Meine u.a. im Review zur aktuellen Studio-CD von Foreigner Can't Slow Down geäußerte Kritik an den Plattenfirmen, nur unzureichendes Promotionsmaterial zur Verfügung zu stellen, wurde offenbar erhört, denn die hier zur Besprechung anstehende aktuelle Live-CD mit dem bezeichnenden Titel "Can't Slow Down ... When It's Live" wurde der RockTimes-Redaktion zumindest in der Verkaufs-Version zur Verfügung gestellt. Dafür kann allerdings der 'Waschzettel' nur als dürftig bezeichnet werden; sein Inhalt kann übrigens wörtlich bei den großen Online-Anbietern nachgelesen werden.
Nun also - so der Aufkleber auf dem Hochglanz-Folder - »das offizielle Live Album, aufgenommen während der "Can't Slow Down"-Welttour im Jahr 2010«. Offizielles Live-Album? Man mag hieran zunächst allein schon gerade wegen dieser Bezeichnung Zweifel hegen, aber vielleicht hat es ja in der Vergangenheit zu viele unautorisierte Konzertmitschnitte gegeben. Aber stutzig macht es doch, wenn das Album auf der Band-eigenen Homepage überhaupt nicht erwähnt wird; hier vielmehr eine 'Exklusive Live-EP' von dem iTunes-Festival in London im Jahr 2010 angepriesen wird, die natürlich nur über iTunes vertrieben wird und auch mit weniger, jedoch weitestgehend identischen Titeln aufwartet. Da das vorliegende Doppelalbum jedoch von ear music präsentiert wird, die auch das letzte Studioalbum - zumindest in Deutschland - vertrieben hat, scheint das mit dem offiziellen Charakter wohl zu stimmen. Merkwürdig, weil unnötig ist dann allerdings auch der Hinweis auf der Rückseite der Hülle »Previously unreleased recordings - for the first time on CD!«. In den USA ist das Album jedenfalls bislang nicht veröffentlicht worden.
Als Ton-Dokument der 'World Tour' enthält das Album 15 Tracks, die einzig bei einem Konzert im März 2010 in Nashville, Tennessee, aufgenommen wurden, sowie - tatsächlich ausdrücklich als 'Bonus-Track' (!) bezeichnet - den Titelsong "Can't Slow Down", der von einem Auftritt auf dem Rock of Ages-Festival im deutschen Seebronn am 31. Juli 2010 stammt. Und überhaupt: Lediglich drei Songs entstammen der aktuellen Studio-CD; der Rest ist ein Querschnitt durch 35 Jahre Band-Geschichte. Doch von den vor diesem Hintergrund überwiegend alten Songs gibt es mittlerweile mehr als genügend Live-Aufnahmen; ein stärkerer Rückgriff auf aktuelle Songs wäre durchaus sinnvoll und wünschenswert gewesen.
Übrigens hatte es in der Zwischenzeit schon wieder einen Besetzungswechsel bei Foreigner gegeben. Während in Seebronn nunmehr Jason Sutter an den Drums saß (der auch im Booklet als Band-Mitglied genannt wird), hat noch in Nashville und damit bei allen übrigen Titeln der letzte Drummer Brian Tichy die Schießbude bearbeitet. Im Booklet findet sich dennoch überhaupt kein Hinweis mehr auf ihn; bezeichnenderweise wird aber nur er im 'Waschzettel' als Drummer genannt.
Und - um den Merkwürdigkeiten noch eine weitere hinzuzufügen - auf der offiziellen Band-Homepage wird derzeit überhaupt kein Drummer als Bandmitglied genannt. Angesichts der Vielzahl von Besetzungswechseln bei Foreigner - US-Wikipedia listet allein 26 frühere Band-Mitglieder (in allerdings 35 (!) Jahren ihres Bestehens) auf - wäre es also auch nicht überraschend, wenn auch diesbezüglich ein erneuter Wechsel ansteht.
Die Kernfrage bei der Bewertung des vorliegenden Albums - insbesondere für 'alte' Foreigner-Fans - lautet nach wie vor: Kann der 'neue' (immerhin bereits seit 2005 mitwirkende) Sänger Kelly Hansen den zuvor über 25 Jahre aktiven, für manche einzig wahren Frontmann Lou Gramm wirklich ersetzen? Dies mag jeder für sich selbst entscheiden. Für mich kann er dies in der Tat. Er singt mit gleicher Intensität sowohl die harten Songs wie die gefühlvollen Balladen. Was er allerdings offenbar nicht kann: dieselben Tonhöhen erreichen wie Lou Gramm, denn die alten Songs werden heute durchweg (ich habe es allerdings nicht für alle Songs überprüft) etwas tiefer intoniert, ohne dass dies allerdings deren Charakter negativ beeinflussen würde. So what!
Ach ja, fast hätte ich vergessen, überhaupt irgend etwas zu der Musik bzw. dem Musikstil von Foreigner zu sagen, was sicherlich auch allein für Foreigner-Neulinge von Interesse sein dürfte, die bislang von dieser Band wirklich noch nie etwas gehört haben. Doch dafür darf ich auf meinen Review über die letzte Compilation alter Foreigner-Hits aus dem Jahre 2008 No End In Sight verweisen. Im Nachhinein muss ich bei dessen Lektüre doch schmunzeln, dass der Musik-Stil von Foreigner als AOR = Adult Oriented Rock bezeichnet wird. Dies kann allenfalls aus heutiger Sicht gemeint sein, da die Fans von damals mittlerweile ins Erwachsenenstadium übergetreten sein dürften. Meine Eltern hätte die Musik seinerzeit gewiss nicht angesprochen!
Zurück zur Aktualität: Das Konzert in Nashville muss grandios gewesen sein; diesen Eindruck zumindest vermitteln einzelne Songpassagen, in denen auch das Publikum 'zu Wort kommt'. Insbesondere im ersten Track der zweiten CD "Feels Like The First Time" übernimmt das Publikum schon nach der ersten Textzeile phasenweise alleine den Gesang. Umso unverständlicher ist vor diesem Hintergrund, dass - insbesondere gerade vor diesem Track - es an manchen Stellen überraschende Ein- und Ausblendungen gibt. Hier kommt es zudem zu einem Déjà-écouté: CD 2 beginnt mit demselben »Thank you so much, thank you«, mit dem CD 1 gerade geendet hatte!
Diese 'Brüche' sprechen zudem dafür, dass das Konzert nicht durchgängig dokumentiert ist, sondern Passendes aneinandergereiht wurde. Dafür spricht auch die Gesamtlänge der Aufnahme. Inklusive des Bonus-Tracks kommen die beiden Scheiben auf eine Gesamtlaufzeit von gerade einmal 92:39 Minuten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles gewesen sein soll. Nur drei Tracks der aktuellen Scheibe! Nicht einmal "Too Late", das ja schon auf "No End In Sight" als damals einzig neuer Song mit drauf war, ist mit dabei. Verschiedene Meinungsäußerungen im Internet weisen in diesem Zusammenhang zudem darauf hin, dass auch der Titelsong "Can't Slow Down" in Amerika mit einem anderen Text gesungen worden sein soll als in Deutschland. Wieso also nicht vorliegend beide Versionen veröffentlichen (dann hätte auch die Bezeichnung 'Bonus-Track' eine Berechtigung)? Da wäre eindeutig mehr drin gewesen. So erscheint es mal wieder als Abzocke der Fans, denn die Klassiker hat jeder Foreigner-Fan bereits zur Genüge - sicherlich auch als Live-Version - in seinem Fundus. Und allein der neue Sänger erfindet die alten Titel auch nicht neu.
Lässt man das alles außen vor, bekommt man ein ordentlich eingespieltes Live-Album präsentiert. Von Anfang an lässt es die Band um den 'alten Herrn' (auf Mick Jones passt aktuell der Udo Jürgens-Titel "Mit 66 Jahren") so richtig krachen. Fast übergangslos werden die Starter "Double Vision" und "Head Games" dem Publikum an die Ohren gebracht; nach kurzer Begrüßung des Publikums folgt der Klassiker "Cold As Ice", bevor mit "In Pieces" der erste aktuelle Song dargeboten wird, der zeigt, dass Mick Jones als Komponist nichts verlernt hat.
Drum-Gewitter, vom Keyboard erzeugte sphärenartige Klangteppiche, alles so, wie man es seit Jahrzehnten von Foreigner kennt und auch erwartet. Alles zudem perfekt intoniert mit gewohnt mehrstimmigem Gesang. Und so geht es weiter. Die einzelnen Nummern werden routiniert dargeboten; jeder etwas länger als in der ursprünglichen Studioversion, ohne dass allerdings wirklich besondere 'Schmankerln', sprich: solistische Einlagen oder Ähnliches, wahrnehmbar wären. Das 'Live-Moment' ergibt sich jedoch in der Regel allenfalls anfangs und am Ende der einzelnen Titel, wenn das Publikum zu hören ist. Und selbst ein mittlerweile so totgenudeltes Stück wie "Urgent" wird - trotz des ab Beginn durchgängig im Hintergrund gespielten klassischen Gitarrenriffs - durch ein einleitendes Gitarrensolo äußerst interessant dargeboten. Und das Saxophon höre ich sowieso immer wieder gern.
Einen gewissen Ausreißer bildet "Juke Box Hero" mit einer Laufzeit von deutlich über zwölf Minuten, auch wenn hier ebenfalls nichts wirklich Neues geboten wird: Ein wenig Interaktion mit dem Publikum, ein paar ausschweifende Gitarrensoli, die dem Sänger ein wenig Erholung gewähren, ein Abschweifen zu "Whole Lotta Love" (auch das nichts Neues, enthielt doch bereits die CD "Extended Versions" eine derartige, live eingespielte Interpretation aus dem Jahre 2005; wiederveröffentlicht zudem auf "No End In Sight"), Rückkehr zum Ursprungstitel und endend mit einem kleineren Drum-Gewitter. Das macht schon Spaß!
Auch die Ballade "I Want To Know What Love Is" wird überlang dargeboten. Mehrfach übernimmt das Publikum den Chorus-Gesang; vordergründig begleitet vom Keyboard erinnert das fast schon an einen Kirchenchor!
"Hot Blooded" - aus der Ankündigung ergibt sich bereits, dass dieser Song wohl den Schlusspunkt des Nashville-Konzerts gesetzt hat - beginnt mit einem Gitarren-dominierten Intro, endet alsbald abrupt, bevor nach insgesamt knapp einer Minute sein klassischer, stampfender Rhythmus einsetzt. Das Stück wird als Show-Abschluss professionell in die Länge gezogen, bevor das Publikum seine Stars abfeiern darf.
Ähnlich enthusiastisch begrüßt im 'Bonus Track' das deutsche Publikum die Band, und hier verspürt man angesichts des aktiven Publikums beste Live-Atmosphäre. Mit einem abschließenden »Dankeschön, danke Seebronn« wird dies auch von der Band gewürdigt.
Produziert ist das Album - was die einzelnen Tracks betrifft - einwandfrei. Klangtechnisch brillant, kommen sowohl die treibenden Bässe wie die transparenten Synthiepassagen makellos rüber. Lediglich die Übergänge sind manches Mal etwas abrupt und zeigen, dass hier geschnitten wurde; schade eigentlich.
Das Klapp-Cover des Albums ist wie das Booklet (mit Ausnahme von grünen Texten) schwarz-weiß sowie - genregemäß - leicht machohaft gestaltet. Letzteres gilt auch für CD 1, wenn man sie der Hülle entnehmen will; mehr will ich nicht verraten.
Und mein Fazit? Das Album zeigt, dass Foreigner auch im 35. Jahr ihres Bestehens eine tolle Band sind, und dass - nach meiner persönlichen Meinung - insbesondere Kelly Hansen dazu einen Gutteil beiträgt. Lediglich der musikalische Umfang des Albums enttäuscht. Und ob man dieses Ton-Dokument wirklich zur Komplettierung seiner Sammlung benötigt, muss jeder, der schon Live-Aufnahmen von Foreigner besitzt (z.B. mit der Special Edition des letzten Albums), für sich selbst entscheiden.
Line-up:
Mick Jones (lead guitar, keyboards, bass, vocals)
Kelly Hansen (lead vocals)
Jeff Pilson (bass, backing vocals)
Tom Gimbel (guitar, saxophone, vocals)
Michael Bluestein (keyboards)
Brian Tichy (drums)
Jason Sutter (drums - CD2, # 7)
Tracklist |
CD 1:
01:Double Vision (3:46)
02:Head Games (5:39)
03:Cold As Ice (5:44)
04:In Pieces (4:27)
05:Blue Morning, Blue Day (3:20)
06:Waiting For A Girl Like You (5:35)
07:When It Comes To Love (3:51)
08:Dirty White Boy (3:58)
09:Starrider (6:21)
|
CD 2:
01:Feels Like The First Time (5:23)
02:Urgent (7:42)
03:Juke Box Hero (12:45)
04:Long, Long Way From Home (3:16)
05:I Want To Know What Love Is (7:00)
06:Hot Blooded (7:48)
07:Can't Slow Down (6:01)
|
|
Externe Links:
|