Faust / So Far
So Far Spielzeit: 40:22
Medium: CD
Label: SPV, 2005 (1972)
Stil: Krautrock


Review vom 18.09.2007


Markus Kerren
Die Geschichte von Faust liest sich abenteuerlich! Da schickt eine deutsche Plattenfirma (nach amerikanischem Vorbild) einen ehemaligen Filmkritiker (!) und seinerzeitigen Mitherausgeber eines Polit-Magazins (!!!) los, um ein paar Musiker zu finden, um diese gemeinsam in ein Aufnahme-Studio zu schicken und dann mal zu sehen, was dabei so herauskommt. Die Folge: Die Band Faust entstand, und nachdem das Label (Polydor) ein erstes Demo begutachtet hatte, wurde einer der teuersten Plattenverträge unterschrieben, der bis dahin einer deutschen Band angeboten wurde.
Die Verkaufszahlen des Debüt-Albums von Faust blieben in Deutschland weit hinter den Erwartungen Polydors zurück, schnitten aber im englischsprachigen Ausland wesentlich besser ab. Somit wurde das nun wieder veröffentlichte Zweitwerk "So Far" auch zunächst nur in England auf den Markt gebracht. "It's A Rainy Day, Sunshine Girl" startet sehr rhythmisch von der Akustik-Gitarre und spärlichen Drums getrieben und erinnert von der Stilistik und dem Arrangement überraschenderweise an Velvet Underground. Der knappe Text wird durch Soundeffekte von den Keyboards, dazu von der Harmonica und dem Saxophon ausgeglichen. Sieben Minuten, bei denen man ca. ab der Hälfte fast in eine meditative Trance verfällt. Anders "On The Way To Abamäe", das uns rein akustisch mit Gitarre und Flöte atmosphärische knappe drei Minuten beschert.
Das Herzstück des Albums ist das über zehn Minuten lange "No Harm", das mit Bläsern sehr harmonisch und melodisch beginnt, bevor nach etwa 120 Sekunden die gesamte Band, immer noch der gleichen herrlichen Melodie folgend, dabei ist. Dann ein plötzlicher Wechsel: Das Stück wird sehr funky, der Bass slappt um sein Leben und eine weitere knappe Gesangslinie hält Einzug. Der Drummer lässt die Stöcke nur so über sein Intrument fliegen, die Gitarren heben ab, und wir sind auf einmal mitten in einer abgedrehten Jam-Session. Faust machen keine Gefangenen, hier wird geklotzt und nicht gekleckert. Die Band steigert sich immer weiter in den Song und man sieht fast die Funk-en fliegen. Ganz langsam klingt der Track dann aus, fast so, als wolle man eigentlich nicht, dass es schon vorbei ist. Genauso gehts mir auch, ich könnte "No Harm" locker noch eine Viertelstunde länger zuhören, aber ein abschließender Schrei macht meinem Wunsch ein schnelles Ende.
Der Titelsong wird wieder von Blech-Blasinstrumenten begleitet, die ein jazziges Ambiente aufkommen lassen. Locker-leichtes Drumming, heulende Gitarren, ein groovender Bass, die Akzente setzende Trompete und die für Effekte zuständigen Keyboards lassen einen zu einer Reise ins innere Ich abtauchen und können ohne Weiteres auch ohne Gesang bestehen. Auch dieses Stück ist mit seinen über sechs Minuten eigentlich viel zu kurz. Schade! Auf der anderen Seite spricht es aber für die Klasse dieser Combo, dass solche Gedanken überhaupt erst aufkommen.
"Mamie Is Blue" wird zunächst ganz stark von einer Keyboard/Bass-Collage bestimmt, bis nach über zwei Minuten die Vocals einsetzen. Das Keyboard schrubbt und bohnert, als hätte man eine viel zu weit entfernte Radiostation angewählt, bei der der Empfang dementsprechend gestört klingt. Nach erneut sehr sparsamen Gesangseinlagen klingt der Track dann mit einem Grillensound aus. Sehr experimentell und spannend.
Wesentlich leichter und beschwingter kommt "I've Got My Car And My TV", das bezüglich der Gesangsmelodie an ein Kinderlied denken lässt und sich textlich mit dem auch damals schon immer mehr Überhand nehmenden Materialismus und der daraus entstehenden Gleichgültigkeit gegenüber seinen Mitmenschen auseinandersetzt. Mit starkem Saxophon-Solo versehen, macht auch dieser Titel so richtig Spaß, bevor die Gitarre das Solo-Ruder übernimmt. "Picnic On A Frozen River" ist ein 36-sekündiges Saxophon-Intermezzo, bevor die wohl zusammenhängenden Songs "Me Lack Space…" und "…In The Spirit" das Album beschließen. Ersteres ist eine wirre Stimmencollage, während Part 2 mit starkem Saxophon, Jazz-Bass und Dixieland-Singalong friedlich den zweiten Streich der Band Faust zu Ende führen.
"So Far" ist nicht unbedingt ein Album, das man im Auto genießen kann, sondern beansprucht etwas mehr Aufmerksamkeit für sich. Lässt man sich aber darauf ein, so wird man mit diesen neun Songs sehr angenehme Stunden verbringen können. Die Geschichte von Faust war damit noch lange nicht beendet. Im Gegenteil, die Band besteht auch heute noch und ist weiterhin aktiv. Nach dem Genuss dieser Wiederveröffentlichung in schönem Digi-Pack und gut aufgemachtem Booklet sollte man unbedingt auch mal einen Blick auf die aktuellen Veröffentlichungen dieser Truppe riskieren.
Line-up von Faust zu Zeiten von "So Far":
Werner Diermaier
Hans-Joachim Irmler
Jean-Herve Peron
Rudolf Sosna
Günther Wüsthoff
Tracklist
01:It's A Rainy Day, Sunshine Girl
02:On The Way To Abamäe
03:No Harm
04:So Far
05:Mamie Is Blue
06:I've Got My Car And My TV
07:Picnic On A Frozen River
08:Me Lack Space…
09:In The Spirit
Externe Links: