Matthias Goebel / places we need… brahlshagen
places we need… brahlshagen Spielzeit: 60:22
Medium: CD
Label: Jazzsick Records, 2013
Stil: Jazz

Review vom 10.04.2013


Wolfgang Giese
Das Vibraphone ist ein Instrument, das nicht sehr häufig im Jazz vorkommt. Lionel Hampton, Bobby Hutcherson und Gary Burton sind jene Musiker, mit denen man es am ehesten in Verbindung bringt. Ein anderer bekannter Vibraphonist, David Friedman, äußert sich im Pressetext über den unter anderen in den USA geschulten Profimusiker Matthias Goebel sehr lobend. So bescheinigt er ihm »a strong sense of melody and the ability to create atmosphere.« Der auch gelegentlich als Perkussionist tätige Goebel, spielt auf dieser neuen Veröffentlichung ausschließlich Vibraphone und Marimba.
Im Gegensatz zu der genannten Duo-Platte mit Benjamin Leuschner wird der Musiker hier von einer umfangreicheren Band unterstützt: fünf Mitstreiter einschließlich der beiden Gäste. Diese Gruppe ist fürwahr brillant und man kennt sie bereits von anderen hochwertigen Produktionen.
Bleibt nun noch zu beurteilen, ob die Eigenkompositionen und die Umsetzung eine geschmeidige Allianz eingehen? Nun, die Kompositionen sind sehr gut und ebenso die wirklich interessanten Arrangements, in denen viele Elemente der Fusion einfließen. Gitarre, Bass, Schlagzeug sprühen voller Elan und Einfallsreichtum und bilden eine perfekte Einheit mit dem Bandleader, der so gar nicht als 'Chef' auftritt, sondern einer gemeinsamen und gleichberechtigten Kommunikation Raum schafft. So können van Endert als Solist an der sehr virtuos und variationsreich gespielten Gitarre und auf vier Titeln der Saxofonist Ehwald ihre Spuren eindrucksvoll hinterlassen. Aber eben auch die Rhythmussektion weiß ihr Feld abzustecken und macht auf sich aufmerksam.
Einflüsse aus der Geschichte des Jazz beschränken sich auf den Zeitraum ab etwa Mitte der sechziger Jahre, aber die Reichhaltigkeit dieser Periode erfährt reichlichen Widerhall. Folkloristische Spuren lassen sich ebenfalls nicht verleugnen, zum Beispiel gibt es orientalisch Anmutendes auf "Birds Cooldown", das im Übrigen mit einem sehr spritzigen Gitarrensolo versehen ist. Gesungen wird auch - Michal ist hier übrigens ein weiblicher Vorname - und so kommen wir in den Genuss einer Dame, die vier Mal mit angenehmer Stimme etwas beiträgt. Mit einem leichten Vibrato fügt sie sich geschmeidig in das Konzept ein oder sind es die Musiker, die ihr an den Lippen klebend professionell folgen?
Neben dem Vibraphone spielt Goebel also Marimba und auf "Expecting Whales" bringt dies durch die hier gestaltete mystische Atmosphäre Abwechslung. Wenn sich die Klöppel allein mit dem akustischen Bass paaren und einen Hauch Exotik einbringen... das ist perkussiv... das swingt, ist virtuos und eine Freude beim Zuhören. Wir erwarten also Wale, doch die bleiben während der fast sechs Minuten unter Wasser. Dafür tauchen dann nach gut drei Minuten die übrigen Musiker auf und geben dem Song noch mehr Gehalt und Tiefe. Mit "Choral 21" folgt nun eine Ballade, die sich durch eine weitere, nämlich dem letzten Stück, ergänzt. Hier wird ganz entspannt musiziert und das Gespann Vibraphon/Gitarre wirkt dann so dicht, wie ich es von Gary Burton und Pat Metheny kenne, als sie einst zusammenspielten. Ach, übrigens, die letzte Ballade entwickelt sich dann noch zum swingenden und fordernden Stück, das gar in freie Gefilde abdriftet und wo die Stimme als weiteres, wortloses Instrument eingesetzt wird - mein Topsong der Platte! Ja, das ist wahrlich Spitzenmusik der deutschen Jazzszene!
Wer oder was ist eigentlich Brahlshagen? Dazu Goebel: »Brahlshagen ist ein kleiner Ort in Norddeutschland in der Nähe von Schwerin mit Blick auf einen See, wo Freunde von mir leben und ich vollkommen abschalten, nachdenken und entspannen kann.« Und genau das hat er einwandfrei im Titelstück musikalisch umgesetzt - ich bin nun auch in Brahlshagen angekommen!
Line-up:
Matthias Goebel (vibraphone, marimba)
Philipp van Endert (guitars)
André Nendza (double-bass)
Yonga Sun (drums)

Guests:
Michal Cohen (vocals - #4-6,8)
Peter Ehwald (saxophone - #3-5,8)
Tracklist
01:5 Bucks, Coffee, You & Me (7:26)
02:Sunday Breakfast At Cantonas (6:12)
03:Birds Cooldown (4:37)
04:At The End Of The Day It's All About Her (5:51)
05:Summer Breezin' (5:41)
06:Expecting Whales (5:48)
07:Choral 21 (4:55)
08:Places We Need… Brahlshagen (6:49)
(all tracks composed by Matthias Goebel,
lyrics on #4 by Anne Hartkamp)
Externe Links: