»Wie wär's denn damit, 'ne neue Reise anzutreten?« war die Frage, die Grobschnitt mit ihrer Single aus dem Jahre 2008 sich und ihren Fans stellten. Und was aus solchen Gedankenspielereien erwachsen kann, zeigt das Comeback, das diese legendäre deutsche Rockband seit ihrer fröhlichen Urständ im Jahre 2007 feiert.
Die Gruppe zählt zu den Urgesteinen der Krautrock-Ära, hat ihre Wurzeln in den späten 60er Jahren des verflossenen Jahrhunderts und zeigte bereits in ihrer damaligen Inkarnation unglaubliches Durchhaltevermögen. Nach eher ruppigen Anfängen mit kratzig-beseelten und bluesgetränkten Vocals, wummernden Hammond-Sounds sowie ausufernden Gitarren- und Schlagzeugexzessen, irgendwo im Niemandsland zwischen Santana und Vanilla Fudge, wechselte der Sound Mitte der 70er Jahre dann eher zu flirrenden, ausgesponnenen Songphantasien aus den Universen von Yes und Genesis. In jenen Tagen entstand das wegweisende Konzeptalbum "Rockpommel's Land", das für viele bis heute das Lieblingsalbum aus dem Schaffen dieser Gruppe darstellt.
In den 80er Jahren, als sich viele altgediente Bands aus krautigen Pioniertagen teutonischen Rocks frustriert von den Bühnen verabschiedeten, um den jungen Wilden der Neuen Deutschen Welle Platz zu machen, blieben Grobschnitt dennoch im Rennen: wieder einmal änderte sich der Stil, knackige und kompakte Songs lösten die ewigen Epen ab. Nicht alle Fans der frühen Tage trugen diese Entwicklung damals mit, aber dennoch blieb die Gruppe aus Hagen gut im Rennen.
Und das lag an weit mehr als nur an ihrer Musik. Was Grobschnitt zu einer Legende werden ließ, war nicht nur das sichere Händchen der Musiker für gute Kompositionen, vielmehr waren die Shows der Band ein einzigartiges Gesamtkunstwerk. Die Lightshow war ausgefeilt und höchst geschmackvoll, Musiker und Roadies traten in allerlei poetischen und skurrilen Kostümen auf und eine Vielzahl pyrotechnischer Effekte sorgte dafür, dass der Funke auch buchstäblich und nicht nur im übertragenen Sinne übersprang. Im Gegensatz zu vielen Bühnenspektakeln progressiver Rockkollegen nahmen Grobschnitt sich dabei selbst nie so bierernst: Humor war schon immer ein wichtiger Bestandteil ihres Konzepts - Poesie und Klamauk gingen bei ihnen Hand in Hand. Auch der Kontakt zu den Fans war ein ganz besonderer und nicht selten nach ihren meist über drei Stunden dauernden Konzerten nahmen sich die Musiker Zeit, noch mit ihren Anhängern zu kommunizieren.
Als nach 19 Jahren im Business nun die "Last Party"-Tour mit einem Grande Finale in der Heimatstadt der beliebten Musikzauberer, in Hagen, ein Ende fand, blieb eine unausgefüllte Lücke in der deutschen Musikszene übrig.
Die Fans gaben allerdings nie die Hoffnung bezüglich einer Reunion auf - aber lange Jahre schien alles Hoffen vergebens.
Wie es die Legende will, trafen in der Mitte des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrtausend anlässlich eines Benefizkonzerts der Gitarrist Stefan 'Nuki' Danielak, Sohn des legendären Grobschnitt-Frontmanns Stefan Danielak sen. (Künstlername: Willi Wildschwein) auf den langjährigen Bassisten der Gruppe, Milla Kapolke. Die beiden verstanden sich gut und stellten fest, dass es schade sei, wie das Erbe der alten Kultband aus Hagen brach lag, dass diese Musik nicht mehr live gespielt wurde. Man verabredete sich zu einer Probe und begeisterte nach und nach auch die früheren Grobschnitt-Musiker Rolf Möller (Admiral Top Sahne), Rainer Loskant (Toni Moff Mollo) und letztlich sogar Vater Danielak für dieses Projekt. Hinzu kam noch Keyboarder Deva Tattva und sein Sohn Demian Hache an unterschiedlichsten Schlaginstrumenten sowie als weiterer Gitarrist Milla Kapolkes Junior Manu.
Grobschnitt waren wieder komplett und die Zeit reif für eine "Next Party". Unter diesem Motto wollte die neue Band nur einige Gigs in kleineren Locations spielen - aber der Plan ging nicht auf: Zu groß war der Hunger der alten Fans nach dieser Musik und Show und auch mehr und mehr jüngere, neue Anhänger folgten bald dem Ruf der Kraut-Veteranen. Viele der Konzerte fanden vor weit mehr als 1000 Zuhörern statt.
Die Erfolgsbilanz dieser alten, neuen Formation im aktuellen Millennium ist nach wie vor ungebrochen. Zum vierzigsten Bandjubiläum brachte die Gruppe gar eine erweiterte Neufassung von "Rockpommel's Land" auf die Bühne.
Natürlich wurden die Shows der "Next Party" und der "Rockpommel's Land"-Tour auch auf Tonträgern dokumentiert. Es erschienen zwei CDs, "Live 2008" und "Live 2010" - diese waren bislang allerdings nur bei Konzerten der Gruppe oder über ihre Website erhältlich. Das kleine Label Sireena Records hatte die Alben darüber hinaus gar in Vinylfassungen auf den Markt gebracht.
Nun entschloss man sich, diese beiden CDs als Doppelpack - ebenfalls bei Sireena - zu veröffentlichen - für die Hardcorefans also nichts Neues, aber dennoch ist dieses Re-Release sehr erfreulich, denn damit kommt die Musik von Grobschnitt wieder dorthin, wo sie eben auch hingehört: in die Plattenläden. Dort waren bislang nur Teile des Backkatalogs zu bekommen und die Aufarbeitungen klassischen Livematerials aus dem Studio des früheren Drummers Eroc. Die Musik der aktuellen Formation tauchte in der breiten Öffentlichkeit des Tonträgergewerbes bis dato nicht auf - ein Missstand, der nun endlich behoben ist.
Wer genauere Besprechungen der musikalischen Qualitäten dieser zwei Scheiben lesen möchte, sei hier auf die RockTimes-Reviews der einzelnen Veröffentlichungen Grobschnitt 2008 Live und Grobschnitt 2010 Live verwiesen.
Zu diesen in Eigenregie produzierten Werken hat die Neuveröffentlichung nur kleine Unterschiede aufzuweisen: Zum einen wurde die 2008er Platte mit einem Bonustrack versehen, der bereits erwähnten Single "Another Journey" und das Doppelalbum kommt in einem schmucken Digi-Pack mit hübschen Fotos daher. Wer im heimischen Sessel die Dramaturgie eines Jubiläumskonzertes von 2010 nachempfinden möchte, dem ist zu empfehlen, zuerst CD 2 anzuhören, die das voluminöse Musikmärchen "Rockpommel's Land" in voller Länge erklingen lässt, wie auch in den jeweils ersten Hälften der Gigs. Danach kann man nach einer kurzen Pause CD 1 in den Player schieben: Wie im zweiten Set der Auftritte sind zunächst etwas kompaktere Songs am Start, um schließlich das zweite Kultstück von Grobschnitt einzuläuten: "Solar Music". Es wird hier in der 2008er "Sonnentanz"-Variante gespielt und zeigt in fast 43 beeindruckenden Minuten, dass sich auch die Band der Neuzeit nicht hinter aktuellen Kollegen aus den Gefilden des Progrock verstecken muss.
Bleiben da für die Verehrer der Band noch Wünsche offen? Einer bestimmt: Es wäre sicherlich ein Erlebnis, wenn es zu diesen bewegenden Klängen irgendwann auch mal bewegte Bilder gäbe, denn nach wie vor sind die Shows von Grobschnitt ein Schmaus für Ohren und Augen, mit allen Pyros, Kostümen und Toni Moff Mollos brillanter Lichtregie, die er, wie eh und je, während des Singens von der Bühne aus regelt.
Die harten Fans, die bereits die Originale im Schrank haben, sind wohl weniger das Zielpublikum für diese erneute Auflage - aber es gibt noch viele, die die Gruppe entdecken können und solche, die sich zwar an früher erinnern, aber noch nichts von dem Wiedererstehen der Kultband bemerkt haben. Daher ist das erneute Veröffentlichen dieser Live-Scheiben durchaus ein sinnvolles Unterfangen! Und für manche/n vielleicht tatsächlich der Beginn von "Another Journey" in Richtung "Rockpommel's Land"!
Line-up:
Willi Wildschwein (Gesang, Akustikgitarre)
Nuki Danielak (Gitarren, Backing Vocals)
Milla Kapolke (Bass, Gesang)
Manu Kapolke (Gitarren, Keyboards, Backing Vocals)
Deva Tattva (Keyboards )
Demian Hache (Schlagzeug, Percussion, Keyboards)
Toni Moff Mollo (Gesang, Lightshow)
Admiral Top Sahne (Schlagzeug )
Tracklist |
CD 1 (Live 2008):
01:Powerplay Finale
02:Film im Kopf
03:Medley
04:Könige der Welt
05:Sonnentanz 2008
06:Bonustrack: Another Jurney
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CD 2 (Live 2010):
01:Behind
02:Before
03:Ernie's Reise
04:Severity Town
05:Anywhere
06:Stoney Dance
07:Rockpommel's Land
08:Beyond
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Externe Links:
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