The Gathering / Souvenirs
Souvenirs
Ein ruhiges Album ist es geworden. Früher einmal war The Gathering schwer in der Grablichtfraktion angesagt, dort wo man lebenslustiges Schwarz trägt und Tageslicht weitgehend meidet. Die ersten Alben der Niederländer, aber insbesondere "Mandylion" aus dem Jahr 1995, ließen sich vielleicht gerade noch in diese Ecke stellen. Wer aber auf Souvenirs die damals vorkommenden schweren, düsteren Gitarren und die voluminösen, fast schon sopranistischen Ausbrüche Anneke von Giersbergens erwartet, hat sich in der Hausnummer geirrt. An einigen Stellen deutet unsere Lieblingsholländerin zwar noch an, dass sie das durchaus drauf hat, aber insgesamt kommt die Scheibe ganz gut ohne aus.
Das Album ist relaxt, aber durchaus dramatisch. Es ist ruhig, aber dennoch ergreifend.
Die andere tragende Säule des Sounds, neben Annekes Goldkehlchen, stammt von Hugo Prinsen Geerligs. Es gießt mit dem Bass ein samtweiches, aber demutsvolles Fundament. Bei "You Learn About It" und "Monsters" wird er würdevoll von Gastmusiker Michael Buyens vertreten.
Was genau das eigentlich für Musik ist, bleibt für mich offen. Manche würden es wohl als "Atmopshere-Gothic-Soft- Metal" beschreiben und vielleicht auch noch die Wörter "modern, psychodalic" und "acid" in die Klassifizierung unterbringen, aber darauf lasse ich mich ungern ein. Weiterführende Literatur:  Das Stil-Wirrwarr
Vielmehr sind die Songs irgendwie "harmonisch". Damit ist nicht gemeint, dass die Tonlage eingehalten wird und ähnlich Profanes. Der Ausdruck zielt bei der Gathering-Musik eher auf eine mehrdimensionale Harmonie ab. Sie betrifft eben nicht nur die Tonlagen und Mehrklänge, sondern auch die Klangfarben, die Dramaturgie der Songs - das Feeling eben. Anneke van Giersbergen gab mal in einem Interview bekannt, dass einige Bandmitglieder Synästhetiker sind. Diese Gabe läst einen Töne sehen, Farben schmecken oder Düfte hören. Damals dachte ich nur "typisch Holländer", aber die "tiefe" Harmonie in diesem Album ist ein Indiz für den Wahrheitsgehalt ihrer damaligen Aussage. Dezent eingesetzte Himmelsgeigen finden sich neben kleinen Klavierharmonien. Annekes Gesang dazu bringt die Komposition auf den Punkt.
Die Anspieltipps:
"The Good People" ist als erster Song der richtige Einstieg. Mit einem gesampelten Sound, dezentem Schlagwerk, samtigen Basslauf und sphärischen Himmelsgeigen wird Annekes Intonation vorbereitet. Danach wünscht man, der Song würde niemals mehr enden.
"You Learn About It" kommt eindeutig auf meinen persönlichen und in der Rocktimes auch schon angedrohten "Best Songs of all times" - Sampler. Darüber hinaus löst er mein bisheriges "The Gathering"-Lieblingslied - "Kevin's Telescope" vom Album "Nighttime Birds"- ab. Anneke verzaubert die ersten vier Zeilen solo, dann setzt der Viersaiter die Akzente mit seinem eindringlichen Rhythmus. Ein Lied zum träumen und staunen.
"Monsters" erinnert ein bisschen an die früheren The Gathering. Anneke van Giersbergen wird zum Refrain hin etwas voluminöser und ein kleines Gitarrenmäuerchen unterstützt die Dramaturgie. Dann wird die Spannung kurz herausgenommen, um mit mehrstimmigen Gesang die nächste Gänsehaut zu produzieren. Wahnsinn!
Das Booklet ist eines dieser verdammten Origamiteile, letztlich bestehend aus einem Papierstreifen, der sechsmal so breit ist wie eine CD-Hülle. Das Aufklappen lohnt eigentlich nicht, weil man keine Infos mehr bekommt, sondern ein paar Bildchen. Schätze, dass dies die Assoziationen der Band zum Begriff "Souvenirs" sind. Auch der CD-Aufdruck ist spartanisch. Er ist rot, glitzerig und fühlt sich irgendwie rau an.
Für alle, die sich zugestehen Melodien zu lieben und auch noch Platten kaufen, die nach 1975 aufgenommen wurden, kann "Souvenirs" das Tor zu einer neuen Welt sein...
Spielzeit: 61:35, Medium: CD, Psychonaut Records 2003
These Good People, Even The Spirits Are Afraid, Broken Glass, You Learn About It, Souvenirs, We Just Stopped Breathing, Monsters, Golden Grounds, Jelena, A Life All Mine"
Olli "Wahn" Wirtz, 23.10.2004