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Gentle Giant / Memories Of Old Days
A Compendium Of Curios, Bootlegs, Live Tracks, Rehearsals And Demos 1975-1980
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Immer wenn mir der progressive Einheitsbrei, der in heutigen Zeiten leider viel zu häufig serviert wird, Blähungen verursacht, lege ich besonders gern zwei Scheiben (natürlich 'altes' Vinyl) auf : "Free Hand" und das Live-Doppelalbum "Playing The Fool" - beides Meisterwerke von Gentle Giant aus den güldenen Siebzigern. Nein, natürlich war früher NICHT alles besser!! Aber eine derart abgefahrene, völlig eigenständige Mixtur aus Psychedelic Rock, Klassik, Free Jazz und (keltischer) Folklore sucht man dieser Tage leider vergeblich. Gentle Giant waren schon gewaltig schräg, aber immer noch leichter konsumierbar als King Crimson, für die man schon etwas halluzinogene Unterstützung benötigte, um zu verstehen...
Bereits mit "Under Construction" (1997) und vor allem der Vier-CD-Box "Scraping The Barrel" (2004) hatte Gentle Giant, die sich - Gott sei gepriesen - als eine der wenigen Bands aus den Siebzigern eine Reunion verkneifen konnten, die Bandarchive weit geöffnet. Dies wird nun mit der Fünfer-Box "Memories Of Old Days" fortgesetzt - und der Untertitel "A Compendium Of Curios, Bootlegs, Live Tracks, Rehearsals And Demos 1975-1980" hält nun wirklich, was er verspricht. Die Qualität der ersten CD ist - freundlich ausgedrückt - ziemlich unerfreulich. Diese, teilweise noch unfertigen Songfragmente, die ohne Gesang merkwürdig hohl und leer klingen, sind wohl nur für die beinharte Fanfraktion von Interesse. Eine Ausnahme bildet einzig die sehr schöne, jazzige Instrumentalversion von "Time To Kill". Vor allem die siebzehnminütige Kompositionssession des Pianisten Kerry Minnear zu "I Lost My Head" ist ungefähr so erquicklich, wie von den Etüden eines leidlich begabten Klavierschülers in der Wohnung unter einem frühmorgens um sechs geweckt zu werden. Grausam! Wahrscheinlich waren alle Anwesenden derart genervt, dass dieses Werk erst ein Jahr später auf dem Longplayer "Interview" erscheinen durfte.
Für die Live-Takes gilt das gleiche, vernichtende Urteil, was vor allem im Fall von "Peel The Paint/I Lost My Head" - einer tollen, fast schon freejazzigen Nummer - besonders schade ist. In der hier dargebotenen Version verursacht sie beinahe Ohrenschmerzen... Die Aufnahmen zur zweiten CD entstammen allesamt den Generalproben zur "Pinewood"-Tour, die im Jahr 1977 stattfand. Auch wenn knisternde Live-Atmosphäre ohne Publikum nicht so recht aufkommen mag, kommt durch die bereits einstudierten Ansagen, reichlich frotzelndes Feixen und Spässken auf der Bühne ein entsprechendes Flair auf und somit ziemlich authentisch rüber. Die Soundqualität stimmt hier im Gegensatz zu den 1975er Aufnahmen von der ersten CD und auch in puncto Spielfreude lassen die Zärtlichen Riesen bei allen elf Songs keine Wünsche offen!
Die dritte CD bietet wieder einen Mix aus Fragmenten und Studiosessions, diesmal zum für so manchen vielleicht etwas enttäuschenden 1977er Album "The Missing Piece", sowie Aufnahmen von der US-Tour im gleichen Jahr. Was diese, teilweise winzigen Schnipselchen einzelner Instrumente für einen 'Nährwert' haben sollen, bleibt schleierhaft. Einzig bei "Winning" ist die gesamte Instrumentalfraktion für knapp drei Minuten zugange.
Die Live-Takes gehen qualitativ kaum über mittelmäßiges Bootleg-Niveau hinaus, trotzdem kommt wegen der inspirierten Virtuosität und der Begeisterung des Publikums Freude auf. Bandklassiker wie "Free Hand" und "Funny Ways" oder das wohl beste Stück des damals aktuellen Albums, "I'm Turning Around", werden in einer mitreißenden Intensität dargeboten - da ist man gerne bereit, bei der Klangqualität ein Auge zudrücken. "The Face" und "For Nobody" sind zwar etwas übersteuert, zeigen aber sehr schön die kaum zu bändigende, anarchistisch-kreative Kraft des Gentle Giants, hier im Zenit seines Schaffens stehend. Die schönste Nummer ist für mich "On Reflection", eine sechsminütige Spielerei zwischen keltischer Folklore und ziemlich schräger Klassik. Die fünf Musiker werfen sich mit einer spielerischen Leichtigkeit und Eleganz die (musikalischen) Bälle zu - über allem thront der majestätische Satzgesang. Großartig! Das Sahnestückchen dieser Box ist fraglos die vierte CD, die 1978 für die BBC-Sendung "Sight & Sound In Concert" aufgezeichnet und gefilmt wurde. Elf Masterpieces in einer derart überzeugenden Tonqualität, dass man sich eine Veröffentlichung auf DVD/Blu-ray wünschen möchte! Erneut glänzt "On Reflection" vom 1975er Erfolgsalbum "Free Hand" - hier in glasklarer Aufnahmequalität, sodass man die hübsche Einleitung von Cello, Violine und Blockflöte genauestens sezieren kann. Auch das für diese Box titelspendende "Memories Of Old Days", eines der besten Stücke des damals aktuellen Tonträgers ("The Missing Piece"), zählt zu den Großtaten dieser BBC-Session. Ungewöhnliche, für Gentle Giant-Fans fast verstörende Töne werden mit "Betcha Thought We Couldn't Do It" angeschlagen. War das die Antwort der Band auf die damals einschlagende Punkwelle?? Nach diesem etwas verschrobenen Stück wirkt der Klassiker "Funny Ways", dem 1970er Debüt entliehen, wie wahrer Balsam für die geschundenen Ohrwaschln. Das rhythmisch-treibende "Mountain Time" überzeugt (mich) in dieser Live-Version erheblich mehr als das Studiotake von "The Missing Piece". Allesamt sehr packende Aufnahmen!!
Die folgenden fünf Demos aus den Aufnahmesessions zur 1978er Scheibe "Giant For A Day", alle zwar exzellent im Ton aber ohne Gesang, haben ganz sicher historischen Wert, aber in erster Linie wohl nur für Gentle Giant-Freaks. Letzteres gilt im Besonderen für die beiden ersten Takes der fünften CD, die in den Vorproduktionen zum letzten Album der Band, "Civilian" von 1980, entstanden sind. Mit diesem Album näherte sich der Zärtliche Riese dem Hard Rock und New Wave - eine Entwicklung, die die 'alten' Fans unter keinen Umständen goutieren wollten.
Immerhin vierzehn Songs der finalen US-Tour, hier vom Gig in New Haven/Connecticut, bilden den Abschluss des fünfteiligen Boxsets. Die Qualität des Sounds entspricht normalem Bootleg-Niveau und da die Brillanz der BBC-Session nicht erreicht wird, sind vor allem die Takes interessant, die hier noch nicht in einer Live-Fassung vertreten waren: bspw. "Knots" oder "The Advent Of Panurge", beide vom 1972er "Octopus"-Album, und natürlich das sensationelle Drumsolo "Five Man Drum Bash". Trotz einiger Abstriche bereichern diese Aufnahmen die vorliegende Box fraglos. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei derartigen Griffen in die Archive nicht nur Freudensprünge der Anhängerschaft zu erwarten sind. So manches Take von "Memories Of Old Days" ist ganz sicherlich verzichtbar. Dem stehen teilweise großartige Live-Aufnahmen und ein tolles Booklet mit Kommentaren der Herren Derek und Ray Shulman, Gary Green, Kerry Minnear und John Weathers gegenüber. Das alles wird zu einem wesentlich günstigeren Preis als die "Scraping The Barrel"-Box angeboten. Da braucht ein Gentle Giant-Freak nicht lange zu überlegen...
Wer hingegen lieber 'fertige' Songs hören mag, ist vielleicht mit der Vierer-Box "I Lost My Head/The Chrysalis Years (1975-1980)" besser bedient.
Line-up:
Derek Shulman (lead vocals, saxophones) Gary Green (guitars, vocals) Kerry Minnear (keyboards, cello, vocals) Ray Shulman (bass, violin, viola, backing vocals) John Weathers (drums, percussion, flutes, vocals)
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