Manch einer mag die dutzendfach gehörten Songs eines der größten weißen Blues-Rocker in schlichtem Konsumentenverhalten aufgesogen haben, ohne sich jemals Gedanken über die Hintergründe zu Rory Gallaghers Texten gemacht zu haben. Wer sich jedoch mal mit den Inhalten beschäftigt (hat), dem wird offensichtlich, dass Gallagher eine Vorliebe für Krimis hatte. Besonders die Detektivromane hatten es ihm angetan, Werke von Raymond Chandler oder Dashiell Hammett liebte er über alles.
Schaut man sich Songtitel wie zum Beispiel "Continental Op" an, so wird man gewahr, dass es sich hierbei um einen Buchtitel eines der Kriminalromane des letztgenannten Autoren handelt.
Beschäftigt man sich dann im Umkehrverfahren auch noch mit den Vorlieben des beliebten Krimiautors Ian Rankin, nämlich Rockmusik, so liegt es doch eigentlich auf der Hand, hier eine Symbiose herbeizuführen. Rankins besonderer Favorit im Musiker-Reigen war und ist unser (musikalischer) Protagonist hier.
Um seine neue Erzählung "The Lie Factory" flicht er ein geschicktes Netz aus seinem Romanhelden P.I. Regan, den Texten und der Musik Rorys. Die Idee dazu aber gab Dònal Gallagher, Bruder des verstorbenen irischen Musikers, der bei Rankin anklopfte und ihm sein Vorhaben, ein Album-Projekt mit Krimi, Comic und Musik zu realisieren, schmackhaft machen konnte.
An dieser Stelle tritt zudem noch Timothy Truman auf den Plan, der als Comic-Zeichner sowohl eigene Serien gezeichnet als auch für Verlage gearbeitet hat. Obendrein hat er sich in der Musikwelt einen Namen gemacht, weil er u. a. Motive für Plakate und Plattencover der Grateful Dead geliefert hat. Seine Liebe zu Gallaghers Tönen machte sich bereits in seiner ersten eigenen Comic-Serie "Grim Jack" bemerkbar, in der Konzertplakate von einem Gallagher auffallend ähnelndem Musiker zu sehen waren.
Last but not least kommen wir zu Aidan Quinn, dem Hollywood-Schauspieler ("Legenden der Leidenschaft" u. a.), der die Hörspielfassung von Rankins "The Lie Factory" wunderbar erzählt, was die vorliegende Compilation zu einer sehr runden Sache macht.
Besagte Compilation nun besteht in einer der erhältlichen Varianten aus drei CDs, dem aufwendig erstellten Hardcover-Comic und mehreren Postkarten mit Motiven aus "The Lie Factory". Andere Editionen gibt es mit Making-Of-EPK (Electronic Press Kit), Digi-Datei des Hörspiels und Promo-Videos, sowie, natürlich momentan immer heiß begehrt, Vinyl-Fassungen der Scheiben. In diesem Zusammenhang sei auf den folgenden Link verwiesen, der das Making Of sehr schön dokumentiert.
Die rund vierzigseitige Erzählung ist in der Schrift-/Bildform eine Mischung aus reiner Prosa und reichhaltiger Bebilderung mit tollen Comic-Darstellungen einzelner Passagen des Krimis. Alles ganz im Stile alter Philip Marlowe-Illustrationen mit düster-spannenden, schwarz-weißen Inszenierungen, bei denen die Perspektive des Betrachters immer eine ganz besondere ist - und genau das macht die Klasse des Zeichners aus.
Von der Klasse des Musikers Gallagher kann man nicht genug schreiben, andererseits ist allein in den fast zwanzig Jahren seit seinem Tod auch schon alles Sagenswerte gesagt worden. "Kickback City" beinhaltet zwei sehr schöne Zusammenstellungen mit Werken, die thematisch in einen Krimi passen.
CD 1 ist eine Sammlung von vierzehn Studioaufnahmen, passenderweise "Studio Takes" betitelt, die in ihrer Zusammensetzung einen Querschnitt durch Gallaghers Diskografie bietet.
Der Opener und sog. Titeltrack "Kickback City" ist auf "Defender" zu finden, einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1987, die seine vorletzte Studio-LP werden sollte. Neben dieser späten Komposition ist aber auch das Debütalbum "Rory Gallagher" vertreten (oder soll ich hier "Selbstbetitelt" schreiben…), und zwar mit "Sinner Boy". Alle weiteren Titel ziehen sich wie ein roter Faden durch das Lebenswerk, wenngleich nicht in chronologischer Reihenfolge. Dem Fan, der sicherlich jeden der Titel kennt, sei empfohlen, sich die Erzählung zu Gemüte zu führen, die Zeichnungen zu studieren und gleichzeitig ein weiteres Mal in die musikalische Welt Gallaghers einzutauchen.
Es ist müßig, hier die einzelnen Titel ein weiteres Mal aufzudröseln und ihre Stärken herauszupräparieren. Das wurde an anderer Stelle in diesem Kino bereits mehrfach und höchst kompetent erledigt. Sei es der "Barley & Grape Rag", den wir auf der 2006er- Wheels Within Wheels finden, der aber ursprünglich von der "Calling Card" aus dem Jahre 1976 stammt, oder ebenso der Track "Secret Agent".
Wie viele Gallagher-Zusammenstellungen mag es wohl geben? Sicherlich einige hundert und die Welt braucht im Grunde keine weitere. Hier aber haben wir es mit einer etwas anderen Art zu tun, denn ausnahmsweise dreht es sich nicht um musikalische Inhalte (im eigentlichen Sinne), sondern es wurden unterschiedliche Stücke ausgewählt, deren Texte sich ausschließlich mit ein und demselben Thema beschäftigen. Da wundert es dann wenig, wenn die Tracks ein wenig 'sprunghaft' erscheinen - mal ist es bluesiger, mal rockiger, mal gibt es diese grandiosen Wechselspiele zwischen Gitarre und Hammond, mal erscheint es wie improvisiertes 'guitar picking'.
Und dann haben wir ja auch noch die zweite Scheibe, "Live Takes", die (erstmalig?) Ausschnitte der Cork-Show von 1987 auf CD bringt. Leider ist es nicht die komplette Show, aber das wäre thematisch dann wieder unbedacht (wenngleich ein Gewinn für den Fan), da einige Stücke des Konzerts inhaltlich einfach nicht zu Crime Noir passen. Ich persönlich freue mich zumindest sehr, hier ein paar weitere Zeugnisse des Gallagher'schen Schaffens in meiner Sammlung zu wissen.
Zwar gehöre ich selber nicht dazu, aber ich weiß, dass es eine große Gruppe von Menschen gibt, die sich während langer Autofahrten dem Hören von Büchern hingeben. Mit einer guten dreiviertel Stunde Spielzeit lässt uns (oder besser die Hörbuchfreunde) Aidan Quinn auf der dritten CD (natürlich auf Englisch) in die Welt des Privatschnüfflers Regan eintauchen, der, wie so viele seiner Gattung, am unteren Ende der Nahrungskette steht und dennoch irgendwie überlebt und seine Fälle bewältigt.
Angedeutet durchdringt mein Urteil über "Kickback City" die vorstehenden Zeilen schon mehrfach: Ich halte diese Veröffentlichung für ein äußerst gelungenes Produkt, das aus seinen mehrschichtigen Komponenten wie Musik (live und Studio), Prosa, Hörbuch und Comic zu einem durchaus würdigen Ensemble verschmolzen ist. Die Qualität sämtlicher einzelner Facetten ist über jeden Zweifel erhaben und ich könnte mir vorstellen, dass sich der geneigte Sammler über "Kickback City" in seinem Nikolausstiefel sehr freuen würde.
Tracklist |
Kickback City/Studio Takes:
01:Kickback City
02:Continental Op
03:Kid Gloves
04:Big Guns
05:Loanshark Blues
06:Secret Agent
07:B Girl
08:Slumming Angel
09:Barley & Grape Rag
10:Doing Time
11:In Your Town
12:Sinner Boy
13:The Devil Made Me Do It
14:Seven Days
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Kickback City/Live Takes:
01:Continental Op
02:Tattoo'd Lady
03:I Ain't No Saint
04:Off The Handle
05:The Loop
06:Messin' With The Kid
07:Loanshark Blues |
Hörspiel-CD:
The Lie Factory (erzählt von Aidan Quinn)
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Externe Links:
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