Flaming Row / Elinoire
Elinoire Spielzeit: 79:55
Medium: CD
Label: Progressive Promotion Records, 2011
Stil: Prog Metal


Review vom 16.09.2011


Boris Theobald
Wenn man mal ein paar Jahre nix zu tun hat ... dann stampft man ein Bandprojekt aus dem Boden, schreibt ein 80-Minuten-Konzeptalbum und trommelt mehr als 30 Musiker dafür zusammen. Hat Martin Schnella mal eben durchgezogen - ohne, dass ich ihm unterstellen würde, sonst nichts zu tun gehabt zu haben! Viel Schweiß und Tränen dürfte ihn sein Baby Flaming Row in den rund drei Jahren Entstehungszeit dennoch gekostet haben. Und jeder Tropfen hat sich gelohnt! "Elinoire" ist eine opulente wie einfühlsame Prog Metal-Oper mit diversen Blicken über den stilistischen Tellerrand und nicht zuletzt einer sehr interessanten Besetzung geworden.
Die Silberscheibe ist pickepackevoll (im wahrsten Sinne des Wortes ...) mit zauberhaften, lyrischen Balladen, furioser instrumentaler Prog-Feinkost, düsteren Heavy Metal-Drives und bombastisch-melodischen Refrains ... und nicht zuletzt einem sagenhaften Geflecht aus zahllosen Gänsehaut-Melodien, die aus unglaublich vielen Kehlen kommen. Den Leadgesang teilen sich 16 Leute - mit Hintergrundvokalisten kriegen wir die 20 voll. Der Instrumentalfraktion gehören rund zehn Leute an; die Stammcrew besteht neben Schnella aus Marek Arnold (Toxic Smile,
Seven Steps To The Green Door, Stern-Combo Meißen), Niklas Kahl (My Inner Burning, Cast In Silence) und Kai Kleinewig (Tubeless).
Sie sorgen fürs Wesentliche. Und zahlreiche Gäste hinterlassen mit vielen, vielen Soli an etlichen Stellen gehörig Eindruck, unter anderem Gary Wehrkamp und Brendt Allman (Shadow Gallery), Ali Neander (Rodgau Monotones) oder Andreas Schock und Jost Schlüter (Heavy Traffic). Keine zehn Sekunden ohne spannende Instrumentalbewegungen, klasse! Für die ein oder andere Überraschung sorgt die Verteilung der Gesangsrollen. Neben vielen weniger bekannten Stimmen singt zum Beispiel auch Ex-Yeser Billy Sherwood mit, Spocks's Beard-Drummer (!) Jimmy Keagan und die beiden bereits genannten Shadow Gallery-Instrumentalisten Gary Wehrkamp und Brendt Allman.
Sie erzählen die Geschichte von und über "Elinoire", die aus der Feder von Schreiberin und (Mit-)Sängerin Kiri Geiles stammt - neben Martin Schnella somit eine Art zweiter kreativer Mittelpunkt der Band. Es geht um das schwere Schicksal einer Familie: Elinoires Mutter stirbt bei deren Geburt. Ihr Vater Adam kann den Verlust seiner geliebten Frau nie überwinden und projiziert Schuld auf Elinoire. So weit, so tragisch - aber so einfach bleibt es nicht: Ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit wird zu Tage gefördert; es kommt zu dramatischen Wendungen im Leben der Familie. Und wahrlich 'dramatisch' ist das Ganze auch umgesetzt - man könnte "Elinoire" sofort als packendes Prog-Musical auf die Bühne bringen.
Ein musikalisches Thema wird eingeführt - "Elinoire's Theme" - elegisch, zerbrechlich ... die ersten Eindrücke erinnern an Sylvan. Die im Kanon miteinander verstrickten Gesänge von "Initiation Fugato" verschieben den Fokus in Richtung Spock's Beard. Und bei der "Overture" wird dem geneigten Fan ein begnadetes non-vokales Prog-Feuerwerk im Stile von Vanden Plas oder Dream Theater geboten, das sich plötzlich beruhigt und sich in das anfangs eingeführte Thema zusteuert - dieses Mal aber in sehr energischer Lead-Gitarren-Version. Die ersten Schauer sind über den Rücken gezogen, die ersten großen Spannungsbögen sind gespannt und die komplette Strecke von fragil bis bombastisch abgesteckt ... und das war erst das (dreiteilige) Intro.
Es folgt eine schier endlose Aneinanderreihung von Power Metal, Melodic Rock- und Progressive-Highlights, die nicht selten an Ayreon erinnern. So zum Beispiel "First Day" mit diesem betörenden Wechsel aus zartem, balladadenhaftem Gesang zur akustischen Gitarre und aggressiven, rauen Vocals. Aber auch die messerscharfen, rhythmisch akzentuierten Riffs von "Time Mirror" könnten glatt auf einer Arjen Lucassen-Platte stehen - welch eine monumentaler Gitarrensound, welch ein Groove, welch ein grandioser Mix, wenn sich die vielen perfekt aufeinander abgestimmten Gesangsschichten darüberlegen! Und dann noch Überraschungen wie ein Fünffach-Solo (!), bestehend aus Synthesizer, Gitarre, funky Gitarre, Saxofon und nochmal Gitarre. Jedes einzelne Extraklasse.
Und dann noch das schön schaurig daherstampfende "Neglected Garden", das direkt aus einer spacig-futuristischen Rockoper hergebeamt scheint. Und eine wunderschöne, schmerzhafte Powerballade wie "Adam's Theme". Und eine Melodic Rock-Perle wie "Nightingale's Chirp". Die sensationelle Melodic Power Metal-Hymne "Lea's Delivery". Das temporeiche und hochdramatische "Rage Of Despair. Balladen mit ungeahnten Entwicklungen wie "Watershed" oder "Farewell". Überraschungen wie die instrumentale Folk Rock-Party "Do You Like Country Grandpa?". Das neoproggige "Review" im Dunstkreis von Helden wie Genesis ("Home By The Sea" ...) oder IQ, das mit seinen feinen Details aber auch an neue Prog-Geheimtipps wie Frequency Drift oder Delusion Squared erinnert. Oder der fünfgeteilte Longtrack "A Place To Revive Your Soul", der irgendwie alles hat - ein tiefgründiger Nachklapp lange nach dem großen Showdown "Unearth The Truth", mit dem manch andere Band das Album beendet hätte.
Bleibt die Gefahr des stimmlichen 'Overloads' ... nicht nur jeder kleine und große Charakter der Story hat seine eigene Stimme; es gibt auch noch eine ganze Reihe drumherum. Je nachdem, in welcher Stimmung und aus welcher Sicht erzählt und kommentiert wird, singt entweder 'Conscience', 'Death', 'Love', 'Past', 'Destiny', 'Forgiveness' ... Doch erstens bringt der Hördurchgang mit Booklet in der Hand ratzfatz Ordnung in die Kiste (denn ja, die Geschichte ist sogar verständlich!). Und zweitens sind die meisten Gesangsparts nicht nur großartig gut und extrem ausdrucksstark (eine fette Überraschung ist zum Beispiel auch Gary Wehrkamp!), sondern auch gerade in ihrer Verschiedenheit so brillant gegeneinder gesetzt, zum Beispiel die liebliche, traumhaft schöne Stimme Elinoires (Jessica Schmalle und die ihrer Mutter Lea (Michaela Auer); kehliger und mit wärmerer Klangfarbe.
Gerade die vielen Stimmen machen die ständigen atmosphärischen Wechsel so glaubhaft und 'echt'. "Elinoire" ist episch, lyrisch und dramatisch - ein Konzeptalbum für Prog-Fanatiker, die alles haben wollen: technische Finesse, klasse Sänger, viel Emotion und eine überzeugende Story. Apropos ... ob man am Ende eher zu Kettensäge oder Friedenspfeife greift, wird an dieser Stelle nicht verraten - selbst rausfinden!
Line-up:
Martin Schnella (guitars, bass, keyboards, mandoline, banjo, lead and backing vocals)
Kiri Geile (lead and backing vocals)
Marek Arnold (keyboards, saxophone)
Niklas Kahl (drums)
Kai Kleinewig (bass guitar)

Guest musicians:
Gary Wehrkamp (guitar solo - #3,8, keyboard solo - #9, lead and backing vocals)
Brendt Allman (guitar solos - #12,15,18, lead and backing vocals)
Ali Neander (guitar solos - #5,10)
Andreas Schock (guitar solos - #7,15)
Jost Schlüter (guitar solo - #5)
Chrissy Müller (guitar solo - #3)
Gerrit Schwerthelm (guitar solo - #18)
Verena Klauke (flute - #8,17)
Rick Fischer (backing vocals)
Jim Roberti (backing vocals - #6,18)
Stephan Wegner (backing vocals - #6,18)
Anja Hampe (backing vocals - #9)

The Singers:
Lars Begrow, Michaela Auer, Jessica Schmalle, Sascha Habich, Denis Brosowski, Gary Wehrkamp, Brendt Allman, Billy Sherwood, Jimmy Keegan, Michael Lowin, Kim Spillner, Kiri Geile, Martin Schnella, Anne Trautmann, Sandra Thielemann, Markus Funke
Tracklist
01:Elinoire's Theme (1:35)
02:Initiation Fugato (2:04)
03:Overture (3:05)
04:First Day (4:09)
05:Nightingale's Chirp (4:01)
06:Do You Like Country Grandpa? (2:38)
07:Lea's Delivery (7:54)
08:Elinoire (5:34)
09:Rage Of Despair (5:52)
10:Adam's Theme (4:23)
11:Neglected Garden (3:01)
12:Time Mirror (5:47)
13:Watershed (1:53)
14:Review (5:24)
15:Unearth The Truth (6:05)
16:Father's Theme (0:29)
17:Farewell (2:30)
18:A Place To Revive Your Soul (13:28)
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