Über Lust an der Provokation, Angst, Panik, Furcht und klaustrophobische Stimmungen
Im Gespräch Frome Lämmer?
Der Aspekt, ihre Musik könne bei labilen Jugendlichen unter Umständen böse Folgen haben, der in unserem Review aufgegriffen wurde, rief bei Herzparasit entschiedenen Widerspruch hervor.

Im Interview mit RockTimes klärt Sänger und Texter Ric-Q Winther auf, was seine Texte bedeuten sollen und wie weit die Lust an der Provokation seiner Meinung nach gehen darf.

Interview vom 14.05.2012


Sabine Feickert
RockTimes: Euer Auftreten und Eure Songs sind durchaus provokativ. Wie sehr ist die 'Lust an der Provokation' der Antrieb für Eure Lieder?
Herzparasit: Dazu muss ich erst mal etwas ausholen. Die Idee zu "Herzparasit" entstand in der Zeit, als wir auf der Schauspielschule ein eigenes Projekt auf die Beine stellen mussten. Ich habe mich für eine Art Tanztheater entschieden, das ich Dein Gift getauft habe.
Darauf kam ich, da sich meine Eltern, die letzten fünf Jahre ihrer Ehe, fast nur angeschwiegen haben und somit eine kalte, leere sprachlose Beziehung führten. Endlich nach fünf Jahren haben sie die dünne verbleibende Nabelschnur getrennt. Was hielt sie so lange zusammen? Sicherlich teilweise die Moral und auch die Vernunft. Aber viel mehr die Angst vorm Loslassen. Ich habe es symbolisiert durch ein Gift, was Menschen sich gegenseitig verabreichen um sich an einen anderen Menschen, an eine Situation, einen Gegenstand oder an einen Gedanken festzuklammern und nicht weg davon zu kommen. Herzparasit handelt von Angst, Entfremdung, Sprachlosigkeit, Vergänglichkeit. Nach der Zeit auf der Schauspielschule habe ich gemerkt, dass dieses Thema noch viel mehr hergibt und ich konkretisierte das Ganze durch den Gedanken eines Herzparasiten. Mensch, das war ja jetzt wieder harter psychischer Tobak und poetisch (lacht). Ich selber bin auch Herzparasit. Leider ein sehr großer, es ist schwer diesem Schweinehund entgegen zu treten. Ich versuche es jeden Tag auf's Neue. Oft leider erfolglos. Aber man muss loslassen und sich von Dingen, Menschen und Gedanken trennen können. Festsaugen ist oft tödlich. Durch diese Thematik ist man sehr schnell im Bereich von nachdenklichen, abgründigen, düsteren und mit Phobien besetzten Texten. Das in Kombination mit einer eigenwilligen, aber eigenständigen Optik, die dadurch hängen bleibt, provoziert sicherlich bei einigen Leuten. Vor allem, wenn sie den Hintergrund nicht wissen, den ich in jedem Interview widergebe. Beziehungsweise den man auf unser Homepage und auf den Fanseiten lesen kann.

Ein gewisses Maß an 'Provokationslust' haben wir sicherlich. Doch ja - fast jeder Rockmusiker (lacht). Meiner Meinung nach gehört eine gewisse Portion Provokation immer zur Rockmusik. Für uns ist es ein Teil der Maschinerie und ein Stilmittel. Aber ich glaube, so extrem provozieren wir nicht. Wir haben, wenn, dann mit ein paar Songs eine klare unverblümte Aussage getroffen, die viele Leute, sowohl Fans der Szene als auch Szenemusiker und Plattenfirmen recht aufrüttelt und 'schockiert'. Es wird sichtlich schwerer aus der Masse hervorzustechen und Aufmerksamkeit zu bekommen. Wir polarisieren eher sehr stark durch externe Einflüsse. Denn die einen hassen uns, weil sie finden, wir sind Zwitterklone von OOMPH! und Rammstein und können nichts Eigenes und die anderen lieben uns, weil wir doch einen eigenen Stil haben, sehr menschliche und durchaus sozialengagierte Musiker sind und vorhandene Einflüsse zugeben und ausweiten.
Die Leuten dürfen uns gerne hassen, das bringt meistens noch mehr Aufmerksamkeit (lacht). Aber liebe Hasser und Neider, bitte fair bleiben, Morddrohungen und Rufmord in gewissen Foren sind pfui und nebenbei strafbar.
Aber bei uns ist die Provokation eher von uns selber nicht so gefühlt bzw. vorher gemerkt. Wir haben unsere eigene Art, uns künstlerisch auszudrücken. Hat nichts damit zu tun wie und wer wir wirklich sind. Ein Thrillerautor ist ja auch kein Serienkiller oder ein Künstler, der ein Bild mit einem geschändeten Kind malt, ist nicht gleich ein Vergewaltiger. Als Beispiel haben wir erst als unser Albumcover fertig gestellt wurde, wirklich bewusst gemerkt, dass das Bild bei einigen, vor allem im streng katholischen Bayern eventuell als blasphemisch gesehen werden kann. Da El Toro (musikalischer Kopf von Herzparasit) und ich aber nicht klassisch gläubig sind, ist es für uns keine Gotteslästerung. Für uns stellt es einfach das Opferlamm in der Versinnbildlichung der heutigen heuchlerischen, feigen, menschenfeindlichen, zerstörerischen, panischen Gesellschaft dar.
Unser Debütalbum heißt "Fromme Lämmer". Dieser Titel beinhaltet für uns Folgendes: Nichts ist so, wie es scheint. Wer ist Täter und wer ist Opfer? Spielen wir vielleicht sogar oftmals bewusst das Opfer? Bzw. müssen wir das Opfer in dieser Welt spielen? Sind wir wie Opferlämmer? Oder sind wir doch die Mittäter und dafür verantwortlich, dass die Welt so ist wie sie ist? Da steckt wieder viel unser Grundthema drin: Angst, Panik, Furcht, klaustrophobische Stimmungen. Das war lang, aber musste sein (grinst).
RockTimes: Welche Beweggründe habt Ihr außerdem noch?
Herzparasit: An erster Stelle sicherlich sich durch Musik auszudrücken und mit eigenen Songs auf der Bühne zu stehen und Leute zu faszinieren und zu bewegen. Mit eigener Musik auf sich aufmerksam zu machen, aber viel mehr zu sehen was man mit Musik erreichen kann und dass man oft mit Texten in Kombination mit der Musik Menschen tief berührt und oftmals erstaunlicherweise in manchen schwierigen Stunden helfen kann. Das erstaunt mich auch immer wieder, wenn man Fanpost bzw. Fanmails bekommt, in der steht, wie sehr man jemanden mit einem Songtext 'geholfen' hat. Außerdem steckt bei uns wirklich extrem viel Herzblut drin. Sicher auch viel Herzparasitenblut (lacht).
In der Musik steckt sicherlich ganz klar viel von uns. Das ist aber nur eine Seite von uns. Jeder hat mehrere Gesichter und deshalb spielen wir natürlich Rollen auf der Bühne. Wir sind sozusagen Kunstfiguren, aber mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele. Man darf nicht zu viel von sich selbst preisgeben, sonst geht auch die 'Bühnenmagie' flöten. Dennoch sind wir eine extrem fannahe und sozialengagierte Band. Wir supporten u. a. Sandmänner e.V., eine Initiative gegen Kinderarmut oder machen uns für Antitierquälerei und Anti-Atom-Aktionen stark. Das sagen zwar viele, aber wir sind bei uns fest davon überzeugt und tun auch viel dafür. Die Texte die ich schreibe sind alle von dem Hauptkonzept von Herzparasit inspiriert. Sie tragen alle das Thema in sich: Angst ändert alles, Festkleben an gewohnten Strukturen, Angst vorm Loslassen, Angst vor Schmerz, Angst vor Einsamkeit, Angst vor dem was kommt, wenn ich etwas loslasse oder etwas Neues erlebe.
RockTimes: Ich greif mal diese Aussage raus:
»Herzparasit handelt von Angst, Entfremdung, Sprachlosigkeit, Vergänglichkeit.«
Mein Empfinden beim Hören war, dass solche Gefühle in der Musik zum Ausdruck gebracht werden, ja sogar hervorgerufen, bzw. verstärkt werden. Ich glaube nicht, dass jemand, der sich glücklich fühlt und in sich ruht, durch das Hören eurer Musik aus der Bahn geworfen wird oder sich davon auch nur besonders stark angesprochen fühlt.
Ich kann mir aber vorstellen, dass bei (jungen) Menschen, die diese Gefühle sowieso gerade stark verspüren, sich in einer schwierigen Situation befinden und vielleicht ohnehin labil sind, sich die Gefühle verstärken können. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Jugendlicher, der genau diese Angst und Einsamkeit in sich verspürt und sich in eurer Musik 'wiederfindet' dann so reflektiert vorgeht, dass er auf eurer Homepage und in Interviews recherchiert, was dahinter steckt. Mir fiel auf Anhieb eine Handvoll junger Leute ein, die ich – zumindest dann, wenn sie gerade mal wieder ziemlich mies drauf sind – nicht damit alleingelassen sehen wollte. Bei denen ich persönlich wirklich Befürchtungen hätte, dass sie zum Beispiel anfangen sich (wieder) zu schneiden.
Seid ihr auf diesen Gedanken gekommen, oder war/ist das für euch ein Aspekt, auf den ihr selbst nicht gekommen wärt, den ihr vielleicht auch für abwegig haltet?
Herzparasit: Abwegig mit Sicherheit nicht. Bisher kam es Gott sei dank nur einmal in den drei Jahren vor, das wir mitbekommen haben, dass sich jemand mit 'Hilfe' von unserer und anderer Musik in ein Loch fallen ließ und uns das per Internet mitteilte.
Was soll man in diesem Moment sagen? Grundsätzlich denke ich, dass Kunst Kunst sein soll. Sicher ist Kunst ein Katalysator und ein Sprachrohr und durchaus Auslöser für positive und auch negative Gefühle. Aber wenn ich mich nun hinsetzte und wie eine Maschine kontrolliert Texte schreibe mit dem Wissen, dass es eventuell falsch bei jemand ankommt, dann dürfte ich gar nichts mehr machen bzw. nur noch über Sonne und grüne Wiesen schreiben. Den Gedanken, nur noch eine bestimme Form zu erfüllen weil es irgendjemand so will, find ich unerträglich und würde mich sehr schnell krank machen. Mir meinen Texten therapiere ich mich ja selber (lacht).

Wir haben öfters in der Band die Lyrics besprochen und keiner hatte bisher Bedenken oder sonstige Probleme damit. Wir wissen, wie wir es meinen und was dahinter steckt. Im TV läuft heutzutage tagsüber so viel Dreck, Gewalt, Tod und Sex und auch im echten Leben werden auch die jungen Menschen unter uns täglich damit konfrontiert, da wirken wir wie Chorknaben. Wenn ich bei allem, was ich künstlerisch erschaffe, den kontrollierten Hintergedanken: »Achtung, das könnte jemand so und so verstehen und sich dann etwas antun« entstehen lasse, kann ich mir selber die Kugel geben und aufhören meine Seele sprechen zu lassen. Wer psychisch labil ist, sollte professionelle Hilfe bekommen und nicht in Musik versinken, wobei diese auch helfen kann.
Eltern, die ihre Kinder sich selber überlassen, ohne zu wissen welche Medien sie konsumieren, sollten sich mal in einen Elternkurs begeben. Ich finde es viel schlimmer, wenn Kids heutzutage in mehreren Internetforen gleichzeitig absolut angreifbar sind und somit Zielscheibe für Cybermobbing und Pädophile werden. Und noch dazu aus eigener Initiative freizügig über Sex kommunizieren. Stundenlang Killerspiele zocken, ohne dass die Eltern darauf achten, Mobbing in der Schule oder im Netz oder keinen Bezug zur Schule und zum Leben und dadurch unsoziales Verhalten zu entwickeln finde ich viel gefährlicher. Musik ist eventuell ein Mitauslöser aber nie Grund für etwas. Kontroverse und nachdenkliche Texte und dazu passende Musik können auch Menschen helfen aus einer schwierigen Situation rauszukommen, so wie wir es bei Herzparasit-Fans immer wieder mitbekommen.
Außerdem sehe ich in meinem Text keine ernsthafte Gefahr. Songs wie "Ein letzter Schnitt" oder "Schmerz ist geil" haben nichts mit Selbstverletzungsdrang oder Depressionen zu tun. Das wurde mehrfach auf unseren Seiten oder Videoblogs besprochen und wird auch bei genauerem Betrachten und Befassen mit den Texten klar. In "Ein letzter Schnitt" geht es um religiöse Attentäter und deren Vorstellung vom Paradies: »Brüder und Schwester holt die Schwerter raus, taucht sie in das heilige Wasser und zieht los. Sieht ihr diese Mauern, vor unserem heiligen Tor. Gott hat dich ausgelacht, im Paradies ist kein Platz. Ich habs euch doch gesagt, heute Nacht wird diese Welt untergehen. In der Hölle ist kein Platz für euch, im Paradies auch nicht mehr viel. Denn ich kann eure Seelen retten…«. In "Schmerz ist geil", geht es um den Amoklauf von Mike P. am Abend der Eröffnung des neuen Berliner Hauptbahnhofs: »Achtung Achtung Berlin. Der kleine Mikey sind nun vergiss und ihr wisst, dass ihn trotzdem keiner vermisst… Die Kugel muss in den Leib, Amoklaufen ist der neuste Hype. Ein junger Mensch und er sieht rot, um ihn herum ist gleich alles tot«. Das sind Themen, die mich sehr beschäftigen und leider echte Geschehnisse aus dem Leben sind und sehr gut zum 'Angst-Konzept' von Herzparasit passen. Das Problem des Falschinterpretierens bzw. des Nichtverständnisses haben sicherlich fast alle Autoren, Songtexter, Musiker oder allgemein Künstler. Ein weiser Mann hat mal gesagt »Kunst kann man nicht verstehen, man kann sie aber auch nicht missverstehen«.
RockTimes: Dass ihr wisst, wie ihr es meint und was dahinter steckt, glaube ich dir aufs Wort. Wenn ihr eure Lyrics auf euren Seiten und in Videoblogs erklärt, zeigt das doch aber auch, dass was ihr damit meint, nicht unbedingt offensichtlich oder die einzige Deutungsmöglichkeit ist, denn sonst wäre der Erklärungsbedarf doch gar nicht da. Wenn man selbst tief in einem Projekt drinsteckt, legt man zwangsläufig irgendwann eine gewisse 'Betriebsblindheit' an den Tag. Holt ihr euch irgendwann im Schaffensprozess auch kritische Meinungen von Außenstehenden ein? Macht das Label (das ich persönlich an dieser Stelle eigentlich in der Pflicht sehe) das?
Herzparasit: Auf der eigenen Bandseite seine Bandgeschichte zu erklären halte ich für selbstverständlich. Die Videoblogs über die Songs haben wir nur auf Wunsch von ein paar Fans erstellt, die meine Interpretation der Texte gerne wissen wollten. Kritik ist sicherlich für die Produktion einer CD wichtig und da hören wir uns auch um unter Musikerkollegen. Es soll auch soundtechnisch so gut, wie es uns möglich ist, sein.
Du bist, wenn ich ehrlich bin, die allererste die nach fast vier Jahren Bandgeschichte die Texte kritisiert bzw. mich darüber doch sehr ausquetscht und nach über 50 Interviews für Print, TV- und Radiomagazine (auch teilweise sehr große und bekannte darunter) weiß man ungefähr was Journalisten bewegt und interessiert. Aber da Du viel mit Kids arbeitest, hast Du sicher einen anderen Blick. Aber wir sind eine Szeneband, die nicht nur durchaus gängige Klischees bedient, sondern auch ein Klientel anspricht das so eine Art von Musik und Texte hören will und normalerweise auch gewohnt ist. Uns hören momentan vorrangig Leute aus der Szene, die sonst noch viel krasseres Zeug hören. Denn sonst kennen uns noch wenige.
Unser Label Echozone sagt da nichts. Sie sind nicht nur ein sehr offenes, sondern auch ein Szenelabel, das ausschließlich Bands aus der Dark Rock-, Industrial-, Dark Metal-Szene unter Vertrag hat. Da sind solche Themen nicht nur normal, sondern schon eher 'Standardware'. Und auch da sind wir eher wie "Fromme Lämmer", wenn man sich so manch andere Musikerkollegen vom Label ansieht. Für das Label ist das, was wir machen gut so, da wir dadurch sicherlich einen gewissen Wiedererkennungswert haben weil es bissig ist, aber wir sind in der Masse der anderen Szene- bzw Labelbands wiederum nicht zu krass. Eher im Gegenteil. Mit den Song "Rattenloch" fallen wir eher auf. Weil wir da als eine der wenige Bands dem beschissenen, geldgeilen und verlogenen Musikbusiness den Spiegel vorhalten. Oder bei "Scharfer Schlaf" über 'Band-Schubladendenken' und Konkurrenzkämpfen unter Musikern erzählen. Das so direkt auszusprechen trauen sich wenige Bands. Diese Seite sollte man an uns auch sehen.
RockTimes: Um das klarzustellen – es ging mir nicht nur um die Texte allein, sondern um die Gesamtatmosphäre, die Text und Musik im Zusammenspiel (bei mir – das kann ja auch sehr subjektiv sein) erzeugen. Auch wenn andere Bands vielleicht vordergründig brutalere Lyrics haben oder noch düsterere Songs, war für mich die vermittelte Stimmung schon noch etwas extremer als genreüblich.
RockTimes bietet den Freiraum auch mal solche Aspekte aufgreifen zu können und von dem, was Musikjournalisten üblicherweise schreiben oder wissen wollen, abzuweichen.
Ric-Q, vielen Dank für deine ausführlichen Antworten und die Bereitschaft, dich auf die - sicher nicht bequemen - Fragen einzulassen. Falls du noch etwas ergänzen oder noch abschließende Worte an unsere Leser richten möchtest, kannst du das jetzt gern noch tun.
Herzparasit: Merci für das Interview, und an alle Leser: "Lass Euch vergiften" (sic!)
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