Jan Garbarek ist mit seinem Saxofon die nordische Stimme des europäischen Jazz. Seit 40 Jahren spielt er einen unverwechselbaren Ton und kreiert einen völlig neuen Stil, der gleichermaßen Ästhetik, weltmusikalische Folklore und Spiritualität ausstrahlt. Ein Musiker, der Anerkennung und Fans in den unterschiedlichsten Lagern findet.
Nun, auch in der RockTimes-Redaktion hat er seine Anhänger, wie sich an den beiden Reviews im Archiv unschwer ablesen lässt. Und auch der aktuelle Rezensent ist, seit einem Konzert der damaligen Jan Garbarek Group im Kronacher Kreiskulturraum und des legendären Albums "Witchi-Tai-To" (1973), ein erklärter Fan des Norwegers.
Seither ist viel Zeit vergangen und seine Karriere hat Jan Garbarek mit den unterschiedlichsten Künstlern zusammengebracht, was auf einer Vielzahl von Tonträgern dokumentiert ist. Dabei ist sein eigenes Schaffen vor allem in jüngerer Zeit sehr überschaubar geblieben, die letzten Werke "In Praise Of Dreams" und "Rites" liegen schon fünf bzw. elf Jahre zurück!
Obwohl er live zu den wirklich Großen gehört, der völlig unspektakulär jeden Auftritt zu einem Ereignis zelebriert, gab es bisher keine Aufnahme unter eigenen Namen aus dem Konzertsaal. Diese Lücke schließt nun das Doppelalbum "Dresden In Concert", aufgenommen im Oktober 2007 im dortigen 'Alten Schlachthof'. Im seit langem festen Quartett fehlte Bassist Eberhard Weber, der nach einem Schlaganfall auf Konzerttour durch den Brasilianer Yuri Daniel ersetzt wurde. Neben Schlagzeuger Manu Katché bildet Keyboarder Rainer Brüninghaus die vierte Säule der kongenialen Formation.
Kritiker warfen Garbarek vor, dass er innerhalb seiner eigenen Musik beliebig und stereotyp geworden sei und in esoterisch-mystischen Wolkenheimen schwebe. Sicher sind seine letzten Werke gefälliger geworden und dieses Mehr an schönen Gefühlen mag vor allem die Jazzer stören, die immer etwas gegen den Strich gebürstet haben müssen.
Nun, diese Bedenken gibt es bei "Dresden" nicht. Das Quartett sprüht vor Energie, gibt sich durchaus kantig und lässt den Weichspüler, wo er hingehört - in der Waschküche. Die Jan Garbarek Group ist eine Jazz-Formation erster Güte, daran bleibt schon nach dem energetischen "Paper Nut" kein Zweifel. Das Programm ist ein Querschnitt aus dem Backkatalog, angereichert mit Kompositionen namhafter zeitgenössischer Kollegen, die Garbareks Truppe im eigenen Sound souverän interpretiert. Dabei bestimmen die mittellangen Stücke den Großteil der Doppel-CD, hörfreundlich geschickt gemischt (und teilweise ineinander übergehend) mit epischen Werken und Tracks im Single-Format. Hell und klar wie immer leuchtet das Sax als bestimmendes Leadinstrument heraus, ist jedoch im Bandgefüge keineswegs dominant.
Jeder der vier Musiker steckt sein Terrain ab und übernimmt innerhalb der Stücke Führungsarbeit. Allerdings erreicht der neue Bassist noch nicht die Präsenz eines virtuosen Webers mit dessen speziellen E-Kontrabass, obwohl er auch die warmen Glissandi auf dem bundlosen E-Bass liebt. Sein Spiel hat nicht ganz den ausgeprägten lyrischen Ton, ist jedoch ähnlich inspiriert.
Manu Katché, immer ein faszinierender Quell von Rhythmik und Dynamik, kommuniziert ständig erregend mit Garbarek. Katchés Drumsolo auf der Eigenkomposition "Grooving Out!" gefällt auch aus der Konserve. Brüningshaus ist klar der zweite Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, illustriert, schiebt Klangteppiche zwischen die Interaktionen und sorgt mit seinen Figuren im Zusammenklang mit Garbareks Instrumenten für genau den typischen, unverkennbaren Grundton der Band. Aber auch als Solist, mal mehr im klassischen Terrain, mal mehr der versierte Jazzer, zeigt er große Klasse. Bei seinem eigenen komplexen Werk "Transformations" überlässt ihm Garbarek komplett das Feld und würdigt damit auch die Kunst seines Dauerpartners (der nichtsdestotrotz am Ende von "Once I Dreamt A Tree Upside Down" ein paar ganz schräge Töne produziert).
"Dresden" ist das erwartet hochklassige Live-Album einer der prominentesten europäischen Jazzformationen am Puls der heutigen Musik. In der gewohnten ECM-Qualität, mit einem nicht mehr gar so analytischen Klang, der detailpräzise aus den hoffentlich dafür angemessenen Schallwandlern pulst und die Live-Atmosphäre perfekt ins Wohnzimmer überträgt. Lediglich der Übergang zwischen Song 8 und 9 auf der zweiten CD ist den Soundingenieuren etwas merkwürdig geraten. Ansonsten gibt es nur Bestnoten für die gesamte Produktion. Einmal mehr trägt auch das Cover zum gelungenen Gesamteindruck bei, der in jeder Hinsicht Ästhetik und Eleganz ausstrahlt.
Die Jan Garbarek Group geht ab Oktober wieder auf Tour (mit Trilok Gurtu für Manu Katché) und wird am 18.11.2009 erneut in Dresden gastieren. Auf Wiederhören in Elbflorenz!
Line-up:
Jan Garbarek (Sopran, Tenorsaxofon, Seljeflöte)
Rainer Brüninghaus (Piano, Keyboards)
Yuri Daniel (Bass)
Manu Katché (Schlagzeug)
Tracklist |
CD 1:
01:Paper Nut (7:55)
02:The Tall Tear Trees (5:14)
03:Heitor (9:16)
04:Twelve Moons (10:43)
05:Rondo Amoroso (6:59)
06:Tao (4:45)
07:Milagre Dos Peixes (12:53)
|
CD 2:
01:There Were Swallows (7:18)
02:The Recultant Saxophonist (8:20)
03:Transformations (7:18)
04:Once I Dreamt A Tree Upside Down (7:18)
05:Fugl (6:00)
06:Maracuja (7:44)
07:Grooving Out! (3:26)
08:Nu Bein (5:52)
09:Voy Cantando (11:14)
|
|
Externe Links:
|