Irgendwann vor gut 30 Jahren konnte man bei einer Bausparkasse einen riesigen (gefühlte 1 qm, wahrscheinlich aber doch etwas kleiner) Kalender für nur 5 DM (sowie Angabe von Name und Adresse des Käufers - natürlich für Werbezwecke) erwerben, der - nahezu formatausfüllend - die Abbildungen von zwölf (oder waren es doch nur sechs) seinerzeit aktuellen LP-Covers enthielt. Die meisten Cover kannte ich als schon damals eifriger Musik-Sammler natürlich (auch wenn ich mich heute nicht mehr an sie erinnere). Allein das "Vorsicht Hochspannung"-Cover der Deutsch-Rocker Franz K. war mir damals neu. Deren Musik war halt seinerzeit bei mir nicht angesagt, was sich auch durch den dauernden Anblick des Covers nicht änderte. Dennoch 'elektrisierte' mich das Bild stark und führte dazu, dass ich dieses Kalenderblatt - im Unterschied zu den übrigen - längere Zeit in meinem Zimmer hängen ließ.
Als ich dann musikalisch etwas progressiver wurde, fiel das genau in die Zeit, in der Franz K. ins Schlager-Genre abzudriften drohten, so dass ich wieder keine Annäherung zu der Band fand und sie völlig aus den Augen verlor. Erst durch das Review von Jürgen Bauerochse über die Neuveröffentlichung von Wir haben Bock auf Rock (zusammen mit "Geh' zum Teufel") wurde ich an deren - zudem immer noch andauernde - Existenz erinnert.
"Wir haben Bock auf Rock" war im Jahr 1977 der Musikkonserven-technische Durchbruch der Band, was möglicherweise auch an diesem genialen Cover lag, das die Band in der Folgezeit in abgewandelter Form immer wieder ("Geh zum Teufel", "Trotzdem hart" und natürlich für eine "Greatest Hits"-Scheibe) verwendete. Und selbst - bzw. sicherlich ganz bewusst zum Zwecke der Wiedererkennung/-erinnerung - die beiden Comeback-Alben von Franz K. aus den Jahren 2009 und 2010 - Mehr Respekt und "Purer Stoff" sind sehr ähnlich gestaltet.
Nun also "Bock auf Rock - Live", die Wiederveröffentlichung des »legendären Live Albums aus dem Jahre 1982« (Zitat von der Bandhomepage) auf CD. Nun, ich kannte die damalige Veröffentlichung nicht, so dass ich nicht weiß, was daran legendenbildend gewesen sein soll. Bemerkenswert ist allerdings, dass die LP seinerzeit in einer Hülle (so nannte man das damals noch) veröffentlicht worden war, die in gar nichts an das legendäre Cover des Studio-Albums erinnerte; von 'Corporate Identity' hatte die Band zumindest seinerzeit noch nichts gehört. Für die Nostalgiker - und diese sind sicherlich die Hauptzielgruppe der vorliegenden Wiederveröffentlichung - ist die Verwendung des Original-Covers aber konsequent und daher richtig.
Die Aufnahmen stammen - so das Booklet - von einer im Jahr 1982 durchgeführten Tournee (und nicht - wie es ebenfalls auf der Bandhomepage heißt - allein aus der Zeche in Bochum). Aufgrund der Zwischenansagen wird deutlich, dass die Aufnahmen - auch wenn man manchmal den Eindruck hat, dass sie ungeschnitten ineinander übergehen - an verschiedenen Orten eingespielt wurden. Dennoch sind sie klanglich durchgängig auf einheitlich durchaus gutem Niveau. Sie belegen - was bereits Jürgen in seinem Review beschrieben hat - dass die Band live wesentlich besser rübergekommen ist als auf ihren Studio-Aufnahmen. Deutsch Rock der damals angesagten Art, was sowohl die Texte als auch die Musik betrifft, vorgetragen in einer Form, die das Publikum zum aktiven Mitsingen bewegt. Mehrfach übernimmt es mittels (neudeutsch) 'Handclapping' die Rhythmus-Sektion, und beispielsweise beim Klassiker "Bock auf Rock" wird es interaktiv mittels Wechselgesang insbesondere beim Refrain eingebunden (was angesichts der Schlichtheit des Textes auch für jedermann in jeglichem Zustand problemlos möglich war), wodurch der Titel auf eine Spielzeit von achteinhalb Minuten ausgedehnt wurde.
Ansonsten muss man nicht viel über die einzelnen Titel sagen: Dass als Intro der Armeemarsch "Preußens Gloria" (aus dem 19. Jahrhundert, komponiert von Johann Gottfried Piefke, der möglicherweise die Österreicher dazu animierte, uns so zu nennen!) angespielt wird, mag als 'Starting Gag' noch durchgehen. Denn was folgt, ist gradliniger Rock mit für die Entstehungszeit durchaus sozialkritischen Texten; das alles mit viel Spielfreude und Improvisationstalent vorgetragen. Man spürt gut, wie positiv das Ganze vom damaligen Publikum aufgenommen wird. Herausgebracht hat das Ganze die Plattenfirma Sireena, die sich damit einmal mehr für 'vergessene Perlen' eingesetzt hat. Die CD ist liebevoll wie eine alte LP bedruckt, was den historischen Charakter der Aufnahme unterstützt. Und schließlich ist auch das Booklet - mit alten Fotos, jedoch mit neuen Liner-Notes - nett gestaltet.
Als quasi obligatorischer Bonus-Track (ohne den hatte die Original-LP eine auch für damalige Verhältnisse äußerst kurze Gesamtlaufzeit von nur 37:30 Minuten) findet sich auf der CD eine Live-Aufnahme des Henry Mancini-Klassikers "Peter Gunn" (Ähnlich schräge Einspielungen gibt es u.a. auch von Emerson, Lake & Palmer sowie Roy Buchanan).
Exakt ausgedrückt handelt es sich um eine Kunstkopf-Aufnahme oder auch Kunstkopf-Stereophonie-Aufnahme. Für die Jüngeren unter den RockTimes-Lesern: Kunstkopf-Aufnahmen kamen in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verstärkt auf. Dabei wurden zwei Mikrophone mit Kugelcharakteristik in die Ohren eines nachgebildeten Kopfes eingebaut, um das menschliche stereophone Hören möglichst originalgetreu aufnehmen zu können. Der Kopf wurde bei Live-Konzerten oftmals mitten im Publikum aufgestellt, um das Konzerterlebnis zu dokumentieren. Da derartige Aufnahmen in erster Linie über Kopfhörer gehört werden sollten und wegen weiterer technischer Probleme hat sich diese Technik jedoch nicht weiter durchgesetzt.
In der Tat ist der 'Musikgenuss' der vorliegenden Aufnahme (bereits aus dem Jahr 1974) über Kopfhörer unmittelbarer als über die großen Boxen. Das Ganze wird jedoch überlagert durch die schlechte Qualität der Aufnahme als solcher, die damals in der Schützenhalle in Erwitte (Ruhr) über einen »Hifi-Stereocassettenrecorder von Philips« (so die Anmerkung im Booklet) erfolgte. Das durchgängige Rauschen und der insgesamt dumpfe Klang sind für heutige Ansprüche an den Klang auch älterer Aufnahmen nur schwer zu ertragen, so dass der Bonus-Track nur unter dem Stichwort 'audiophile Rarität' bewertet werden kann.
Die CD im Übrigen muss und kann als das, was sie ist, durchaus positiv gewürdigt werden: Ein musikalisches Zeitdokument zum Thema 'Rock in Deutschland in deutscher Sprache in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts': Nicht mehr - aber gewiss auch nicht weniger!
Übrigens: Der Band-Mitbegründer und Schlagzeuger von Franz K., Stefan Josefus hat auf YouTube ein Video von einer seinerzeitigen "Bock auf Rock"-Interpretation - aufgezeichnet in der Ruhrlandhalle in Bochum - eingestellt. Auch die etwas kürzere Live-Aufnahme bestätigt durchaus eindrucksvoll, dass die Band live wesentlich stärker rüberkam als aus der Konserve. Als Appetizer durchaus empfehlenswert!
Line-up:
Peter Josefus (Bass, Gesang)
Mick Hannes (Gitarre)
Stefan Josefus (Schlagzeug)
Tracklist |
01:Tiger (4:37)
02:Vergiss es (5:20)
03:Der erste Krach in deinem Leben (4:35)
04:Renn, Bruder, renn (4:19)
05:Rock in Scheeßel (7:41)
06:Wir haben Bock auf Rock (8:33)
07:Bye Bye Johny (2:37)
Bonustrack:
08:Peter Gunn (9:09)
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