Hellmut Hattler ist in unseren Breiten nicht bloß ein Kult-Bassist, das wäre eine viel zu profane Charakterisierung. Er ist vielmehr so etwas wie eine lebende Legende - aber keine, die in feste Formen gegossen auf irgendeinem Sockel als Denkmal steht!! Nein, der Mann ist nach wie vor in Bewegung und ganz sicher noch lange nicht am Scheitelpunkt seines Lebensweges angekommen.
Wenn so jemand ein neues Album auf den Markt bringt, kann man davon ausgehen, dass das Endergebnis Hand und Fuß hat. Mit einer in über vierzig Jahren erworbenen Reputation auf höchstem Niveau sollte man mit allen Wassern gewaschen sein. »A Hund iss scho«, wie der Bajuware zu sagen pflegt.
Das heißt jetzt aber nicht, dass man nun blindgläubig wie ein Jünger alles für gut zu befinden hätte, was des Meisters Studio verlässt. "The Kite" hinterlässt bei mir persönlich an manchen Stellen ein leichtes Stirnrunzeln. Manches erschließt sich mir nicht (sofort), manches muss wohl einfach wachsen. Seit jeher versucht Hellmut Hattler, musikalische Grenzen aufzubrechen und niederzureißen. Das fordert (und fördert) den Hörer natürlich und zwingt ihn, seinen persönlichen Standpunkt unablässig neu zu definieren.
Mit seinem zehnten Album unter dem Branding Hattler, für das er sich mit seinem Deep-Drive-Corp. Partner Peter Musebrink drei Jahre Zeit gelassen hat, sattelt der Kraan-Bassist den Drachen (engl. kite). Hier kräuseln sich erstmals leicht die Stirnfalten. Mit dem Begriff 'Drachen' verbinde ich andere Assoziationen als die, die sich mir beim Hören von "The Kite" aufdrängen. Hier speit kein Untier infernalisches Feuer, keine schwefeligen Dämpfe fauchen einem aus den Boxen entgegen. Stattdessen strahlen die dreizehn Takes mal sphärische Luftigkeit, mal synthetisch-kühle Eleganz, mal entspannt-warmen Groove aus. Chill statt Thrill - auf diese griffige Formel könnte man es bringen...
Einmal mehr schafft es Hattler, seinen Bass aus dem strengen Korsett als Rhythmusgeber zu lösen. Er lässt seinem Instrument gehörig Leine und nutzt diese Freiheiten für überaus reizvolle Melodiefiguren.
Vielleicht reibe ich mich persönlich an den überwiegend elektronischen Beats, die für eine unterkühlte Stimmung sorgen, während der Rest des Arrangements konterkarierend fast schon eine cremige Wärme vermittelt. Zumindest gilt dies für die souligen Popsongs, die mit der bemerkenswerten Altstimme von Fola Dada geradezu veredelt werden. Herausgekommen sind dabei richtig gute Chartbreaker wie der Titelsong, "Sliding In Slomo", "Fine Days" oder "C64" (hier mit toller Gitarrenarbeit von Torsten de Winkel!!), die allesamt seelenvoller als der ganze radiokompatible Pop-Durchschnitt sind, mit dem man tagsüber umsäuselt wird - aber halt nicht unbedingt der Stoff, aus dem (meine) musikalischen Träume maßgeschneidert sind...
Das trifft dann schon sehr viel eher auf das Songmaterial zu, das Hattlers jazzrockige Wurzeln kaum verleugnen kann. Neben den knurrigen Bassfiguren, die diesen Titeln wahre Flügel verleihen, ist es hier Joo Kraus' (auch ein alter Kraaner) meist 'gestopfte' Trompete, die für eine unglaublich dichte Atmosphäre sorgt. Bei "Wider", "Patient" und "Tag 2" sollte man die Augen schließen, abheben und in samtige Wolken eintauchen... wenn... ja, wenn da nur nicht wieder dieser ganze elektronische Schnickschnack wäre!!
Primus inter pares ist das fünfminütige "Ballhaus Rubeau", dessen knurrig vorwärtstreibende Bassfiguren - unterstützt von akzentuierten Synthesizer-Sounds - für einen echten Hattler nicht typischer sein könnten. Hier setzt Sebastian Studnitzky mit seiner weichen Trompete die stimmungsvollen Kontrapunkte. Das hat ganz große Klasse!
"The Kite" könnte so ein typischer Fall sein, bei dem sich ein Album dem Hörer erst mit einem gewissen (zeitlichen?) Abstand erschließen kann. Der Name Hattler steht jedenfalls für Qualität. Unter diesem Aspekt gibt es nichts an "The Kite" auszusetzen - alles andere sind (in meinem Fall) augenblickliche Befindlichkeiten...
Das Album zerfällt halt in einen Teil mit durchaus anspruchsvoller Popmusik und einen mit zumeist fusion-inspiriertem Jazz, zum enspannten Chillen in irgendeiner Lounge bestens geeignet. Wer beides mag und die Gegensätze verbinden kann, könnte an 'dem Drachen' (so nannte man diese 'Kites' in meinen Kindertagen!) seine Freude haben.
Line-up:
Hellmut Hattler (bass, guitars)
Peter Musebrink (electronic beats and sounds, sound programming)
Fola Dada (vocals)
Joo Kraus (trumpet, piano, voice)
Juergen Schlachter (drums, electronic beats, cymbals)
Oli Rubow (electronic beats and sounds)
Torsten de Winkel (guitar)
Sebastian Studnitzky (trumpet)
Jan Fride Wolbrandt (electronic beats and sounds)
Jens Doering (electronic beats)
Jonas Dorn (guitar, electronic beats and sounds)
Konstantin Schädler (keyboards)
Mia Hattler (cello)
Tracklist |
01:The Kite (3:58)
02:Wider (5:50)
03:Sliding In Slomo (5:55)
04:Ballhaus Rubeau (5:03)
05:C64 (4:54)
06:Fine Days (3:22)
07:Nirvana Club (6:14)
08:Patient (6:03)
09:Moola Bulla JivE (4:14)
10:Tag 2 (4:25)
11:Vibecontrol (5:53)
12:The Kite Returns (1:34)
13:Naïvety Suite [Bonus Track] (3:44)
|
|
Externe Links:
|