Flower Kings / Paradox Hotel
Paradox Hotel
Eigentlich fällt es den geneigten Progressive-Rockfans immer schwerer, einem neuen Output der schwedischen 'Blumenkönige' freudig entgegenzufiebern, nach deren fast schon inflationären Veröffentlichungstrategie. Da zählt nicht mal die Masse der einzelnen musikalischen Solo- und Projektergüsse, sondern deren meist quantitativ überzogene Inhalte.
Aber so ist eben dieses musikalische Genre: Keine leichte Kost für zwischendurch, es setzt beim Konsumenten schon einen gewissen Input voraus. Dementsprechend machen sich bei allen Beteiligten einige Ermüdungserscheinungen bemerkbar, die nach dem ersten Hördurchgang, auch nicht das neue randvolle Werk "Paradox Hotel" der Flower Kings auszumärzen vermag.
Natürlich ist es wieder eine Doppelte CD-Packung geworden, was die mentale Aufnahmefähigkeit der Fans zusätzlich strapaziert. Festzustellen ist jedenfalls, dass dabei musikalisches Neuland nicht wirklich erschlossen wird.
Man suhlt sich hingegen wieder selbstverliebt in symphonischen Rockgefilden, und die Liebhaber des Neoklassischen Progs werden sich daran ergötzen können.
Das hochkreative Gespann Stolt/Bodin sind nach wie vor die tragenden Arrangeure bzw. drücken ihre Doktrinen aus glühender Leidenschaft und musikalischer Vision ,dem überwiegenden Teil des Albums auf.
Die wenigen Kompositionsbeiträge von Jonas Reingold und Hans Froberg fallen hierbei etwas aus dem Raster.
Vermutlich wird dieser Output mit seinem außergewöhnlich zugänglichen Songmaterial nicht unbedingt einen Innovationsaward gewinnen, dafür agiert die Floki-Mannschaft aber wieder auf höchstem Level, was das Songwriting angeht, und die begnadeten Instrumentalisten bieten deutlich mehr als nur Durchschnittskost.
Wobei sich Neuzugang Marcus Lillequist am Schlagzeug mit seinem geradlinigen wuchtigen Spiel wunderbar integriert.
Mit Ausnahme des Harmoniegesangs ist das meiste von Stolt und Kollegen im Kopenhagener 'Medley Studio' innerhalb einer Woche aufgenommene neue Material live eingespielt worden.
"Das Album ist weniger Detailbesessen geraten; es hat rauhe Kanten und basiert auf nicht ganz so komplexen Themen wie sonst" so Stolt, "Wir haben sozusagen mit dickerem Pinsel gemalt."
Neben einer Vielzahl verschachtelter Kompositionen, die aus den Inspirationsquellen der Siebziger-Jahre Progressiv-Pioniere gespeist werden, frönt man nicht selten auch dem melodischen Mainstream Rock, aufgeschäumt mit einer gehaltvollen Portion Bombast.
Hans Froberg hat seine frontmännischen Gesangseinlagen etwas reduziert, zumal sich seine Vokalfärbung für die gefühlsbetonten progressiven Songs als ein kleines Problem gestalten. Seiner Tongebung fehlt durch sein bewusst maskulines Timbre jedes warme Strahlen, dass sonst den Floki-Kompositionen die markanten, geliebten Trademarks verleiht. Somit obliegt der Rolle des Gesangsautodidakten Stolt, die treue Zuhörerschaft des Sextetts zwischendurch wieder versöhnlich zu stimmen.
Die großen Ohrwurmrefrains mit dem lieblichen Zuckerguss vermisst man diesmal etwas, dafür wird der musikalische 70er-Jahre Humus ausgiebig bearbeitet.
Fast 140 Minuten breiten Stolt und seine Mannschaft einen blühenden Klanggarten aus, aber es fehlt den musikalischen Gedanken an Kraft, um sich weiter entwickeln zu können.
Virtuos aufgetakelte Passagen verführt Tomas Bodins Tastenfraktion häufig zu hingehuschten Kaskaden, die, einmal abgesehen von ihrer Raffinesse, sonst musikalisch leer wirken.
Allein Roine Stolts Gitarre spielt wieder in einer anderen Welt und versucht, wie schon zuvor beim eigenen Solo-Output Wall Street Voodoo, neue puristische Wege zu zeigen.
Das einundzwanzig minütige Eröffnungs-Epos "Monsters And Men", dessen musikalischer Geist sich irgendwo zwischen Soundgarden und Yes bewegt, bzw. nebenbei Versatzstücke aus "Awaken" entfremdet, ist kompositorisch meisterlich gelungen, kommt aber bis zur fünfzehnten Minute nicht so richtig aus sich heraus.
"The Unorthodox Dancinglesson" weis zwar mit Bodins skuriler Tastenarbeit und Reingolds tanzendem Bass zu beeindrucken, bedient sich aber unverfrohren bei King Crimsons innovativer "Red"-Phase.
Es muss mit "Jealousy" auch nicht auf die orchestrale süsslich-kitschige Balladenkost verzichtet werden.
Stolt verkündet sogar mit verfremdeter Stimme im Song "Bavarian Skies" politische, als auch mahnende Botschaften zum Holocaust Schrecken im dritten Reich.
Allerdings unternimmt er damit einen ziemlich heiklen Balanceakt, diesen auch noch mit Original Hitler-Redefragmenten und deutschen Marschmusik-Samples zu untermalen. Ich persönlich finde es, bei allem Verständnis für kritische Töne bzw. Standpunkte in der Progmusik, leider einfach nur geschmacklos.
Thematisch behandelt das Album die Kuriosität des menschlichen Daseins, wobei das "Paradox Hotel" als Durchgangsstation für das Leben auf Erden steht.
Wir leben für eine Weile, ohne Ahnung davon welchem Zweck dies eigentlich dient. Gute wie schlechte Dinge geschehen scheinbar zufällig, aber immer dann, wenn wir sie am allerwenigsten erwarten. Niemand hat Gott, den Manager dieses großen Ganzen, je zu Gesicht bekommen, aber die meisten gehen davon aus,dass er schon irgendwo herumschwirren und seinen Job machen wird. [Stolt]
Auch wenn sich die Herren gern des öffteren in einem Klangrausch verstricken, bleiben sie aber letztendlich im Reigen verklärter Impressionen vergangener Tage stehen.
Auch wenn eine hörbare Leidenschaft den besonderen Reiz von "Paradox Hotel" ausmacht, zu mehr als einer plakativen Selbstdarstellung reicht es nicht.
Nichtdestotrotz werden die 'Blumenkönige' mit ihrem auf den traditionellen Rock basierenden Breitwandszenario die alten Fans zufrieden stellen, und sich mangels gewohnter musikalischer Konsistenz einem größeren Publikum eröffnen.
Als Fan anspruchsvoller Rockmusik kann man sich getrost dieses neue Doppelalbum ins heimische Regal stellen, wenngleich sich die Frage aufdrängt, ob eine musikalische Weiterentwicklung nicht vielleicht wünschenswert gewesen wäre.


Spielzeit: CD-1 73:00, CD-2 63:05, Medium: Do-CD, InsideOut (SPV), 2006
CD1:
1:Check In 2:Monsters And Men 3:Jealousy 4:Hit Me With A Hit 5:Pioneers Of Aviation 6:Lucy Had A Dream 7:Bavarian Skies 8:Selfconsuming Fire 9:Mommy Leave The Light On 10:End On High Note
CD2:
1:Minor Giant Steps 2:Touch My Heaven 3:The Unorthodox Dancinglesson 4:Man Of The World 5:Life Will Kill You 6:The Way The Waters Are Moving 7:What If God Is Alone 8:Paradox Hotel 9:Blue Planet
Ingolf Schmock, 23.03.2006
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