Sean Filkins / War And Peace & Other Short Stories
War And Peace & Other Short Stories Spielzeit: 68:40
Medium: CD
Label: Festival Music, 2011
Stil: Prog Rock

Review vom 28.06.2011


Boris Theobald
Heldenverehrung so oder so - seit dem Split mit Big Big Train anno 2009 findet man den Namen von Sänger und Gitarrist Sean Filkins im Line-up der Prog Rock-Tribute-Band The Indigo Pilots. Also Fremdmaterial aus dem Munde des 48-jährigen. Aber seine Verbindungen im Genre hat er sich erhalten ... und siehe da: auch die Lust auf Neues! Filkins hat seine Soloscheibe im Studio Lee Abrahams aufgenommen - der ist Bassist bei der britischen Prog-Institution Galahad, und eben auch Kollege Filkins' bei den Freizeit-Proggern The Indigo Pilots. Als Basser wurde er gleich mitverpflichtet, und die Pilots-Spezis John Sammes (keys) und Gerald Mulligan (drums) gleich mit. Und außerdem ja noch diverse Szene-Größen wie Dave Meros (Spock's Beard), John Mitchell (Arena, It Bites) und Gary Chandler (Jadis) sowie weitere Gastmusiker für 'Exotisches'. Ja, der Blick auf die Besetzungsliste lässt bereits erahnen, dass hier mit viel Hingabe für Details gearbeitet worden ist.
Gleiches lässt sich auch für die textliche Seite sagen. Schon der Titel "War And Peace & Other Short Stories" macht neugierig auf den Inhalt. Und diesbezüglich lässt sich die CD mehr oder weniger zweiteilen. Track eins bis vier handeln tatsächlich von Krieg, genauer gesagt einem britischen Soldaten, der zumindest seelisch, wenn nicht auch körperlich, schwer traumatisiert aus einem Kriegseinsatz zurückkehrt und an seinen übermächtigen Erfahrungen, an seinem Gewissen und Selbstmitleid zerbricht. Teilweise voller Metaphern, teils aber auch sehr konkret und tieftraurig skizziert Filkins die zerstörten Träume seines nicht näher bekannten Protagonisten:
»And he's always looking at the world through a pair of rose tint glasses.
Never doing any wrong or so it seems.
But he won't walk under ladders on the thirteenth day.
And the cracks in the mirror see the lines of doubt appearing round his eyes.«
... so der Wortlaut einer Version des stetig variierten Refrains von "The English Eccentric", der mit einer wundervollen Melodie und verträumter Wehmut so tief in die Seele eindringt, dass man sich den Song hundert Mal am Stück anhören möchte. Um diesen Refrain herum gibt es große instrumentale Klasse zu bewundern. Wilde Drum-Fills zu einem energischen Synthie-Bass-Duell machen hart rockend Tempo und bilden die Gegenparts zu schwebenden Strophen aus akustischer Gitarre, Bass und Orgel. Die krassen atmosphärischen Gegensätze ergänzen einander zu etwas großartigem Ganzen, alles ganz in der Tradition klassischer Symphonic-/ Prog Rock-Bands. Man denkt zuweilen an die frühen Spock's Beard. Und Sean Filkins' Gesang hat viel von Trent Gardner - auch stilistisch wildert man in ähnlichen Jagdgründen. Ein großartiger Song!
"Prisoner Of Conscience" setzt - auch thematisch - nahtlos an. Akustischer Flashback: Kampfjets und Granateneinschläge sind zu hören. Es folgt die Ruhe danach: eine beklemmende Atmosphäre aus fernöstlicher Flöte, Sitar und Synthie-Drone. Tablas kommen hinzu; die Sitar nimmt Dynamik auf - das könnte auch auf einem Robert Plant-Album stattfinden. Episch und vertrackt geht es weiter mit einem Mix aus diffizil verproggtem Hard Rock und introvertierteren, Gesangs-betonten Passagen. Yes, David Gilmour, Jethro Tull und andere 'Verdächtige' lassen sich raushören. Es gibt etliche Überraschungen; und Sean Filkins versteht es dabei, kleine Details zu großer Dramatik auszubauen. So zum Beispiel in seinem finalen Fazit über die desillusionierten Helden des Krieges und den Tribut, den dieser ihnen abverlangt:
»To return to a Hero's welcome. Swept along on a wave of euphoria.
Your memory. Now suppressed in the blinking of an eye.
You can't lose it. You know it happened.
Caught in the crossfire as the prophets have their day.
The lies, deceit, reality. The patrons of hypocrisy.
All slap each other's backs in time, for trusting their morality.
A sardonic toast, to the victims of the funeral pyre.
The costly toll of love and life. Exchanged For Blood and Fire.«
Das sitzt. Ebenso wie die Dramatik rund um das letzte Wort 'Fire', das Filkins mehrmals regelrecht rausschreit ... Kirchenglocken tauchen ebenfalls im Klangmix auf. Hier steckt alles voller Symbolik.
So viel zum 'ersten' Teil des Albums. Danach verliert es an Anziehungskraft. Sean Filkins macht es einem deutlich schwerer als zuvor. In dem mehr als 20 Minuten langen "Epitaph For A Mariner" zerrinnt die Aufmerksamkeit des Hörers all zu leicht. Filkins' Tochter singt zu Beginn etwas Volkstümliches ("Sailor's Hymn"), bevor sich über viele Minuten hinweg hypnotisch-psychedelische Atmosphären ausbreiten - mal in sich gekehrter, mal auch intensiver und Groove-lastig. Filkins nutzt dazu in seinen Texten das weite Meer für zahlreiche Metaphern um uns das Geborenwerden, das Sterben sowie Sinn und Tragik des irdischen Aufenthaltes dazwischen. Das hat viel Tief(see)gang, die Spannungsbögen sind allerdings so lang wie der Ozean tief ist.
"Learn How To Learn" ist schließlich als Schlusstrack genau richtig platziert, vor allem inhaltlich als Retrospektive über Lebensentscheidungen ... musikalisch ein Crescendo und Decrescendo von heimelig-warm-harmonischer Jon Anderson-(Fr)Agilität über ein ausdrucksstarkes E-Gitarren-Solo bis zu einer Art Weltmusik, die zum Ende hin immer meditativer wird. Wieder mit Tablas und Sitar und hintergründig-entferntem Gesang.
Sean Filkins macht es dem Hörer nicht durchweg leicht. Aber ein Eindruck zieht sich doch durch die kompletten 68 Minuten und 40 Sekunden Spielzeit: Jeder Ton und Zeile seines Albums ist sehr persönlich. "War And Peace & Other Short Stories" sortiert sich schon fast automatisch in der Kategorie 'Geheimtipp' ein ...
Line-up:
Sean Filkins (lead and backing vocals, guitars, percussion, didgeridoo, keyboards)
Lee Abraham (bass, guitars, keyboards, backing vocals)
Rob Arnold (keyboards, piano)
Alistair Begg (fretless bass)
Garima (sitar)
Marc Clayton (tabla)
Christopher James Harrison (guitars)
John Mitchell (guitars)
Gerald Mulligan (drums)
Simon Nixon (Flamenco guitar)
Darren Newitt (guitars)
Ben Rouse (mandolin)
John Sammes (keyboards, sequencer programming)
Helen Tudor (flute)
Geoff Webb (guitars)
Diane Abraham (backing vocals)
Abigail Filkins (vocals)
Daisy Sammes (vocals)
Tracklist
01:Are You Sitting Comfortably? (1:06)
02:The English Accentric (8:46)
03:Prisoner Of Conscience. Part 1. The Soldier (19:21)
04:Prisoner Of Conscience. Part 2. The Ordinary Man (11:02)
05:Epitaph For A Mariner (10:50)
06:Learn How To Learn (7:27)
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