Canned Heat / Refried Boogie
von der DoLP Living The Blues
Living The Blues Spielzeit: 40:51
Medium: LP
Label: Liberty, 1968
Stil: Blues'n'Boogie


Review vom 23.10.2008


Jürgen Hauß
Seitdem ich Anfang der 70er Jahre in den Besitz der Doppel-LP "Living The Blues" der Blues Rock-Band Canned Heat gekommen war, gehörte sie zu den meistgehörten und bestgehüteten Alben meiner Schallplattensammlung, bis sie Ende der 90er Jahre unglücklicherweise einer 'Ich-muss-mich-endlich-mal-von-meinen-ganzen-alten-Schallplatten-trennen-Aktion' zum Opfer gefallen ist.
Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich die Platte regelmäßig - aber nur, wenn meine Eltern nicht zuhause waren - auf deren 'Schneewittchensarg'-Plattenspieler von Braun abspielte, bis ich endlich einen eigenen Plattenspieler und insbesondere - zur Wahrung des Familienfriedens - einen Kopfhörer bekam. Fasziniert war ich insbesondere von dem über 40-minütigen Opus "Refried Boogie", worum es im Folgenden gehen soll (eine ausführliche Darstellung über Canned Heat und das Gesamtwerk der Band findet sich in dem Beitrag von Jürgen Bauerochse vom 7. Januar 2007).
Vorweg geschickt: Ich bin begeisterter Fan von überlangen - insbesondere live gespielten - Songs, in denen sich die Musiker 'mal so richtig austoben' und ihr gesamtes Improvisationsvermögen präsentieren können, wie beispielsweise die Live-Version von "Get Ready" (23:33) von Rare Earth auf dem Album "In Concert" aus dem Jahr 1971, selbstverständlich auch "In-A-Gadda-Da-Vida" von Iron Butterfly (17:05; in der veröffentlichten Live-Version sogar 18:51); aus jüngster Zeit auch "Voodoo Child" der Henrik Freischlader Band auf ihrer aktuellen Live-CD (17:31).
Und eben gerade auch der angesprochene "Refried Boogie" aus dem Jahr 1968. Der Song ist eine Weiterentwicklung des im selben Jahr auf dem Album "Boogie With Canned Heat" veröffentlichten "Fried Hockey Boogie", der mit einer Spielzeit von über 11 Minuten ebenfalls als 'Dauerläufer' zu bewerten ist. Möglicherweise ist diese Wiederverwertung auch Grund für den Titel "Refried Boogie", da das ursprüngliche Stück nochmals 'aufgebacken' wird. Wieso demgegenüber "Hockey" aus dem Titel verbannt worden ist, ist mir nicht bekannt. Auch wenn als Komponisten des "Fried Hockey Boogie" bzw. des "Refried Boogie" Mitglieder von Canned Heat benannt sind, ist jedoch eindeutig, dass die Nummer auf einem Thema von John Lee Hooker basiert, das dieser in seinem "Boogie Chillin'" verwendet hat, was auch durch ein während des Songs von Canned Heat eingebrachtes Zitat dieses Titels (9:15) bestätigt wird. Genau genommen basiert alles auf der ständigen Wiederholung eines relativ monotonen, aus den drei Akkorden A, C und D bestehenden Riffs. In seiner Simplizität ist es so genial, dass es Ursprung für eine Reihe weiterer Songs geworden ist, so z.B. für "La Grange" von ZZ Top und "Spirit In The Sky" von Norman Greenbaum.
Dass es Canned Heat gelingt, das Thema in einer über 41 Minuten dauernden Jam-Session zu bearbeiten, ohne dass es irgendwie langweilig wird, zeugt schon von einer gewissen Genialität. Kritiker meinen allerdings, dass dieser Song nur Ergebnis von Drogenexzessen und auch nur im Vollrausch zu ertragen sei.
Knapp drei Minuten bearbeiten lediglich die Saiteninstrumente das Thema, ehe mit dem Einsatz von Drums und Vocals Stimmung in die Bude kommt. Nach gut sechs Minuten wird es etwas rockiger, ab 10:15 beginnt ein fast sechsminütiges Bass-Solo, das nach einer gesanglichen Überleitung für über 11 Minuten von der Solo-Gitarre abgelöst wird. Das anschließende - fast schon obligatorische - Drum-Solo erstreckt sich über mehr als neun Minuten, womit sich Fito De La Parra in Konkurrenz mit Ron Bushy von Iron Butterfly getrost um den Titel des ersten bzw. längsten Drum-Solos bewerben kann. Rockig kommt die gesamte Band anschließend wieder zusammen, und dann, dann ist der Song - endlich (?) - zu Ende, ohne dass die die Musik von Canned Heat ansonsten so prägende Blues-Harp irgendwann zum Einsatz gekommen wäre.
Jedenfalls improvisierte die Band so lange, dass die Aufnahme seinerzeit - der mangelnden Speicherkapazität einer LP-Seite geschuldet - mitten im Gitarrensolo in "Part 1" und "Part 2" aufgeteilt und auf zwei Plattenseiten gepresst werden musste. So beeilte ich mich früher jedes Mal mit dem 'Seitenwechsel', um die Nummer so durchgängig wie möglich zu hören. Später nahm ich die Platte außerdem auf meinem 4-Spur-Tonbandgerät (!) von Philips auf; doch auch die unmittelbare Fortsetzung der Aufnahme konnte nicht vermeiden, dass die bei der Pressung der LP vorgenommenen Aus- bzw. Einblendungen der Musik wahrnehmbar blieben - nur der 'Seitenwechsel' entfiel.
Als im Zuge der Durchsetzung des Mediums CD mehr und mehr auch alte Backkataloge auf die Silberlinge gepresst wurden, wartete ich lange Zeit vergeblich auf die Wiederveröffentlichung von "Living The Blues"; auf diversen Samplern von Canned Heat war jedenfalls der "Refried Boogie" nicht erhältlich. Umso überraschter war ich, als ich vor ca. fünf Jahren im Internet auf eine digitalisierte Version dieses Songs stieß, wusste ich doch nicht, aus welcher Quelle sie stammte. Die Freude wich jedoch schnell einer gewissen Enttäuschung, als ich feststellen musste, dass nach gut der Hälfte der einheitlichen Musik-Datei wiederum die beschriebene Aus- und Einblendung zu hören war. Vermutlich hatte hier jemand seine alte LP digitalisiert.
Kürzlich entdeckte ich in dem Plattenladen meines Vertrauens - Mr. Music in Bonn, der auch jenseits der 'TOP 100' und insbesondere auch im Bereich Blues überaus gut sortiert ist - die CD-Version von "Living The Blues", die allerdings - wie ich mittlerweile weiß - bereits seit dem Jahr 2003 auf dem Markt ist. Eine weitere Recherche hat zudem ergeben, dass es wohl auch schon - von mir unbemerkt geblieben - vorher entsprechende CD-Veröffentlichungen gegeben hat. Beim sofortigen Reinhören musste ich aber wiederum erkennen, dass auch hier der "Refried Boogie" nicht durchgängig zu hören, sondern auch technisch in zwei Titel geteilt ist. Offenbar stammt also auch diese Wiederveröffentlichung nicht von der Originalaufnahme selbst, sondern vielmehr von einem der LP-Pressung zugrundeliegenden Masterband, und war wohl auch Grundlage der seinerzeit im Internet gefundenen Datei. Lediglich das leidige Umdrehen der Scheibe entfällt beim Hören der CD. Mittlerweile stört mich dieser klangliche Effekt allerdings nicht mehr allzu sehr, denn mit zunehmendem Alter muss ich feststellen, dass ich mehr und mehr Wert darauf lege, alte Songs heute so zu hören, wie ich sie früher gehört und verinnerlicht habe, also durchaus auch mit den früheren 'Fehlern', so dass ich noch unmittelbarer an 'the good old times' erinnert werde. Dazu gehört auch, dass die vorliegende CD-Ausgabe nicht digital remastert oder ansonsten irgendwie klanglich verbessert wurde; heutigen Ansprüchen an Klangqualität wird sie jedenfalls nicht gerecht.
Neben "Living The Blues" entdeckte ich bei besagtem Besuch bei Mr. Music noch eine weitere, erst im August diesen Jahres veröffentlichte Doppel-CD von Canned Heat, "Live in Concert", deren beide Scheiben jeweils mit "Live At The Kaleidoscope" bzw. "Greatest Hits Live Down Under" betitelt sind. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Neuaufnahmen der immer noch aktiven Band, sondern um zwei Konzerte aus den Jahren 1969 bzw. 1981, die unter diversen Titeln (u.a. "Live At Topanga" bzw. "Live in OZ" sowie "The Boogie Assault: Live In Australia") und von unterschiedlichen Plattenfirmen schon mehrfach auf CD wiederveröffentlicht worden sind (Ausführlich beschrieben im Review von Jürgen Berking).
Grundsätzlich habe ich wenig Verständnis für die Praxis der Plattenfirmen, den Backkatalog von Musikern immer und immer wieder neu zu verwerten, ohne dass es für den Käufer zu einem messbaren 'Mehr-Wert' kommt (s. mein Review zu Foreigner,
No End In Sight - The Very Best Of Foreigner). Dennoch muss ich vorliegend konzedieren, dass ich es nur diesem Umstand zu verdanken habe, auf diese alten Konzertmitschnitte aufmerksam geworden zu sein; insofern habe ich persönlich durchaus den geforderten 'Mehr-Wert' durch die Wiederveröffentlichung. Dieser liegt insbesondere darin, dass ich auf eine weitere Bearbeitung des "Fried Hockey Boogie" durch Canned Heat, nämlich den "Refried Hockey Boogie" gestoßen bin, den die Band auf ihrer Australien-Tournee im Jahr 1981 dargeboten hat. Mit einer Laufzeit von 23:12 Minuten handelt es sich bei der Aufnahme um eine 'extended version' des ursprünglichen "Fried Hockey Boogie" bzw. um eine 'short version' des seinerzeitigen "Refried Boogie", was vielleicht auch die Kombination der beiden Songtitel erklärt. Auch bei diesem Auftritt kommen die einzelnen Musiker wieder zu langen und eindrucksvollen Solo-Einlagen - im Übrigen einschließlich Ricky Kellogg mit seiner Blues-Harp.
Das aus meiner Sicht Besondere an diesem Auftritt von Canned Heat - wodurch sich für mich auch der Kreis in die heutige Zeit schließt - ist, dass die Band während des "Refried Hockey Boogie" ihren neuen Gitarristen vorstellt, nämlich keinen anderen als den damals bereits 30-jährigen
Walter Trout, der allerdings - ausweislich der von Jürgen Bauerochse aufgelisteten zahlreichen Line-ups der Band - offenbar nur kurzfristig zur Crew gehörte - nach eigenen Angaben bis zum Jahr 1984. Dieser Ausnahmegitarrist, den ich allerdings - wie ich zu meiner Schande gestehen muss - erst seit seinem Album Full Circle aus dem Jahr 2006 kenne, legt im "Refried Hockey Boogie" nicht nur faszinierende Soli hin, sondern es gelingt ihm auch - offenbar als Reminiszenz an den Ort des Auftritts - Teile der australischen Nationalhymne zu integrieren - allerdings nicht die offizielle Hymne, sondern vielmehr das in einer diesbezüglichen Urabstimmung unterlegene, aber 'down under' immer noch gern gesungene "Waltzing Mathilda", was vom Publikum nach anfänglicher Überraschung mit wohlwollendem Applaus aufgenommen wird.
Mehr als wohlwollenden Applaus wird Walter Trout sicherlich auf seiner aktuellen Tournee quer durch Europa einschließlich zahlreicher Auftritte in Deutschland erhalten; von mir ganz sicher am 19. November 2008 in der Harmonie in Bonn - vielleicht ja auch für einen "Refried Boogie"?
Bis dahin: Don't forget to boogie!
Nachtrag, 21. Februar 2009:
In dem oben stehenden Beitrag habe ich einerseits bemängelt, dass der "Refried Boogie" auf CD nur in einer zweigeteilten Version entsprechend der ursprünglichen LP-Veröffentlichung erhältlich ist, andererseits aber auch erklärt, dass ich das damit verbundene Aus- und Einblenden der Musik in der Songmitte heute vermissen würde, gäbe es eine "Originalversion" des Songs.
In beiden Punkten muss ich mich heute revidieren. Vor kurzem erhielt ich aufgrund meines Review in RockTimes die Info eines Lesers, dass es eine französische Ausgabe der DoCD "Living The Blues" gäbe, für deren Pressung offenbar das Original Master-Band zugrunde gelegen habe. Tatsächlich hat das französische Label Magic Records bereits vor 10 Jahren das Album in einer remasterten Version als schöne DoCD im Digipack herausgebracht; die Scheibe ist über das Internet dort noch erhältlich - allerdings insbesondere wegen der verlangten Versandkosten relativ teuer. Auf der Seite findet man jedoch keinerlei Hinweis auf die Besonderheit der Pressung - mit der kleinen Ausnahme, dass für die zweite CD lediglich ein Titel, "Refried Boogie - Part 1 & 2", angegeben ist. Aber auch dies spricht eher gegen eine durchgängige Version.

Doch tatsächlich: Der "Refried Boogie" - insbesondere das ansonsten unterbrochene Gitarrensolo in der Mitte des Songs - kommt ohne besagte Unterbrechung aus den Lautsprechern, und das in einer Klangqualität, wie sie kaum zu erwarten war. Die Leute, die sich an's Remastern gemacht haben, verstehen offensichtlich ihr Handwerk. Zweifel dahingehend, ob im Rahmen dieser Bearbeitung auch 'einfach' das Aus- und Einblenden digital rückgängig gemacht wurde, kommen auch bei genauem Hinhören nicht auf. Die fragliche Sequenz enthält keinerlei Aussetzer, Lücken, Taktfehler oder sonstige Abnormalitäten.
Und nach mehrmaligem Hören dieser Scheibe muss ich auch den zweiten Teil meiner eingangs wiederholten Aussage zurücknehmen: Ich möchte gar keine andere Version des "Refried Boogie" als die vorliegende mehr hören. Jetzt endlich ertönt er in seiner vollen Schönheit.

Abschließend kann Ich mich nur bei Martin aus Bonn bedanken, der mir zu dieser Erkenntnis verholfen hat und mich außerdem auf eine weitere Version des "Refried Boogie", den sog. "Kaleidoheat Boogie", eine Live-Aufnahme aus dem Jahr 1969, aufmerksam gemacht hat.
Line-up:
Bob Hite (vocals, blues-harp)
Al Wilson (vocals, harp, guitar)
Larry Taylor (bass)
Henry Vestine (guitar)
Fito De La Parra (drums)
Externe Links: