»Niemals werde ich das Gefühl der Furcht, des Grausens und der Bewunderung vergessen, mit dem ich nun um mich blickte. Das Boot schien wie durch Zauberkraft auf dem halben Wege nach unten auf der innern Fläche eines ungeheuer weiten, unermesslich tiefen Trichters zu hängen, dessen vollständig glatte Seitenwände man für Ebenholz gehalten hätte, hätte man nicht gesehen, dass sie mit betäubender Schnelligkeit rundum drehten, während sie einen blendenden, geisterhaften Glanz widerspiegelten, als aus der eben beschriebenen kreisrunden Öffnung der Wolken die Strahlen des Vollmondes wie eine Flut glorreichen Goldes die schwarzen Wände hinab und bis tief in die innersten Tiefen des Abgrundes hineinströmten.«
Beim jungfräulichen Abhören der neuesten musikalischen Botschaften aus ewig unterkühlten norwegischen Übungskellern, irgendwo in den Straßenschluchten Oslos, manövrieren die Sinne geradewegs in einen expandierenden Malstrom, wie ihn einst Meister Poe brillanter in Worte zu schildern vermochte, eröffnen sich gar transzendentale Schlünde, aus deren geifernden Öffnungen sowohl morbide als auch ambientöse Melodienschauer ihre wärmenden Pranken nach des erstarrten Konsumenten Gunst ausstrecken, um sein Hirn mit einer Klangwolke zu umschatten.
Die fünf nordischen Landschaftsmaler wälzen ihre überlangen, wabernden Orgelstücke
aus den Boxen, wirbeln uns merkwürdig monströse, psychedelische Strudel um die Ohren,
verbandeln die baroquesken von 'alter' Schule gebackenen Kompositionen hingebungsvoll
zu dem Duft der himmlischen Weihrauchschalen erfüllend, mit einigen reanimierten instrumentalen Raffinessen aus Siebziger-Versuchslaboren, ohne dabei aller "künstlerischer" Rumwichserei zu verfallen.
Über den dahinkriechenden musikalischen Klumpen thronen mit aristokratischem Stolz die flötenden, orgelnden, seltsam radikalen Madrigale der einst so erfrischenden Canterbury-Pioniere und deren intellektuellen Pseudo-Dramatik, wobei Graaf'sche-Liebeserklärungen als Damoklesschwert über den aberwitzigen Arrangements schweben. In Bergen von Mellotron-, Moog- und Hammondsounds laboriert das schwermütige Klagen, eines vom spirituellen Pathos besessenen Hamill-Zwillings, welcher beachtlich mit und nicht gegen das analoge Instrumentarium zu manövrieren vermag. Den vier gotischen Monolithen entweicht stellenweise der Hauch eröffneter Grabkammern, um dramaturgisch durch nebulöse Instrumentalsegmente zu schwelgen, wobei das durch seine erfrische Unvollkommenheit streichende Mellotron nebst einigen überraschenden theatralischen Einlagen flötistischer Kunstfertigkeiten und einer jubilierenden Mariachi-Trompete in "Prevail The Sea" einen dominanten Pfad befrieden, um somit der gesamten Szenerie einen herrlich altmodischen Charme anzugedeihen.
Die norwegischen Musikalchemisten geben sich in ihren Epen eher verhalten waghalsigen Experimenten hin, geizen nicht mit dissonanten und spröden Entgleisungen, zelebrieren stattdessen ihre kühle Emotionalität in prächtige instrumentale Farben gefasst, vermögen es aber, nie überzeichnet oder übertrieben, lavige abgeklärte Riffs mit nahezu esoterischer Lässigkeit in das hymnische Genöle zu versenken. Apokalyptische Tasten- und Blechbläser-Applikationen beleben das schleppende Ensemble, welches die konservierte Essenz vierzig Jahre lang abgewetzter Mühlensteine von buchstäblich ausgereizten "Back"stuben mit sich tragen, die von jeher Tristesse und Schönheit miteinander verbinden. Stets auf Augenhöhe und mit allergrößtem Respekt entzaubern die Protagonisten eigens den Schrein heiligster Prog-Oldies, um so Crimson'eske und Van der Graaf'sche Vorzüge in clever konzipierten, miefigen, aber dennoch erfrischend druckvollen Soundgebilden als musikalische Zeitmaschine, in eine von synthetischen Tönen überflutete Gegenwart zu katapultieren.
Trotz festgegossener Formen versuchen die traumwandlerisch agierenden Instrumentalisten, wenn auch etwas verkrampft, auf einer schwermütigen Grundierung ihren eigenen nordischen Pinselstrich aufzutragen, welches in Ansätzen teilweise zu gelingen vermag. Gargamels zweite Studioproduktion dokumentiert das delirierende Verhältnis zwischen gespenstischer Opulenz und melancholischer Reduktion, lässt den Zuhörer in eine emotionale Talfahrt entgleiten, verstehen es aber auch mit der Ambivalenz zwischen deftig organischer Kunstfertigkeit und herzentreißender gefälliger Oberfläche zu fesseln. Im retrospektiven "Labyrinth" verästeln sich Klangvariationen unter einer stetig brodelnden Oberfläche, greift man noch einmal behände in den Gemischtwarenladen verwunschener Artrock-Kuriositäten, als wollten die Musikanten ihren Götzen Paroli bieten, und selbigen einerseits mit versonnener Tristesse, anderseits mit interpretatorischer Leidenschaft ein Denkmal errichten. Wie auch immer, welcher dem Genre geneigter Konsument sich gern seine Liebe zu klaustrophobischen Schauerstücken mit daseinsschweren rockigen Parametern auf den Leib schneidert, sollte sich unbedingt auf das vorliegende Werk und dessen delikat beschwörenden Momente einlassen.
»Die Umdrehungen des Strudels ließen immer mehr an Heftigkeit nach. Allmählich verschwanden der Schaum und der Regenbogen, und der Boden des Strudels schien sich langsam zu erheben. Der Himmel wurde klar, die Winde hatten sich gelegt, und der Vollmond ging strahlend im Westen unter…«(E.A. Poe)
Es bleibt letztendlich jedem selbst überlassen, ob dieser durch die Wiederholungstaste den
musikalisch turbulenten Reiseweg durch den "Malstrom" wiederum erneut erkunden,
oder lieber mit dem letzten Van der Graaf-Vermächtnis unter dem Arm, den Weg zum
Psychiater seines Vertrauens antreten mag.
Line-up:
Tom Uglebakken (guitar, vocals, flute, saxophone)
Stig Joran Rygg (bass)
Morten Tornes (drums, percussion, vocals, glockenspiel, theremin, Korg MS20, spacewhistle)
Arne Ton (Hammond, rhodes, piano, mellotron, clavinet, Wurlitzer, Yamaha YC-45D, clarinet)
Bjorn Viggo Andersen (mini Moog, Korg MS20, Moog Prodigy)
Guest musicians:
Asiak Ton (trombone)
Leif Erlend Hjelmen (cello)
Jons Sjogren (trumpet)
Tracklist |
01:Descending
02:Prevail The Sea
03:Trap
04:Labyrinth
|
|
Externe Links:
|