»Rache ist Blutwurst!« oder »Eine Hand wäscht die andere!«?
Vor drei Jahren coverte Peter Gabriel auf "Scratch My Back" Songs von Kollegen – jetzt gibt’s das Gegenstück dazu. Zwölf Gabriel-Hits werden von verschiedenen Musikern neu interpretiert. Spannendes Projekt oder nur ein Vorwand, um mal wieder irgend einen Output unters zahlende Volk zu bringen?
Ich gestehe, "Scratch My Back" hab ich ausgelassen, auf die 'Retourkutsche' war ich aber sehr gespannt. Nicht jede der gecoverten Hände wusch auch die andere, das Netz munkelt, Thom Yorke ( Radiohead) wäre von Gabriels "Street Spirit" so wenig angetan gewesen, dass er die Zusammenarbeit verweigerte. David Bowie war noch in der musikalischen Versenkung und überließ seinen Beitrag dem "Heroes" Co-Autor Brian Eno. Neil Young soll einfach nicht in die Puschen gekommen sein. End vom Lied: Es sind ein paar Musiker auf "And I'll Scratch Yours" vertreten, die nicht auf "Scratch My Back" zu finden sind. Ich geb offen und ehrlich zu, bei manchen musste ich erstmal recherchieren, wer zum Geier das überhaupt ist.
Wie zum Kuckuck lässt sich so ein Werk vernünftig besprechen? Die zehnzeilige 'Daumen rauf/runter'-Rezension (die es bei uns ohnehin nicht gibt), wäre in meinen Augen hier noch deplatzierter als sonst. Die 'Big Names' rausgreifen, den Rest kurz abhandeln? Würde weder Gabriels Intention, noch dem Ergebnis seines Experiments gerecht. Erleichternd und zugleich erschwerend kommt wahrscheinlich hinzu, dass elf der zwölf hier versammelten Tracks in den verschiedenen Versionen des Ex- Genesis-Sängers ziemlich tief in meine Gehörgänge eingebrannt sind. Wenn ich in der Folge über meine Eindrücke schreibe, sind die garantiert sehr subjektiv und teilweise sicherlich auch von der Bedeutung mitgeprägt, die ich einzelnen Liedern beimesse.
"I Don't Remember" - David Byrne (Talking Heads)
Wenn der "Psychokiller" "Burning Down The House" ist – kein Wunder, wenn jemand dann den "I Don't Remember"-Modus einschalten möchte... nee, jetzt mal im Ernst, man hört die Heads ganz deutlich raus, aber es passt zu der Nummer. David Byrne eröffnet den Reigen der Gabriel-Interpretationen. Sein "I Don't Remember" wäre im Talking Heads-Repertoire ganz sicher nicht als Fremdkörper aufgefallen und kann, zumindest für mein Empfinden, auch neben dem Original als eigenständig bestehen.
"Come Talk To Me" - Bon Iver
Hier musste ich mich erstmal schlau machen, wer das überhaupt ist. Das US-amerikanische Folk- beziehungsweise Singer/Songwriter-Projekt um Justin Vernon hat sich einen Song ausgesucht, bei dem es sich sehr dicht ans Original halten konnte. Er klingt durchaus nach Bon Iver (zumindest nach dem, was ich nach ein paar Hörproben als Eindruck erhalten habe), aber auch ganz stark nach einer ziemlich soften Akustik-Version des Originals. Mehr Geflüster denn Sprechen – wobei das ja durchaus auch seinen Reiz haben kann. Die Energie und Spannung dieses Songs bleibt mir hier allerdings etwas zu sehr auf der Strecke.
"Blood Of Eden" - Regina Spektor
Die aus Russland stammende US-amerikanische Sängerin, Pianistin und Songschreiberin aus der Alternative- und Anti-Folk-Szene bleibt zwar nah an Gabriel, gibt aber dem Song durch kleine Details eine berührende, doch nicht rührselige Stimmung. Sie hat eine gewisse Schnoddrigkeit im Gesang, die mir gut gefällt, weil sie ein Stück des Pathos wegnimmt, der beim 'Chef' in manchen seiner Versionen (speziell der mit Sinéad O'Connor) mitschwingt. Von ihm mag ich am liebsten das Duett mit Paula Cole (auf der "Secret World Live"). Reginas Variante kommt in meiner Gunst gleichauf, als richtig interessanter weiblicher Gegenpart zu Peters Version. Stark!!
"Not One Of Us" - Stephin Merritt
Sehr eigen und eigenwillig interpretiert der Magnetic Fields-Sänger das Lied über den Fremden, dessen Tränen nur Wasser im Gesicht sind. Für mein Gefühl hat er sich ganz intensiv mit dem Song beschäftigt und ihn mit seiner eigenen Handschrift, aber immer ganz stark am Inhalt orientiert, neu aufgerollt. Quäkestimme, Noise und Beats passen hier zum Songinhalt, das Ergebnis ist was sehr Eigenes aber Stimmiges und geht trotzdem nicht völlig von der Vorgabe weg. Schön gelöst, gefällt mir gut.
"Shock The Monkey" - Joseph Arthur
Joseph Arthur, US-amerikanischer Sänger und Gitarrist (Fistful of Mercy, The Lonely Astronauts) ist bei Gabriels Realworld Label unter Vertrag. Auf dieser Scheibe gehört er zu den später dazugekommenen Künstlern, die nicht schon auf "Scratch My Back" dabei waren. Er hat sich eine der rätselhafteren Nummern Gabriels ausgesucht – teilweise auch als Tierschutzlied verstanden. Ob Arthur diesen Hintergrund angenommen hat für seine düster-bedrohliche und dem Weltschmerz fröhnende Fassung? Auch wenn sie nicht unbedingt zu meinen Favoriten hier gehört, passt die Stimmung zum ausgewählten Song; macht Sinn.
"Big Time" – Randy Newman
Er bringt sehr viel eigenes Feeling mit, interpretiert ziemlich speziell, sehr cool und charakteristisch in seinem ganz eigenen Stil. Sein "Big Time" trägt nicht den Lebenshunger des jungen Gabriel in sich, sondern eine fast schon zynische, spöttische Abgeklärtheit. Kauzig, aber stark gemacht! YEEEAH!!
"Games Without Frontiers" - Arcade Fire
Diese Version der kanadischen Indie-Rockband um das Ehepaar Win Butler und Régine Chassagne, könnte Gabriel selbst gemacht haben, wenn zur Entstehungszeit schon die heutigen Strömungen und technischen Möglichkeiten dagewesen wären. Sehr interessante Interpretation, coole Umsetzung. Der Song bleibt im Kern erkennbar und charakteristisch, ist aber trotzdem anders als das Original.
"Mercy Street" - Elbow
Die britische Rockband aus Manchester erobert sich schon jetzt einen Platz auf dem Treppchen, falls irgendwann mal der Wettbewerb um eine Peter Gabriel-Coverband ausgeschrieben wird. Sogar stimmlich kommt das ziemlich hin, gewiss kein leichtes Unterfangen.
"Mother Of Violence" - Brian Eno
Dass er als Musiker und Produzent ein Könner ist, wissen wir schon lange. Clever finde ich sein Herangehen an diese 'Aufgabe'. Als einziger hat er sich keinen der ganz bekannten Hits vorgenommen, sondern eine Nummer vom zweiten Album, die eher ein wenig im Schatten blüht. Clever insofern, als nicht jeder Hörer unbedingt das Original im Hinterkopf eingebrannt hat, was Eno Spielraum für seine Interpretation gibt. Und gleichzeitig die Chance, sein Können und Talent auszuspielen, mit dem er aus dem Ursprungsmaterial einen Song formt, der noch mehr hermacht, als das Original.
"Don't Give Up" - Feist feat. Timber Timbre
Die kanadische Sängerin und Gitarristin Leslie Feist und die Folk-Band aus der Provinz Ontario überzeugen mich mit ihrer Slow Motion-Version mindestens genauso sehr wie Regina Spektor. Auch hier ist mein persönlicher Favorit aus Gabriels Welten der der "Secret World Live", sein zuckersüßes Duett mit Kate Bush dagegen, reißt mich nicht so sehr vom Hocker. Leslie Feist gibt die schnatternd-schnodderige Aufgeregtheit, während Taylor Kirk mit gaaaanz tiefer und dabei sehr beruhigender Stimme einen Gegenpol darstellt. Das passt vor allem deshalb perfekt, weil sie die männlichen und weiblichen Gesangsparts (und damit auch ein Stück weit das Rollenverständnis) getauscht haben. Sie ist aufgeregt und verzweifelt angesichts ihrer Situation, der Mann ermutigt sie immer wieder, nicht aufzugeben. Ohne jetzt vom Hundersten ins Tausendste zu gehen - sehr gelungen interpretiert! Chapeau!!
"Solsbury Hill" - Lou Reed
Klare Sache, dass von ihm kein bloßes Cover kommt. Der Lou Reed-Kenner lacht und stellt mit Erstaunen fest, dass er die Melodie tatsächlich erkennbar lässt. Für mich schwingt im Gesang speziell am Anfang was von Cashs "Hurt" mit, aber gut möglich, dass das eine sehr individuelle Assoziation ist. Ziemlich wahrscheinlich, dass diese Interpretation am stärksten polarisiert. Ich mag sie. Ob Lou Blutwurst mag? Oder doch mit viel Augenzwinkern Hände wäscht?
"Biko" - Paul Simon
Für mich - ganz offen gesagt - eine Enttäuschung. Das mag sehr subjektive Gründe haben, denn Gabriels "Biko" ist für mich untrennbar verbunden mit den Konzerten, der ganz besonderen Atmosphäre dieses Songs, der über Jahre DER Abschluss seiner Gigs war. Vermutlich könnte ich jedem anderen Lied in einer Simon-Version mehr abgewinnen, "Biko" nicht. Hier wird eine Hymne zum banalen 'Lagerfeuergeklampfe' (das aber – der Fairness halber – technisch sehr gut dargeboten).
Wenn ich jetzt ein Fazit ziehen soll? Spannende Sache! Hochinteressant, wie unterschiedlich die Kollegen an dieses Projekt rangehen. Muss man die Scheibe haben? Naja, man gönnt sich ja sonst nix....
PS: Sie erscheint auch als Deluxe Edition, in der (für noch nicht mal 'nen Fünfer mehr) auch die "Scratch My Back" enthalten ist. Wenn wir schon beim Gönnen sind...
Tracklist |
01:I Don't Remember - David Byrne
02:Come Talk To Me - Bon Iver
03:Blood Of Eden - Regina Spektor
04:Not One Of Us - Stephin Merritt
05:Shock The Monkey - Joseph Arthur
06:Big Time - Randy Newman
07:Games Without Frontiers - Arcade Fire
08:Mercy Street - Elbow
09:Mother Of Violence - Brian Eno
10:Don't Give Up - Feist feat. Timber Timbre
11:Solsbury Hill - Lou Reed
12:Biko - Paul Simon
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