Jimi Hendrix / Sky High
Sky High Spielzeit: 43:15
Medium: LP
Label: Skydog, 1972
Stil: Blues


Review vom 10.09.2011


Jürgen Hauß
Jimi Hendrix, einer der begnadetsten Gitarristen, den die Welt jemals erlebt hat, hatte gerade einmal fünf Langspielplatten veröffentlicht, als da waren "Are You Experienced" (1967), "Axis, Bold As Love (1967), "Smash Hits" (1968), "Electric Ladyland" (1969) sowie "Band Of Gypsys" (1970), als er am 18. September 1970 in einem Londoner Hotel verstarb. »Von der Musikindustrie wurde der Hendrix-Mythos posthum skrupellos vermarktet. Zahlreiche Plattenfirmen veröffentlichten beinahe jede irgendwann einmal aufgenommene Note des Gitarristen, war sie auch noch so uninspiriert gespielt und noch so dilettantisch konserviert.« So steht es schon in der ersten Auflage des im Jahr 1973 bei rororo erschienenen Rock-Lexikons, das bereits zu diesem Zeitpunkt - kaum drei Jahre nach dem Tod von Jimi Hendrix - eine kaum überschaubare Discographie auflistet. Die Liste der aktuellen Auflage des zitierten Lexikons ist deutlich länger, obwohl sie nur noch Auszüge wiedergibt.
Phononet veröffentlicht auf seiner Internetseite aktuell 220 (!) Veröffentlichungen, die Hendrix zugeschrieben werden. Inwieweit es sich dabei auch um Mehrfachnennungen handelt, mag dahingestellt bleiben. Ich habe nicht die Absicht, in detektivischer Akribie aufzulisten, wie viele Schallplatten/CDs mit unterschiedlichem Material (aus welcher Quelle auch immer) von Jimi Hendrix veröffentlicht worden sind. Vielfach ist es jedenfalls die (gefühlt) hunderttausendste Wiederveröffentlichung eines in nur wenigen Jahren eingespielten Back-Kataloges.
Was mich jedoch ärgert ist, dass unter den unzähligen Re-Issues, die in den vergangenen fast dreißig Jahren seit Einführung der CD auf den Markt gekommen sind, eine LP, die ich seit nahezu vierzig Jahren in meinem Besitz habe, nie dabei gewesen ist. Es handelt sich um eine Scheibe, die unter dem Titel "Sky High" im Jahr 1972 'auf den Markt' gekommen ist.
Der Begriff 'auf den Markt gekommen' ist in der Tat mit Vorsicht zu gebrauchen, denn seinerzeit handelte es sich um eine sog. Bootleg-Aufnahme, sprich: eine nicht-autorisierte Aufnahme, die - so heißt es auf der Plattenhülle - während einer spontanen Jam-Session im Jahr 1970 entstanden ist. Mit dabei waren - neben Jimi Hendrix - auf jeden Fall Jim Morrison (vocals & drums), Mitch Mitchell (drums) und Noel Redding (bass). Auf meiner LP-Version - sowie in zahlreichen Veröffentlichungen - wird zudem noch Johnny Winter als weiterer Lead-Gitarrist angegeben, doch hat dieser in einem Interview bestritten, bei besagter Jam-Session dabei gewesen zu sein (vielleicht kann oder will er sich auch nicht mehr daran erinnern). Ich vermag jedenfalls seinen typischen Gitarren-Stil nicht eindeutig zu identifizieren. Sei's drum!
Sky HighDas Cover ziert ein Totenkopf mit Hendrix-typischer Frisur und Stirnband. Meine LP-Hülle ist durchgängig in schwarzweiß gehalten, was m.E. wesentlich besser wirkt als die im Internet gefundene farbige Abbildung; diese hat den Charme eines nachcolorierten Westernfilms. Ansonsten ist die Aufmachung professionell: Angabe von Aufnahmeort und -jahr, Plattenfirma etc.; auf der Rückseite zudem zwei Zeichnungen der Hauptprotagonisten. Die Track-List umfasst gerade einmal vier Titel; die Gesamtlaufzeit der Scheibe mit rd. 43:15 Minuten deutet aber bereits auf die Jam-Session-typische Ausweitung jedes einzelnen Songs hin.
Die aufheulende Gitarre, mit der "Peoples, People, People" beginnt, identifiziert den Track sofort als Jimi Hendrix-Song, der auch den Gesang anstimmt. Die im Hintergrund vernehmbare Harp - wenn nicht noch jemand Unbekanntes mitgewirkt hat, sicherlich von Jim Morrison geblasen - zeigt den Jam-Charakter der Einspielung; eigentlich spielt jeder so vor sich hin, in der Addition der einzelnen Beiträge wird ein Gesamtwerk daraus. Auch der Beitrag von Noel Redding am Bass wird im Verlaufe des Songs deutlich wahrnehmbarer, während Mitch Mitchell die ganze Zeit im Hintergrund durchtrommelt. Zum Schluss übernimmt schließlich Jim Morrison selbst die Lead-Vocals.
Das Stück scheint übergangslos in den Cream-Klassiker "Sunshine Of Your Love" (so jedenfalls ist der Track auf der vorliegenden LP betitelt; unter dem Titel "Morrison's Lament" soll er zudem auf einer weiteren Bootleg-LP mit dem Titel "Woke Up This Morning And Found Myself Dead" - auf der auch "Sunshine Of Your Love" erschienen ist und die zwischenzeitlich als CD erhältlich ist - veröffentlicht worden sein) überzugehen, den mit Abstand längsten Song der Scheibe mit einer Spielzeit von fast 17 Minuten.
Zunächst schreit Jim Morrison eines seiner 'poetischen Werke' (andere Rezensenten sprechen von »obszönen Texten«) in den Raum, bis Jimi Hendrix das Kommando übernimmt, Jim Morrison ankündigt und ihm ein besseres Mikrophon anbietet. Zudem dauert es bis zu diesem Moment nach fast zwei Minuten, bis der Titel - wenn überhaupt - in Ansätzen erkennbar wird; zuvor ist das Ganze wirklich nur ein Gejamme, das sicherlich unter dem massiven Einfluss bewusstseinserweiternder Substanzen zustande gekommen ist (und wahrscheinlich auch nur unter deren Einfluss heute wirklich zu genießen wäre!). Dann, nach etwa 3:50 Minuten Spielzeit, ein abrupter Bruch: Es scheint fast so, dass die Jam-Session in diesem Fall aus verschiedenen Einspielungen zusammengesetzt worden ist - zu groß ist der stilistische Wechsel. Vokalistisch bleibt das Ganze bei einem - vornehm ausgedrückt - 'Rumgelalle'; instrumental bleibt wenigstens die musikalische Struktur des Songs durch ein ständig wiederholtes Gitarren-Riff erkennbar. M.E. ist hier auch eine zweite Gitarre im Einsatz - von wem auch immer gespielt (s.o.). Ebenfalls dürfte sich hier Jim Morrison an einem weiteren Schlagzeug vergriffen haben, so vehement, wie in diesem Part die Felle strapaziert werden. Aber erst nach fast 15 Minuten Spielzeit wird das klassische "Sunshine Of Your Love"-Riff durch den Bass deutlich vernehmbar intoniert; bis dahin bestand die Aufnahme aus der ständigen Wiederholung eines anderen Gitarren-Riffs. Und dann ist dieses Stück relativ bald am Ende bzw. wird die Session ziemlich schnell ausgeblendet.
Demgegenüber stellt "Red House" eine klassische Jimi Hendrix-Interpretation dar, die lediglich aufgrund ihrer Länge den Jam-Charakter deutlich werden lässt. Und auch "I'm Gonna Leave This Town" - wiederum mit Harp-Begleitung - ist als geradezu melodiös zu bezeichnen.
Technisch ist die gesamte Aufnahme alles andere als brillant. Ständig wechselnde Lautstärken bzw. Nebengeräusche sowie Klangfärbungen gestalten das Hören durchaus anstrengend. Vor diesem Hintergrund verzichte ich darauf, das Review unter der Rubrik 'Vergessene Perlen' zu veröffentlichen, sondern möchte die Leser lediglich auf eine 'Zeitreise' mitnehmen. Dennoch wäre eine Veröffentlichung auf CD durchaus gerechtfertigt. Neben neuesten Techniken, die die Aufnahmen sicherlich 'hörbarer' gestalten könnten, dürften aber in erster Linie musikhistorische Gründe dafür entscheidend sein, spielen doch hier zwei der seinerzeit exaltiertesten Künstler zusammen, die später zu den 'Gründungsmitgliedern' des 'Club 27' gezählt wurden.
Natürlich habe ich mittlerweile eine CD-Version von "Sky High". Dabei handelt es sich allerdings lediglich um eine digitalisierte Version meiner - mittlerweile uralten - LP, die natürlich die in jahrelangen Abhöraktionen erworbenen Kratzer nicht verleugnen kann. Möge mich dieser Artikel (wie in anderem Zusammenhang geschehen, siehe den dortigen Nachtrag) zu neuen Informationen führen, dass "Sky High" doch mittlerweile auf CD und in ansprechender Qualität veröffentlicht wurde.
Line-up:
Jimi Hendrix (lead guitars, vocals)
Jim Morrison (vocals, drums)
Mitch Mitchell (drums)
Noel Redding (bass)
Johnny Winter (lead guitars [strittig])
Tracklist
01:Peoples, People, People (8:35)
02:Sunshine Of Your Love (16:58)
03:Red House (9:21)
04:I'm Gonna Leave This Town (8:17)
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