Ein Cartoon-Männchen mit viel zu großem Kopf sitzt am viel zu kleinen Klavier - nein, es ist nicht Linus von den Peanuts, der uns auf dem Cover dieser Veröffentlichung von Progrock Records begrüßt. Es ist Michael Gill, Songwriter und Pianist/ Keyboarder aus der kalifornischen Bay Area, der uns mit seinem Solo-Debüt beglückt. Und damit haben die progressiven Platten-Manager von Progrock Records mal wieder wie so oft einen guten Riecher bewiesen.
Sie bieten uns mal wieder ein Scheibchen feil, das sich nicht über große Namen verkaufen lässt - das Gros der 17 beteiligten Musiker zeichnet sich nicht durch Prominenz aus - und dafür umso mehr überrascht. Nicht nur durch die gute Qualität des Inhalts - aber das ist ja im Hause Progrock Records schon längst keine Überraschung mehr - sondern vor allem durch die stilistische Vielfalt.
"Blues For Lazarus" startet auf gefälligen, aber wenig überraschenden Prog Rock-Wegen, um sich dann unerwartet jazzig zu verzweigen. Gleich zwei Lead Sänger plus zwei Lead Sängerinnen im Kreis der Gill'schen Musiker tragen dessen so unterschiedliche Kompositionen vor. Man könnte sagen, er hat für jede Stimmung das richtige Ass im Ärmel. Bandchef Michael Gill selbst beschränkt sich auf das Bedienen der diversen Tasteninstrumente und aufs Schreiben der Stücke.
Den Start macht mit "Merlin's Journey" ein recht sperriges Stück gefälliger, aber recht unspektakulärer Prog Rock. Ein von positiver Energie erfüllter, sehr dynamischer Synthie-Drive mit organischen, unmodernen E-Gitarren und flinken Brummelbässen bildet den Rahmen für eine längliche, aber nicht langweilige Architektur aus nachdenklichen Gesangspassagen, die von Klavier- und Cello-Begleitung geprägt sind. Das alles bewegt sich ohne größere Experimente irgendwo zwischen Saga und Neal Morse.
Die klare, ausdruckstarke und leicht schmerzbetonte Stimme von 'Snappy' Dave Cowden passt prima dazu, und die leiht er auch Colorado, einem weiteren Song im Prog-Sektor, der sich trotz relativ kurzer Spieldauer als echtes Juwel entpuppt. Ein lebendiger Klavier-Drive, der an frühe Genesis erinnert, dann ein lyrisch-balladenhafter Aufbau aus Klavier, Bass und Akustikgitarre, bevor das Stück urplötzlich nochmal Fahrt aufnimmt: ein flinker Hammond-Drive, gefolgt von dem energischen Klavier von ganz zu Beginn, und schließlich in der letzten Minute ein wunderschöner Chorus - zum Schwelgen, aber nicht kitschig - als Finale, nur ein einziges Mal.
Beim Titeltrack "Blues For Lazarus" könnte man sich nach diesen Eindrücken schon im falschen Film wähnen. Rick Ellis mit seiner leicht angerauten, souligen Stimme, interpretiert ein rein akustisches Stück irgendwo zwischen smoothem Soul, Piano Bar-Jazz und nicht zuletzt Blues Rock. Und wie das bluest! Allerdings ganz ohne Gitarre, sondern vielmehr geprägt vom den akustischen Klagegebärden des Solosaxofons. Ein tolles Stück bluesiger Jazz mit großartigen Performances von allen Beteiligten, die sich richtig gut in die Musik reinfühlen.
Michael Gills Klavierspiel zeichnet sich dabei immer wieder durch improvisatorisch wirkende Coolness aus, kleine virtuose Zwischenspiele, Breaks und ganz kurzfristige Crescendos. In "Memory Of A Dream" lebt er seine sehr gefühlsbetonte, spontan wirkende Art ganz ohne fremde Begleitung aus. Authentisch, vom Gefühl geleitet und spontan wirkt diese Mischung aus Jazz und Romantik. Gar nicht so weit davon entfernt ist die Ballade "Stay The Night" - mit Doppel-Gesang von Rick Ellis und Sylvia Herold und mit Saxofon von Dave Koz.
Mit Starbesetzung wartet Michael Gill bei "Arrakis" auf. Der rein instrumentale Achtminüter bietet proggig-versetzte Fusion mit Saxofon, Synthies und Gitarre als Solisten über einer Vielfalt von genialen Rhythmen und coolen Grooves. Kein geringerer als Jazz- und Fusion-Facharbeiter Dave Weckl sitzt dabei am Schlagzeug - die prominente Ausnahme im ansonsten von Gill'schen Co-Musikern aus Kalifornien geprägten Line-up.
Geprägt von lässig geproggter Fusion ist auch "Tomorrow's World", witzig interpretiert von gleich einer Hand voll Sänger, die einander nahtlos teils von Wort zu Wort abwechseln. Könnte rein stilistisch auf Totos "Mindfields" stehen. Eine Art Gegenpol bilden wiederum die beiden Stücke mit Sängerin Callie Lou Thomas - eine Stimme, bei der man gern alles stehen und liegen lässt und zuhört, geprägt von einer sinnlichen Schönheit, ohne viel Firlefanz, einfach nur zum Träumen. Sie singt das Saxofon-verzierte Peter Gabriel-Cover "Here Comes The Flood" und den Schlusstrack "Rain", der als Klavierballade beginnt, dann aber mit einigen Anteilen 80er-Prog à la Saga oder Rush aufwartet.
"Blues For Lazarus" wäre bestimmt ein Albtraum für Plattenverkäufer, wenn sie durch die Marke Progrock Records nicht die Empfehlung hätten, das Album unter 'Progressive Rock' einzusortieren. Unterm Strich stimmt die Schublade nur sehr bedingt. Die CD ist ein großes Potpourri aus Prog, Jazz, Klavierballade und Fusion mit tendenziell eher ruhiger Schlagseite, ohne heavy Gitarren, was die musikalischen Ideen und die instrumentale Finesse des Manns am Piano sehr transparent macht.
Letztendlich bildet Michael Gill die Verbindung der ganzen stilistischen Ausflüge. Sein gefühlsbetontes, inspiriertes Spiel prägt seine Solo-Scheibe in allen musikalischen Umgebungen - so soll es ja auch sein. Und wo, wenn nicht auf einem Solo-Album, kann und soll man sich nach Lust und Laune austoben?! Michael Gill tut das so gekonnt, dass "Blues for Lazarus" im CD-Spieler des Rezensenten über die Pflichtumdrehungen hinaus noch einige Zusatzpirouetten drehen wird.
Line-up:
Michael Gill (keyboard, synthesizers, piano, Hammond B3 organ)
Amy Brodo (cello)
'Snappy' Dave Cowden (vocals)
Rick Ellis (vocals)
Rob Fordyce (bass)
Sylvia Harold (vocals)
Glenn Harris (acoustic guitar)
Mike Ejé Jacobs (bass)
Dave Koz (alto sax)
Brad McKeague (drums)
Gary Meek (tenor & soprano sax)
Michael Oliver (drums)
Damian 'Dan' Petruzzella (guitar)
Callie Lou Thomas (vocals)
Scott Urquhart (bass)
Tom Valdez (drums)
Dave Weckl (drums)
Tracklist |
01:Merlin's Journey (8:08)
02:Blues For Lazarus (6:39)
03:Arrakis (8:05)
04:Tomorrow's World (3:56)
05:Here Comes The Flood (5:45)
06:Memory Of A Dream (3:38)
07:Colorado (3:55)
08:Stay The Night (4:33)
09:Rain (5:15)
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