Reviews und Konzertberichte über Gov't Mule sind bei mir völlig unbeeinflusst von jeglicher störender Objektivität. Mann hat halt seine Lieblinge und das ist auch ganz in Ordnung so. Wer mit Lobhudelei über diese geniale Band nicht umgehen kann oder mag, der möge sich eingeladen fühlen, einfach 'weiterzuklicken'.
Nun sind Berichte über das Maultier hier in RockTimes alles andere als eine Seltenheit und all diese hochkarätigen Zeilen setzen mich dann doch etwas unter Zugzwang. So will ich es mit einem etwas anderen, eher personenbezogenen Ansatz versuchen, den Abend im belgischen Städtchen Limbourg zu beschreiben.
Diese Gegend, unweit der deutschen Grenze in der Nähe Aachens gelegen, ist seit jeher bettelarm. Die tief gespaltene Gesellschaft macht sich schon rein äußerlich bemerkbar. So sind elend-verkommene Straßenzüge in unmittelbarer Nachbarschaft gediegenen Wohnraums im Gründerzeitstil zu finden. An der Tanke muss man sich die Zapfsäule erst 'freikaufen'... die Kriminalitätsrate, Ausdruck dieses tiefen Risses im sozialen Gefüge, ist erschreckend hoch. Musik kann eine willkommene Brücke über solche Abgründe sein und es schien, als ob der Auftritt Mules hier die Schichten zusammenbringen konnte, auch wenn eine beträchtliche Anzahl deutscher Fans - mit einer Vielzahl bekannter Gesichtern - angereist waren. So standen Freak und Yuppie neben Biker samt Sozia und fachsimpelten über das, was sie eint: die Liebe zu Gov't Mule. So wie die Mannen um Warren Haynes die unterschiedlichsten Musikstile unter den sprichwörtlichen Hut zaubern können, so vielfältig sind ihre Bewunderer.
Ein Konzert mit Gov't Mule ist wie eine Wundertüte: Man weiß nie genau, was darin stecken wird und vor Überraschungen ist man niemals sicher. Wenn man das Glück hat, an einem dieser denkwürdigen Abende anwesend zu sein und mit einem Set von Led Zeppelin, den Stones oder gar Pink Floyd bedient wird, ist man Teilnehmer an einer musikalischen Sternstunde. Auch wenn (leider) kein Set aus Coversongs für die Berichterstatter heraussprang, so war der Abend im Le Kursaal, einem typisch französischen, leicht heruntergekommenen Theatersaal mit Empore, an überraschenden Momenten nicht arm. So, als Danny Louis zu "By A Thread" und Mr. High & Mighty zur Klampfe griff und diese beiden Nummern in zwei ultra-schwere Hard Rock-Feger mit 'giftigen' funky Pfeilspitzen verwandelte. Aber ich wollte ja nicht einen 'klassischen' Track-By-Track-Konzertbericht abliefern... Ich schildere meine Eindrücke einmal personenbezogen:
Danny 'Das Hirn' Louis:
Was soll man zu diesem Teilzeit-Axtschwinger - Song zwei bis vier zeigten seine Fähigkeiten als (Rhytmus)Gitarrist - noch sagen, was nicht bereits vielfach gesagt wäre? Zuerst einmal vorab: Der Zopf ist ab und die eierförmige, kahle Birne ist erstmals bar jeglicher Kopfbedeckung zu bewundern. Dafür hat er nun eine hässliche Rotzbremse im Gesicht - auweia! Aber das ist ganz bestimmt eine liebevolle Stichelei, denn dieser Tasten-Virtuose genießt meine überaus vorzügliche Hochachtung! Schwerwiegender ist die Tatsache, dass er sich - zumindest für diesen kurzen
Eurotrip - des Wurlitzer Pianos entledigt hat, das tat (zumindest mir) richtig weh. Ein sündhaft teures Nord-Keyboard verfügt zwar über perfekte Soundsamples, aber den knurrigen, analogen Sound dieses E-Piano-Klassikers kann man auch mit exzellentester Digitaltechnik nicht kopieren!
Parade-Instrument des side kicks seines rotmähnigen Chefs war in Limbourg einmal mehr das Hohner Clavinet, dem er mit Hilfe von ursprünglich für Gitarren entwickelten Effektgeräten wie Chorus, Flanger oder Phaser unglaubliche Sounds zu entlocken wusste. Das hatte nichts mehr mit dem funkigen Stakkato dieses Instrumentes in Funk-Klassikern zu tun. Stattdessen klang sein uraltes, speckiges D6 manchmal wie ein Synthesizer, manchmal wie eine extrem verzerrte Gitarre.
Seine Hammond bearbeitete Louis dagegen fast zärtlich. Besonders in "Birth Of The Mule", in Limbourg im Stil eines Jazz-Standards interpretiert, nutzte er seine Freiräume für äußerst feingeistige, inspirierte Soli. Er vermag der B-3 eine unglaubliche, nie zuvor gehörte Bandbreite an Geräuschen zu entlocken. Vom schwindsüchtigen Keuchen eines Lungenkranken bis zum infernalischen Brüllen eines Löwen - Danny versteht es zu zaubern. Selten habe ich den Guten, der Warren Haynes so unglaublich intelligent ergänzt, spielfreudiger erlebt.
Matt 'Das Herz' Abts:
Wie viele Auszeichnungen hat dieser filigrane Drummer bereits - von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - eingeheimst? Er ist einer der ganz wenigen Drummer, denen ich persönlich ein Drum-Solo zugestehe. Während die meisten Schlagwerker ihre begrenzten Möglichkeiten nur zu gerne zur Schau stellen (nun ja, ein jeder
möge sich blamieren so gut er kann), haben Matt's Taktstöcke wirklich etwas zu sagen! In drei Teile hatte er sein Solo in Limbourg aufgeteilt, wie er es zumeist tut. Der dramaturgische Aufbau war perfekt: Vom vertrackt-
verhaltenem Beginn (Part 1: mit Taktstöcken, Part 2: Paukenschlägeln, Part 3: Maracas) steigerte er sich jeweils in ein infernalisches Drum-Gewitter.
Wenn Gov't Mule in Reggae-Rhythmen schwelgten - und das taten sie, wie bei "Frozen Fear", diesmal eher selten - benutzte er als Sound-Basis zusätzlich eine extrem hart bespannte Snare. So knallte es richtig auf die 'Zwei' und die 'Vier'. Dass Matt über flinke Füße verfügt, stellte es des Öfteren, wenn er seine 'Kick' wie eine double bass drum donnern ließ, unter Beweis.
Überhaupt ist es sein Drum Set, das die eindrucksvollen Fähigkeiten dieses 'Hungerhakens' hervorhebt. Sind wir ehrlich: Die meisten Schlagzeuger verstecken sich doch hinter riesigen Schießbuden. Vielen Fans und Kritikern klappen angesichts dieser Materialberge die Kinnladen herunter und das erscheint zumeist auch beabsichtigt zu sein. Ein richtig guter Drummer braucht dieses 'Schlagzeug-Viagra' nicht - ein wirklich guter Drummer (ich rufe in diesem Zusammenhang Pete York in Erinnerung) holt aus einem rudimentären Kit mehr Rhythmus heraus als diese ganzen 'Drum-Poser' zusammen. Matt Abts benutzt eine Snare, eine Hi-Hat, eine Kick, ein Tom, eine Stand und vier Becken - mehr braucht es nicht, um angesichts seines Spieles jedes Mal in Verzückung zu geraten. Dies gelang ihm in Limbourg vor etwa 800 Fans einmal mehr locker...
Jorgen 'Der Jungbrunnen' Carlsson:
Der nicht mehr ganz so neue Basser war für mich die große unbekannte Größe dieses Abends. Von Bekannten schon bestens auf dessen Qualitäten eingestimmt, war ich gespannt wie der berühmte Flitzebogen, Jorgen Carlsson einmal live zu sehen. Die aktuelle Gov't Mule-Scheibe, "By A Thread", war bereits eine hervorragende Referenz. Da hörte man einen Bassisten, der endlich die übergroßen Stiefel des verstorbenen Allen Woody ausfüllen könnte... und, werte Leser, er füllt sie aus!
Leider waren Leute wie Dave Schools, George Porter Jr. und Jason Newsted nach Woodys Tod im August 2000 nicht abkömmlich gewesen. Diese halfen Haynes und Abts lediglich aus der Patsche, bis mit Andy Hess ein neuer Basser gefunden worden war. Jener war mit seinem leicht jazzigen Stil ein klarer Kontrapunkt zu Woody gewesen. Jorgen Carlsson, ein Schwede, der noch gar nicht so lange in New York lebt, hat dagegen bei dieser kauzigen Type ganz genau hingehört. Davon konnte man sich im Le Kursaal eindrucksvoll überzeugen.
Jorgen traktierte seinen Viersaiter auf ähnlich 'knurrige', oftmals extrem 'angezerrte' Art und Weise. Bei "Broke Down On The Brazos" flatterte so manchem Zuschauer gewaltig das Hemd, so ungemein druckvoll wummerte der Bass aus den turmhohen Marshall-Boxen. Aber gerade in den stilleren Momenten und den Jam-Passagen merkte man, wie aufmerksam und sensibel es Jorgen verstand, zuzuhören. Ständig wanderten seine Blicke unruhig zwischen Danny, Warren und Matt hin und her - ständig auf der Suche nach dem perfekten Ton. Eines hat der Abend in Limbourg festgeschrieben: Mit Jorgen Carlsson hat unser geliebtes Maultier endlich spielerisch wie menschlich sein vollkommenes Line-up gefunden. Dies deutete sich bereits mit "By A Thread", das nahtlos an das 2000er "Life Before Insanity" anschloss, an.
Warren 'Der Chef' Haynes:
Das Alpha-Tier hat einen neuen Gitarrentechniker? Hell yeah, wo war Brian Farmer, diese coole Socke aus Tennessee? Wollen wir einmal hoffen, dass es dem 49-jährigen gut geht und dass er lediglich für Mules Kurz-Trip nach Europa unabkömmlich war. Der junge Mann, der ihn vertrat (er kam mir irgendwie bekannt vor! Ein Metal-Gitarrist?) machte seine Sache sehr gut. Der Perfektionist Warren Haynes schien mehr als zufrieden.
Nun ist dieser rotmähnige Bär alles andere als ein Mann der großen Worte. Er lässt lieber seine Gitarre sprechen. Mehr als das obligatorische: »How ya' doin', hah?« kommt ihm selten über die Lippen. Also hatte folgendes einen gewissen Seltenheitswert: ein Warren Haynes, der zu "I Think You Know What I Mean" rhythmisch klatschend das Publikum zum Mitsingen auffordert. Das sprach dafür, dass dem 'Chef' der Abend in Limbourg besonders gut gefallen hat. Wen wundert es, war doch die Stimmung in der eher kleinen Location von Anfang an am Siedepunkt. »You're a wonderful audience, Limbourg« - gerührt nahm Warren Abschied.
Zuvor hatte er allerdings alle Register seines umfangreichen Könnens gezogen und klargestellt, wer der wohl einfühlsamste Gitarrist unter der Sonne ist. Seiner Gibson Les Paul Sunburst entlockte er wieder einmal Töne, die es eigentlich gar nicht geben könnte. Kein Anderer versteht es derart viele unterschiedliche Sounds zu kreieren und somit auch uralte Songs wie "Mule" oder "Mother Earth" in völlig neue Dimensionen zu heben. Diese Fähigkeit zur Neu-Interpretation des eigenen Song-Materials ist ohnehin die ganz große Stärke Gov't Mules. Man möge mir bitte eine weitere Band nennen, die jeden Abend neu 'auswürfelt', welche Songs gespielt werden sollen. Ich erinnere - nebenbei bemerkt - an die von mir ebenfalls geschätzten AC/DC. Anlässlich der Black Ice-Tour mehrte sich hier der Unmut über die ständig gleichen Setlisten unter den Fans in diversen Internet-Foren. So etwas wäre bei Mule undenkbar. Ein Konzert mit Gov't Mule ist wie eine Wundertüte... sorry, ich beginne gerade, mich zu wiederholen.
All' dies ist das Verdienst des Mannes, dem alle in der Band widerspruchslos die Führungsrolle abzutreten bereit sind - des Mannes, dessen Hände den 'Stein der Weisen' darstellen: Was sie berühren, verwandelt sich augenblicklich in pures Gold...
Die Band:
Selten zuvor hatte ich Gov't Mule derart locker erlebt. Matt Abts spazierte vor Konzertbeginn lässig durch den Saal. Warren Haynes spreizte seine Finger mehr als einmal zum Peace-Zeichen. Danny Louis fand sich öfters als sonst am Bühnenrand wieder. Nur Jorgen Carlsson war - ganz typisch skandinavisch - eher etwas distinguiert, aber das wird sich mit der Zeit auch noch ändern...
Perfekt aufeinander eingestimmt präsentierte man die Songs in sehr jammigem Gewand. Es gab keinen Track, der nicht wenigstens auf zehn Minuten und mehr 'hoch gejazzt' worden wäre. Jedes der beiden Sets hatte 75 Minuten Spieldauer, sodass man inklusive der Zugabe auf etwa 160 Minuten "Soulshine" kam.
Eines fehlt mir aber nach wie vor: Zum Abschluss des Konzertes könnten sich die Vier endlich einmal gemeinsam an den Bühnenrand stellen. Es wäre ein schönes Symbol für das, was die Fans bei jedem Mule-Konzert ohnehin schon ständig demonstrieren: Brotherhood!
RockTimes bedankt sich bei Katrien Lefevre von Greenhouse Talent für die überaus freundliche Akkreditierung und einen unvergesslichen Abend.
Line-up:
Warren Haynes (vocals, guitars)
Danny Louis (Hammond, Hohner Clavinet, keyboard, guitar, background vocals)
Jorgen Carlsson (bass)
Matt Abts (drums, percussions)
Setlist:
Set 1:
01:Mr. Man
02:Steppin' Lightly
03:Any Open Window
04:Mr. High & Mighty
05:Mother Earth
06:Time To Confess
07:She Said, She Said
08.Tomorrow Never Knows
09:Birth Of The Mule
10:Broke On Down The Brazos
Set 2:
01:Mule / Whole Lotta Love / Mule
02:Frozen Fear / D'yer Mak'er / Frozen Fear
03:Going Out West
04:Railroad Boy / Drums
05:Fallen Down
06:The Other One Jam
07:I Think You Know What I Mean / When The Levee Breaks / I Think You Know What I Mean
Encores:
08:Into The Mystic
09:Soulshine
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