Mir schwant ja so einiges. Unter anderem scheint sich die Ära der Musik-CD unweigerlich und ziemlich rasant ihrem Ende zu nähern.
Es gibt beispielsweise nur noch ganz wenige Major-Labels. Die Fusionen und Elefantenhochzeiten der letzten Jahre erinnern dabei stark an die Geschehnisse in anderen Wirtschaftszweigen. Die Wirtschaft an sich hat sich globalisiert, nur die Größten und Stärksten werden überleben. Das erinnert nicht zufällig an einen Herrn namens Charles Darwin, dem allerdings ursprünglich ein ganz anderes Terrain am Herzen lag. Wenn der wüsste …!
Dabei werden seine Lehren heutzutage ausgesprochen kritisch betrachtet. Vielleicht sollte auch mal jemand das entfesselte kapitalistische Wirtschaftssystem kritisch unter die Lupe nehmen.
Jedenfalls sind wir als Musikfreunde von der sogenannten globalisierten Wirtschaft betroffen. Wenn ich in irgendeiner City einen Plattenladen suche, werde ich in aller Regel scheitern! Also renne ich verzweifelt in einen Blöd- oder Geizhalsmarkt und entdecke unter ferner liefen einige Musik-CDs von den besagten Oligopol-Labels und komme mir vor wie im 'Wettbewerb' der Stromanbieter. Außer gnadenlos vermarkteter Plastikware und ein paar Mainstream-Dinosauriern wie Bruce Springsteen oder Mark Knopfler kann ich nix entdecken, was ansatzweise mit schnörkelloser Rockmusik zu tun hat. Von Bluesrock oder anderen vermeintlich antiquierten Musikstilen wollen wir mal lieber erst gar nicht reden.
Da bleibt also als erste Adresse das World Wide Web. Download ist der Markt der Zukunft, so wird es uns suggeriert, und der gemeine Musikfreund denkt wehmütig an alte Zeiten zurück, als die Scheibe noch eine richtige Scheibe war und keine Scheiblette. Gut, der Scheiblette geht es an den Kragen, doch sie ist wenigstens ein physischer Tonträger, mit Glück auch ansprechend und informativ aufgemacht.
Somit verbleiben im Augenblick hautsächlich engagierte und spezialisierte Mailorderanbieter, die sich auf dem immer härter umkämpften Markt der Download-Verweigerer behaupten müssen. Sicher, ein Download als Appetithappen wird keiner verwehren, aber als einzige Quelle des Musikgenusses?
Hier tummeln sich dann diverse Klein- und Kleinstlabels, in der Regel hochgradig spezialisiert und somit immer mit einer festen Zielgruppe vor Augen.
Aber es kommt mittlerweile auch ziemlich häufig vor, dass CDs überhaupt gar nicht mehr über Labels produziert und vertrieben werden, sondern quasi in Eigenregie als vitale Ich-AG das Licht der Welt erblicken und dann entweder ausschließlich über zur Ich-AG gehörende Webseiten vertickt, oder zusätzlich über genannte spezialisierte Mailorder an den Mann/die Frau gebracht werden. Hinzu kommen noch reine Online-Plattengeschäfte, die solche Produkte auch gerne anbieten.
Und genau so ein Erzeugnis hat jetzt vor kurzem den Weg in die Schublade meines Kasperplayers gefunden. Gentlemen's Blues Club heißt die Ich-AG und ist, wie der Name es schon vermuten lässt, eher eine Gruppen-AG. "Longhorn Honeymoon" heißt der Silberling aus den USA und der Zusatz "Volume 2" macht unmissverständlich klar, dass diese Veranstaltung einen Vorgänger haben muss.
Richtig, "Shotgun Wedding" hieß vor zwei Jahren das Produkt und wurde in einem anderen Onlinemusikmagazin folgendermaßen abgefeiert: »"... im Meer der reichlich überflüssigen Bluesrock-Veröffentlichungen ist der GENTLEMEN'S BLUES CLUB eine lang ersehnte und kaum zu erhoffende Bereicherung. Groß!"« (Fred Schmidtlein / Home Of Rock).
Dem konnte ich damals überhaupt nicht folgen, denn das Produkt kam meines Erachtens über gehobenes Genre-Mittelmaß nicht hinaus. Entsprechend skeptisch ging ich denn auch den ersten Hördurchgang des zweiten Streichs dieser sogenannten All-Star-Bluesband an, und wurde prompt überrascht.
Irgendwas ist anders! Aber was nur?
Mittlerweile, nachdem ich dieses Ding gar nicht mehr dem Laserstrahl entziehen mag, ist bei mir der Cent gefallen - es grooooovt!!!
Im Gegensatz zum Vorgänger, auf dem echte Highlights eher rar waren, komme ich hier aus dem Swingen (nein, der Blues Club ist selbstredend kein Swingerclub!) gar nicht mehr raus. Eine typische Scheibe, auf der es sich kaum anbietet, jeden einzelnen Song auf dem OP-Tisch zu sezieren. Das ist Leib- und Magen-, Bauch- und Emotionsmucke. Letztlich nix anderes als oller Bluesrock, ein Genre, so ausgelatscht wie ne Palette Pfannkuchen. Aber die Gentlemen vom Blues Club gehen derart frisch, inspiriert, überraschend abwechslungsreich und mit unüberhörbarem Know How ans Werk, inklusive hervorragendem Songwriting, dass die Pfannkuchen zum Delikatessenschmaus metamorphieren.
Wir finden auf der Gourmet-Karte solche Spezialitäten wie 70er Jahre-Rock at its best ("Are You Really Satisfied", "The Sky's On Fire"), Texas Blues mit funky Einschlag ("2 Kinds Of Woman"), Groove satt (allein Bill Withers "Use Me" lässt meine Gliedmaßen nicht mehr zur Ruhe kommen), Kreuzungen wie Albert Collins meets James Brown ("Take Time Out To Hear Me Some Blues"), ZZ Top meets Blues Traveler ("Run") oder Gov't Mule meets Deep Purple ("Green Eyed Lady"), wunderschöne Balladen (exemplarisch beispielsweise "The Blues Begin To Gray"), leichtfüßigen Jazz-Shuffle ("State Of Grace"), MOR-Ohrschmeichler (das Titelstück "Longhorn Honeymoon"), erstklassige, abwechslungsreiche Saitenarbeit, ebenbürtige Gesangsleistungen und häufig ein Sahnehäubchen in Gestalt einer virtuos, einfallsreich gedrückten Orgel.
Mmh, lecker, das macht neugierig, wer für diesen Rausch der Sinne verantwortlich zeichnet. Nun, es ist wohl die derzeitige Crème de la Crème der südkalifornischen (Blues-)Rock-Szene, hauptsächlich in Gestalt zweier Protagonisten mit gemeinsamer Vergangenheit und selbstredend nur komplett verrückten Insidern wirklich bekannt. Projekt-Mastermind und Produzent Mick Stover gehörte zu den Gründungsmitgliedern einer fantastischen Bluesrock-Combo namens Buddaheads und ist auch auf deren Debütalbum von 1994, "Blues Had A Baby", mit seiner Arbeit an den dicken Saiten zu hören. Alan 'BB Chung King' Mirikitani wiederum ist der Kopf der Buddaheads und in seinem eigenen 24 Spur-Tonstudio wurde "Longhorn Honeymoon" auch aufgenommen. Er teilt sich nicht nur mit Dave Osti den Gesang, sondern übernahm auch das gesamte Engineering, den Mix und das Mastering. Diesen Job (und nicht nur diesen!) hat er formidabel erledigt, das Werk tönt satt, voll, differenziert und angenehm analog klingend aus den Böxchen, wenn auch mit einigen Schwächen in den Höhen und einem etwas überbetonten Bass.
Witzigerweise gehört Alan Mirikitani offiziell immer noch nicht zur eigentlichen Band, genauso wie die beiden Drummer Joe Travers und David Raven, die fast das gesamte Album über die Felle bearbeiten. Stattdessen ist Dave Ferrara als offizielles Mitglied gelistet, schwingt aber nur einmal die Stöcke.
Sachen gibt's!
'Dirty' Dave Osti röhrt übrigens nicht nur angenehm angeraut mit Blues und Soul in der Stimme ins Mikro, sondern kann als Saitenartist mit einem klasse 'Ton' überzeugen.
Nicht mehr zum eigentlichen Club gehört der Saitenhexer Philip Sayce. Er komplettiert eine lange Liste von Special Guests. Für mein Empfinden kommt das dem Gesamtergebnis sehr zu Gute, denn Sayce gehört für mich zu der viel zu großen Fraktion von 'sich-selbst-Überholern'.
Fazit:
Ich kann nur eine dringende Kaufempfehlung aussprechen, denn in diesem Genre hat mich lange nichts mehr so uneingeschränkt überzeugt, wie dieses viel Herzblut und Freude rüberbringende zweite Werk der Bluesgentlemen, die an sich eher die Rockfraktion begeistern dürften, welcher der Hang zum Heftigen abgeht.
Der Eingangs zitierte Schreiberlingskollege hat im Nachhinein doch Recht gehabt (ein Prophet?), zumindest dieses zweite Werk ist tatsächlich groß, in seiner äußeren Gestaltung zudem noch sehr ansprechend gemacht und somit ein Fels in der Brandung einer untergehenden Spezies namens CD.
9 von 10 RockTimes-Uhren
Line-up:
Dave Osti (vocals, guitars)
Mick Stover (bass)
Dave Ferrara (drums)
Featuring:
Alan Mirikitani (vocals, guitars)
Teddy ZigZag (Hammond B3, keyboards)
Joe Travers (drums, percussion)
David Raven (drums)
Special Guests:
Philip Sayce (guitars)
Frank Simes (guitars)
Bubba Wadsmoore (guitars)
Kellie Rucker (harp)
Marty Grebb (horns)
Gerald Johnson (bass)
Bill Mason (Hammond B3)
Benny Cortez (vocals)
Tony 'Fingers' Naranjo (guitars)
Eric Tice (drums)
Tracklist |
01:2 Kinds Of Women (3:53)
02:The Sky's On Fire (3:23)
03:Take Time Out To Hear Me Some Blues (3:45)
04:Run (4:29)
05:Walkin' Dead (4:01)
06:State Of Grace (3:24)
07:Longhorn Honeymoon (4:18)
08:Use Me (4:37)
09:The Blues Begin To Gray (4:07)
10:Are You Really Satisfied (4:34)
11:Green Eyed Lady (4:08)
12:This Long (2:42)
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Externe Links:
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