss angesprochen werden: die Spielzeit. Einschließlich des Zugabenteils kam die Band lediglich auf gut anderthalb Stunden. Das ist erschreckend wenig, besonders natürlich, wenn es auch keine Vorband gibt. Die hätte auch niemand gebraucht, dafür aber einfach ein bisschen mehr Fates Warning. Stücke hätte es genug gegeben! Mehr vom letzten Album "FWX", zum Beispiel. Aber die Band ließ sich nicht mehr blicken, obwohl das Publikum noch minutenlang lautstark nach einem Nachschlag lechzte. Unmutsäußerungen waren trotz des Frusts über den am Ende zu kurzen Abend aber nicht zu hören. Dennoch muss die Band hier schon aufpassen - so etwas kann für manche Fans mitentscheidend sein, die weit weg wohnen und sich die Frage stellen, bei wie vielen Hundert Kilometern sie die Schmerzgrenze zum Konzertbesuch ziehen. Meine war nicht überschritten, zum Glück. Denn das Konzert gehört zum Intensivsten und Wunderbarsten, was ich als Progressive Metal-Maniac erleben durfte.
Danke an den Colos-Saal für die Akkreditierung!
Line-up:
Ray Alder (vocals)
Jim Matheos (guitar)
Frank Aresti (guitar)
Joey Vera (bass)
Bobby Jarzombek (drums)
Setlist:
One
Life In Still Water
A Pleasant Shade Of Gray III
Outside Looking In
Down To The Wire
Heal Me
Still Remains
Another Perfect Day
Quietus
A Pleasant Shade Of Gray XI
The Eleventh Hour
Point Of View
Through Different Eyes
Monument
Encore:
At Fate's Hands
Eye To Eye
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