Als 'deutschen Herz-Industrialmetal' bezeichnen Sänger Ric-Q Winther und Gitarrist El Toro ihr Projekt Herzparasit. "Fromme Lämmer" ist ihr im Herbst 2011 erschienenes Debütalbum. Musikalisch bewegen sie sich ungefähr in der Ecke Megaherz, Rammstein und Oomph!. Sie standen als Supportband für Megaherz und Umbra et Imago auf der Bühne und sind auf Szenesamplern vertreten. Auch auf soziales Engagement können sie verweisen, sie sind bekennende Sandmänner, ein Projekt, das sich gegen Kinderarmut engagiert.
So weit – so gut.
Düster, morbide und schleppend, basslastig, industrial, provokativ – teilweise um jeden Preis, das ist mein erster Eindruck. So wirklich warm werden will ich mit der Scheibe auch nach etlichen Hördurchgängen nicht. Das mag aber unter Umständen auch daran liegen, dass ich vielleicht nicht unbedingt zur eigentlichen Zielgruppe der Band gehöre, denn wenn ich auf der Band-Homepage den 'Parental Advisory Explicit Lyrics' Hinweis sehe, bin ich wahrscheinlich doch schon ein paar Jährchen über das angepeilte Publikum hinaus und eher bei der Aufgabe diese 'Advisory' zu übernehmen angesiedelt. Ohne dabei zu vergessen, dass eine gewisse Lust an der Provokation auf jeden Fall dazu gehören darf, stelle ich mir aber hier (und nicht nur hier) immer wieder die Frage, wie weit diese Lust gehen kann, soll und darf.
Den Finger in die Wunde zu legen sollte Musikern nicht nur erlaubt sein, sondern auch zu ihren Aufgaben gehören. Auch heikle Themen 'anzusingen' kann durchaus ein Gütesiegel sein. Manchmal aber (und auch das nicht nur hier) habe ich den Eindruck, es ist ein regelrechter Wettstreit im Gange, wer noch einen draufsetzen kann.
Herzparasit spielt auf jeden Fall mit Grenzen und überschreitet für mein Empfinden dabei so manches Mal die der Sinnhaftigkeit. Wenn Blut fließt, kann das im richtigen Kontext durchaus Sinn machen. Auf "Fromme Lämmer" fließt reichlich Blut und Gift und nicht immer bin ich mir sicher, ob es das wirklich im Dienst einer Sache tut oder doch eher zum Selbstzweck wird. Dann zum Beispiel, wenn es in "Schmerz ist geil" heißt »Messer muss in das Fleisch,...Kugel muss in den Leib« oder in "Ein letzter Schnitt":
»Hört ihr seine Stimme, folgt seinem Ruf
Spürt ihr diese Macht, zieht mir durch die Nacht
Wollt ihr was verändern, greift nach dem Skalpell der Macht
Legt es an die Adern und fangt an zu schneiden.
Gott hat dich ausgelacht
Im Paradies ist kein Platz
Ein letzter Schnitt - Lass alles los
Nur noch ein Schnitt - Dann spürst du ihn, ja dann siehst du ihn
Ein letzter Schnitt - Lass alles hinter dir
Nur noch ein Stück - Dann fühlst du ihn, ja dann liebst du ihn«
Schneiden, ritzen, all das sind nicht unbedingt neue Phänomene, sie erfahren jedoch in den letzten Jahren gerade bei Jugendlichen einen regelrechten Boom. Ganz sarkastisch formuliert könnte man behaupten, was Burnout bei Erwachsenen, ist Borderline [eine Persönlichkeitsstörung, die u.a. mit selbstverletzendem Verhalten einhergehen kann] bei der Jugend.
Auch andere Musiker, z.B. Harry Schwarz haben sich dieses Themas schon angenommen und beschreiben zum Teil recht drastisch und unverblümt, wie sich das Schneiden auf einen Betroffenen auswirkt, ihm Erleichterung verschafft.
Doch ohne mein Unbehagen genau auf den Punkt bringen zu können, beschleicht mich hier das beklemmende Gefühl, dass es nicht darum geht zu sensibilisieren oder verarbeiten, sondern eine Verherrlichung oder vielleicht auch nur Kommerzialisierung nach dem Motto 'je ekliger, desto umsatzträchtiger' stattfindet.
Dabei ist es nicht eine einzelne Textstelle oder die Musik als solche, die meine Besorgnis schüren, sondern die Gesamtstimmung, die auf dem Album herrscht.
Um meiner 'Parental Advisory' nachzukommen, würde ich ganz sicher intensive Gespräche suchen, sollte sich eines meiner Kinder für dieses Album begeistern. (Glücklicherweise hören die rotzfrechen Punk Rock und ziemlich wüsten Metal.)
Ganz bestimmt wird kein psychisch stabiler Jugendlicher nur durch den Konsum dieser Mucke anfangen sich zu schneiden – bei anfälligen jungen Menschen sehe ich aber durchaus die Gefahr, dass vorhandene Tendenzen verstärkt werden können.
Es geht mir nicht darum, moralinsaures Geschwätz abzulassen, aber ich sehe eine Verantwortung der Künstler, die auch beinhaltet, manche Themen in gewisser Art und Weise zu behandeln oder vielleicht auch besser nicht. Schwierige Themen aufzugreifen finde ich auf keinen Fall verwerflich, wenn es mit der Intention geschieht, Bewusstsein zu schaffen, aufzuklären oder auch aufzuarbeiten. All das kann ich bei den Herzparasiten aber nicht erkennen.
Insofern kann ich es mir an dieser Stelle nicht verkneifen, die Frage nach der Ethik in der Musikindustrie in den Raum zu stellen, ganz besonders, da es sich nicht um eine bandeigene Kellerproduktion handelt, sondern das Sony Music Logo auf dem Booklet prangt.
Line-up:
Ric-Q (Gesang)
El Toro (Gitarre)
Ennio PG (Bass)
Mr. SM (Schlagzeug)
Tracklist |
01:Schwarzes Glas
02:Angst fängt dich
03:Alphatier
04:Dein Herz verliert
05:Blut will fließen
06:1000°
07:Rattenloch
08:Flaschengeist
09:Ein letzter Schnitt
10:Scharfer Schlaf
11:Giftschlange
12:Salz in meiner Wunde
13:Schmerz ist geil
14:Milch
15:Herzparasit
|
|
Externe Links:
|