ROCKIN' ALL OVER EMDEN!
Oh yeah, was für ein Festtag für das beschauliche Emden in Ostfriesland, mit dem 'Henry Nannen-Museum', dem 'Otto Waalkes-Hus', der Fachhochschule und der 'Nordseehalle'.
Letztere präsentiert sich den zwei erwartungsfroh angereisten RockTimes-Leutchen gar in heller, frisch renovierter Atmosphäre, was dem Charakter einer Viehauktionshalle doch tatsächlich etwas entgegentreten kann.
Wir kommen relativ spät an den Ort des Geschehens, ziemlich genau um 20.00 Uhr, und die vorhandenen Parkmöglichkeiten sind fast vollständig erschöpft.
Donnerwetter, jede Menge holländische Kennzeichen und ganze Reisebusse spucken ihre Ladungen aus und die fröhliche Masse strömt in die in neuem Glanz 'erstrahlende' Location. Immerhin auf 42 Euronen ist der Eintritt taxiert, dafür erwarten uns aber ein Rockexportschlager aus der Schweiz und die Könige des simplifizierten Endlosschleifen-Boogierocks.
Was wir zu diesem Zeitpunkt gar nicht wissen, wir haben bereits eine junge (Lokal?)Rock-Band verpasst, die nach Aussage eines sehr sympathischen Mitglieds der Emder 'Dorfjugend' richtig gut abgerockt haben sollen.
Dies sollte nicht unsere letzte Panne an diesem denkwürdigen Abend sein.
Zunächst bestaunen wir das Publikum, denn es unterscheidet sich irgendwie grundlegend von dem, was ich so allgemein hin auf meinen bisherigen und nicht wenigen Rockkonzerten erlebt habe. Denn es ist einerseits für das Event einer Formation, die auf ihrer aktuellen Tour ihr 40 jähriges Bühnenjubiläum feiert, erstaunlich jung, andererseits aber auch ziemlich alt. Meine Altersklasse (so Mitte bis Ende dreißig) vermag ich kaum zu entdecken (vielleicht fallen mir meine GenerationskollegInnen aber auch gar nicht auf?), dafür erleben wir eine ausgelassene (Dorf)Feststimmung, wo nahezu alle gängigen Klischees erfüllt werden. Abgefüllte Frauen, die ihre besten Jahre hinter sich haben (okay, etwas fies, sorry!), genauso abgefüllte Männerrunden, die sich gegenseitig mit Cola-Weinbrand (Charlie - das Dorfkultgetränk unserer ländlichen Gegend!) ihres Verstandes berauben, herrlich amüsante Outfits, die einfach in keiner Großstadt anzutreffen sind und absolute Jubellaune. Natürlich fehlen auch die Kinder nicht, die kräftig mitfeiern dürfen.
Diese Beobachtungen lenken mich doch ziemlich stark vom eigentlichen Geschehen auf der Bühne ab, welches von den Alpenrockern Gotthard eröffnet (na ja, eigentlich ja eher fortgesetzt) wird. Schon nach den ersten Klängen pfriemel ich mir erst mal meine Ohrstöpsel rein, denn es ist bestialisch laut und vor allem rumpelig. Bis auf Vorturner und Gesangsakrobat Steve Lee höre ich nur ein einziges Dröhnen, da macht ja ein Jumbojet noch mehr Musik.
Derweil kämpft mein Kollege mit den Tücken der Technik, denn er hat eine Digitalkamera auftreiben können und steht nun mit seinen 2 Meter Körperlänge ganz vorne im abgesperrten Bereich (Fotopass) und versucht verzweifelt, die Ereignisse adäquat im Bild festzuhalten. Genauso verzweifelt versuchen die Tontechniker am Mischpult das Dröhnen in den Griff zu bekommen und die Band versucht verzweifelt, des Rezensenten Wohlwollen zu erhaschen. Nun, auf letzteres kann Gotthard natürlich gut verzichten, sind doch nicht wenige, wie schon an diversen Konzert-T-Shirts zu erkennen ist, explizit wegen ihnen hergekommen.
So ist die Stimmung auch schnell hergestellt, nur der RockTimes-Redakteur sucht verzweifelt den energiegeladenen, bluesigen Power-(Hard)Rock 'n' Roll, der diese Band auf ihren ausgezeichneten ersten drei Plattenproduktionen zwischen 1992 und 1996 ausgezeichnet hat.
Immerhin ertönt im ersten Drittel des Sets ihre Coverversion von Joe South's "Hush", in der Mitte des Sets gefolgt vom bluesigen "Sister Moon" und schließlich gar noch das in Deutschland sowieso unvermeidliche "Mighty Quinn", eigentlich von his Bobness Dylan, dann aber von Manfred Mann zum Gassenhauer umfunktioniert. Mittlerweile haben die Tonleute auch den Sound im Griff, er kommt plötzlich klar, differenziert und ziemlich trocken rüber. Gar nicht trocken und differenziert kommt Steve Lee rüber, der wie schon bei meinem ersten Besuch eines Gotthard-Konzerts im Bremer 'Aladin' für meinen Geschmack zu affektiert agiert. So verkommen auch Knaller wie "Sister Moon" zur reinen Pose und wirken seltsam aufgesetzt und gekünstelt.
Die wahre Passion der Band scheint mittlerweile eine andere zu sein, wo es nett rockt, aber irgendwie Drive und Groove fehlen, Ecken und Kanten, was weiß ich. Okay, gleiches ließe sich auch über Bon Jovi sagen, in deren Schublade sich Gotthard mittlerweile reinmanövriert haben, aber Steve Lee ist bei allen Shouterqualitäten kein Jon Bon und Gitarrist Leo Leoni ist noch viel weniger ein Richie Sambora. Und Band-'Küken' Hena Habegger (Jahrgang 1967) ist bei allem Respekt auch kein Tico Torres.
Immerhin spielen Gotthard mit 14 Songs, inklusive einer relativ blassen Led Zeppelin-Zugabe einen ca. 75 minütigen Gig und haben die Begeisterung der Leute auf ihrer Seite.
Weniger begeistert ist dagegen mein Kollege, nicht dass ihm der Gig nicht gefallen hätte, nein, seine Digitalkamera wollte die ganze Zeit nicht so, wie er wollte.
Somit verbringen wir die ganze Umbaupause mit dem verzweifelten Bemühen, die Digitalkamera richtig in Gang zu kriegen.
Zwei Männer und Technik, das belustigt ein weibliches Mitglied der Emder 'Dorfjugend', die uns den Tipp gibt, mal die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass das Teil auf Selbstauslöser eingestellt ist, denn die Auslöseverzögerung beträgt deutlich über fünf Sekunden! Darüber hinaus ist alles unscharf, war da nicht irgendwas mit ISO bzw. ASA Einstellung?
Völlig gestresst begibt sich mein Kollege wieder in den 'Fotograben', denn Status Quo rocken jetzt Ostfriesland.
Rocken?
Na ja, vielleicht hat der RockTimes-Redakteur ja einen außerordentlich schlechten Tag erwischt, wofür sprechen würde, dass er für den Fall der Fälle vergessen hat seine analoge Fotoausrüstung mitzunehmen, aber wo ist der Rock in der Musik?
Okay, die Drums poltern, der kopflose Bass von Rhino Edwards (mit Kopf!) puckert, Rick Parfitt gibt ansatzweise den Malcom Young und Francis Rossi macht den Conferiencé an Gesang und Lead-Gitarre. Brav, bieder, ohne instrumentale Raffinesse, ohne großen Esprit.
Erwarte ich zuviel?
Eigentlich fällt mir nur zweierlei positiv auf:
1. Tastenmann und Gelegenheits-(Mund)Harmoniker Andy Bown, der in seiner Jugend schon zusammen mit Peter Frampton bei The Herd musizierte.
2. Die Tatsache, dass Rick Parfitt mittlerweile über eine gute, angerauhte Blues-/Rockröhre verfügt, was schon beim aktuellen Album The Party Ain't Over Yet positiv ins Gewicht fällt.
Überhaupt wirkt Rick Parfitt nach seinen offensichtlich gut überstandenen Herzproblemen erfreulich fit und stellt seinen langjährigen Kompagnon Francis Rossi deutlich in den Schatten, der Rick auch konsequenterweise relativ viele Gesangsparts überlässt.
Songtechnisch gibt es erwartungsgemäß einen Querschnitt aus ca. 35 Jahren Bandrepertoire, lediglich die Psychedelic-Pop-Phase Mitte bis Ende der Sechziger bleibt ausgespart. Dafür erklingt zu meiner Freude so manches aus Alben wie "Piledriver", "Hello", "Quo" oder "On The Level", aber eigentlich sind irgendwie alle Phasen und ihre jeweiligen Alben berücksichtigt, nach Aussage meines Kollegen auch vieles aus den 80ern ("Kenne ich nämlich nicht"). Ich persönlich kenne aus den 80ern bewusst lediglich "In The Army Now", welches an diesem Abend aber nicht erklingt.
Von der neuen Scheibe gibt es neben des Titelsongs lediglich einen weiteren, ansonsten versucht die Band es dadurch allen Recht zu machen, dass sie mehrere Medleys in ihren Set einstreut. Irgendwie bekommt das Ganze für meinen Geschmack dadurch einen Festzelt/Stadtfest-Coverbandcharakter, nur dass optisch tatsächlich die Originale auf der Bühne stehen.
Ich erkenne ansonsten unter anderem Coverversionen von Steamhammer's Junior's Wailing oder Dion And The Belmonts "The Wanderer" ( Ernie Maresca), darüber hinaus natürlich ein classic Rock 'n' Roll-Medley, selbstredend im Boogieeinheitsstyle.
Überhaupt, ganz so schlimm hätte ich es mir nicht vorgestellt, die gesamten 90 Minuten über gibt es im Grunde einen durchgehenden Rhythmus, der fast gar nicht variiert wird und lediglich beim akustischen "Gerdundula" mal aufbricht. Okay, ich hätte natürlich damit rechnen müssen, aber die Simplizität der Ereignisse überrascht mich dann doch. Das dankbare Publikum dagegen gar nicht, denn inzwischen ist in Emden die Hölle los ("Hölle, Hölle, Hölle", "Das ist Wahnsinn", sind das nicht irgendwelche Wolfgang Petri - Brüller?) und ich denke mir noch so, wenn tatsächlich der Wolle auf der Bühne stände, sähe das Publikum nicht entscheidend anders aus und die Stimmung sowieso nicht.
Unterdessen schüttelt mein Kollege verzweifelt den Kopf, die Kamera blinkt nur noch rot wie eine kaputte Ampel und wir begeben uns frustriert zum überfüllten Bierstand.
Rockin' all over Emden, ein auf seine Art unvergessliches Erlebnis, welches uns zwei (eigentlich drei) im Grunde sehr unterschiedliche Bands aus unterschiedlichen Zeiten brachte, die aber gemeinsam in der Lage waren, das recht zahlreiche und gemischte Publikum (vielleicht knapp 3000?) fast ausnahmslos zu begeistern.
Der RockTimes-Redakteur hatte allerdings noch die Aufgabe des Fahrens vor sich, so dass er seinen (Bier or whatever)Pegel im Zaum halten musste.
Vielleicht konnte er sich auch dadurch nicht so von der allgemeinen (trunkenen) Begeisterung anstecken lassen. Hinzu kam noch der Totalausfall unserer Fototechnik und der dadurch verursachte Knacks unserer männlichen Egos ( "Oh Mann, Frank, wat sind wir unprofessionell, eine Schande ist das!")
Ich möchte mich aber mit nüchterner und uneingeschränkter Begeisterung beim Veranstalter 'Moderne Welt' für die vorzügliche Unterstützung bedanken. Das hat alles hervorragend geklappt!
Status Quo, 30. September 2005, Nordseehalle, Emden
Support: Gotthard
Konzertdauer ca: 165 Min.
Olaf "Olli" Oetken & Frank "Wakeman" Deeke, 07.10.2005
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