Seit ich im vergangenen Jahr erstmals auf die Jam-Rocker von Gov't Mule aufmerksam geworden bin, bin ich zu einem leidenschaftlichen Sammler jedweden Ton- und Bildmaterials mutiert, das aus dem Dunstkreis des Frontmanns Warren Haynes stammt, insbesondere also auf das Œuvre dieser Band selbst. Leider gab es in der jüngsten Vergangenheit mit Ausnahme von im Internet verfügbaren Ton-Dokumenten diverser Auftritte der Band (u.a. von dem schon traditionellen Silvesterkonzert) nichts Neues (allerdings ist aktuell den News auf RockTimes zu entnehmen, dass die Band gerade wieder ins Studio gegangen ist - das lässt ja hoffen!). Aber auch Haynes'sche Nebenprojekte wie seine Mitgliedschaft in der Allman Brothers Band sind genauso beachtenswert wie sein Wandeln auf Solo-Pfaden. Warren Haynes ist halt rastlos, ein "Man In Motion", wie er auch seine letzte Solo-CD vor gerade einem Jahr betitelt hat.
Um eines vorweg zu nehmen: Wer Warren Haynes bislang möglicherweise nur als Solo-Künstler wahrgenommen hat bzw. insbesondere seine Solo-Produktionen "Live At Bonnaroo" oder "The Lone E.P." wegen des eher getragenen, überwiegend akustisch interpretierten Stils mag, ist hier völlig fehl am Platz. Was hier dargeboten wird, ist laut, ist Soul, viel Funk (allein schon durch den vielfachen 'Gebläse'-Einsatz), viel Jam, und einfach viel 'Leben'! Und das - auch dies möchte ich vorweg nehmen - vom Allerfeinsten und ohne stilistische Scheuklappen.
Die Tatsache, dass Warren hier nicht allein musiziert, wird dadurch unterstrichen, dass als Interpret die Warren Haynes Band genannt ist; der Protagonist sieht sich lediglich als Namensgeber Gleichgestellter - auch wenn er sicherlich der 'primus inter pares' ist! Was er und seine Mannen (Gender-widrig einschließlich Alecia Chakour) hier darbieten, ist allererste Sahne. Alle Musiker sprühen nur so vor Energie. Und dazwischen - wie ein Fels in der Brandung - der Protagonist mit geschätzten (?) kg Lebendgewicht, der dennoch immer wieder durch Gitarrenfrickelei vom Allerfeinsten glänzt. Dazu Songkompositionen von musikalischer Vielfalt, die den Hörer/Seher zwischen Gänsehaut-Feeling und Abrocken-Wollen hin und her schwanken lässt.
Das vorliegende Album dokumentiert einen Auftritt von Warren Haynes im vergangenen Oktober im Moody Theater (die deutsche Schreibweise ist tatsächlich richtig!) in Austin, Texas. Herausgekommen ist dabei eine randvolle Doppel-CD, der eine quasi-identische Free-DVD (so die Angabe auf der Hülle) beigefügt ist. In der Tat kann man die DVD als kostenlose Zugabe bewerten, da das gesamte Album aktuell vereinzelt zu einem Preis angeboten wird, der sogar unter dem üblichen für eine einzelne CD zu berappen ist!
Die Nähe zu dem vorausgegangenen Studio-Album ist zwangsläufig; bis auf einen Titel von "Man In Motion" (es fehlt der dortige wunderschöne, Piano-getragene Schluss-Song "Save Me" - wahrscheinlich ist er für ein Live-Konzert zu ruhig!) sind alle hier mit dabei. Ansonsten gibt es selbstverständlich einige wenige Gov't Mule-Klassiker - allen voran das von der Band praktisch immer gespielte "Soulshine" (obwohl das genau genommen eine Nummer ist, die Warren Haynes vor 18 Jahren für die Allman Brothers Band komponiert hat) - sowie einige bemerkenswerte Cover-Versionen.
Die DVD beginnt mit einem ouvertürenhaft dargebotenen Intro, in dem sämtliche Band-Mitglieder sich auch solistisch bereits vorstellen können. Doch die 'Nur-CD-Hörer' brauchen sich wegen dieses 'Minus' nicht zu grämen: dasselbe Stück wird gegen Ende des Konzerts als "WHB Intro" nochmals dargeboten mit dem einzigen Unterschied, dass dort auch die Musiker noch namentlich vorgestellt werden.
Richtig los geht es - wie auf der Studio-CD - mit "Man In Motion" und "River's Gonna Rise", und man spürt sofort den Unterschied, den insbesondere das 'Gebläse' live erzeugt: Während auf der Studio-CD Bläser-Einsatz eher vereinzelt vorkommt und daher gedämpfter und mehr im Hintergrund wahrgenommen wird, ist er auf der Bühne nicht zu verleugnen. Ron Holloway, der auf "Man In Motion" noch als Gastmusiker präsentiert wurde, wird hier auf der Bühne mehrmals unterstützt von den sagenhaften Grooveline Horns. Aber selbst wenn diese nicht mit von der Partie sind, bläst Ron Holloway dem Zuschauer/-hörer ein Saxophon um die Ohren, dass es eine wahre Freude ist. Beispielhaft sei hier nur der 'Longplayer' "On A Real Lonely Night" genannt, wo er sich insbesondere mit Warren Haynes sowie dem Keyboarder Nigel Hall die solistischen Bälle nur so hin und her spielt - das ist ein Erlebnis! Abschließend ein Haynes-typisches »Thank you«, bei dem das »you« so hochgezogen wird.
Nach dem etwas langsameren "Power & The Glory" (nur auf der DVD) folgt mit "Invisible" der längste Song des Konzerts, bei dem wiederum der Pianist (ganz bewusst verwende ich den deutschen Begriff, da Nigel Hall hier auf dem [E-]Piano musiziert) durch längere Improvisationen besonderer Erwähnung wert ist. Wie jedoch der Saxophonist und der Gitarrist phasenweise die Melodie des Songs zweistimmig daherspielen, erinnert stark an die frühen Allman Brothers. Und dann streift Haynes noch das Metallröhrchen über, allerdings nicht, um im klassischen Sinne zu sliden; vielmehr erzeugt er zunächst - parallel zu einem 'Drum-Gewitter' - sphärenhafte Klänge. Der ganze Song ist großes Kino! Die am Ende angekündigte Pause hat die Band wahrlich verdient!
Mit frischem Hemd gewandet, kündigt Warren Haynes nach der Pause wiederum die Grooveline Horns sowie den Keyboarder Ian McLagan (Ex- Small Faces bzw. Faces) an, und das dargebotene "Take A Bullet" rockt so richtig daher. Und als Warren Haynes anschließend die rote Gibson E 335 überhängt, mit der er sich auf dem Cover von "Man In Motion" präsentiert, wird klar, dass weitere Songs dieses Albums folgen: "Hattisburg Hustle" und "Everyday Will Be Like A Holiday" (wobei der Titel gegenüber der Studio-CD leicht abgewandelt ist) kann man beide mit einem gewissen Wohlwollen als Balladen beschreiben.
Während damit die erste CD endet, geht es auf der DVD unterbrechungsfrei sowie auf der zweiten CD mit einem Song der letzten Studio-CD von Gov't Mule, "By A Thread" aus dem Jahr 2009, weiter: "Frozen Fear" - ebenfalls eine wunderschöne Ballade. Dagegen Reggae-angehaucht das folgende "Dreaming The Same Dream" und das sich anschließende Steely Dan-Cover "Pretzel Logic" - wieder so ein überlang und doch viel zu kurz interpretierter Song, wobei die Länge insbesondere einem zweiminütigen Schlagzeug-Solo von Terence Higgins zu verdanken ist. Aber auch Ron Johnson als 'Bar-Pianist' und natürlich wieder einmal Ron Holloway zeigen erneut ihr Können.
Was man beim Hören der CD gar nicht mitbekommt, sind teilweise lange Übergänge zwischen den einzelnen Stücken, wie beispielsweise zum folgenden "Fire In The Kitchen" - hervorgerufen weniger durch notwendige Zwischenansagen, sondern vielmehr dem Umstand geschuldet, dass Warren Haynes öfters seine Gitarre nachstimmen muss; kein Wunder bei der Belastung, die er seinen Saiten zumutet. Dass er dieses 'live' selbst durchführt und nicht einen Helfer beauftragt, steigert seine Sympathiewerte.
Dass Warren Haynes nicht nur eigene Songs, sondern auch Cover-Versionen 'kann', zeigt er eindrucksvoll mit den beiden nächsten Interpretationen "A Change Is Gonna Come" ( Sam Cooke) sowie "Spanish Castle Magic" ( Jimi Hendrix). Erstgenannter Song - eine wunderschöne Soul-Nummer - bietet mir Grund genug, auch endlich etwas über die Sängerin Alecia Chakour zu sagen: Was sie als Erststimme, Zweitstimme, Solostimme, Duettstimme oder auch 'nur' als Background so von sich gibt, ist wirklich stark. Auch der optische Eindruck ist - positiv verstanden - stark. Sie hat einen 'Soul' in der Stimme, der durchaus den Vergleich mit Beth Hart nicht scheuen muss. Aber auch Nigel Hall tritt hier als dritte Solo-Stimme positiv in Erscheinung. "Spanish Castle Magic" ist demgegenüber echt schräg, wie es sich halt für den Song gehört.
Nach dem schon angesprochenen "WHB Intro", an das sich übergangslos das funkige "Tear Me Down" anschließt, dauert es selbst auf der CD mehr als eine halbe Minute, bis die Zugaben beginnen; auf der DVD muss man sogar mehr als zwei Minuten warten, bevor die wiederum wunderschöne Ballade "Your Wildest Dreams" gespielt wird. Und schließlich - auf der CD 'last but not least' - der klassische Haynes/Gov't Mule-Finisher "Soulshine", womit sonst sollte auch dieses grandiose Konzert enden? Und wieder ist es Alecia Chakour, die dem Song eine besondere Note verleiht (und so viel besser klingt als die Beth Hart-Interpretation dieses Songs auf 37 Days)!
Auf der DVD folgen nun noch zwei Bonus-Tracks, wobei es sich bei "Hattiesburg Hustle" um eine während der Probe entstandene Aufnahme handelt, was nur daran erkennbar ist, dass das Publikum im Saal fehlt. Das sehr spartanisch instrumentierte "Patchwork Quilt" (als Soundcheck gespielt und damit ebenfalls ohne Publikum) macht mir allein schon deshalb große Freude, weil neben semi-akustischer Gitarre und Bass der Drummer Terence Higgins hier auf einem Cajon sitzt und dort die Ketten zum Rasseln bringt. Diese eindringliche Interpretation klingt dann doch noch sehr nach Warren Haynes, wie er auf "Live At Bonnaroo" bzw. "The Lone E.P." daher gekommen ist; ein versöhnlicher Abschluss für all diejenigen, die ihn so erwartet haben sollten.
Mein Fazit? Wem die Studio-CD "Man In Motion" zu verhalten daher kam, wer Soul in seinen unterschiedlichsten Darbietungsformen mag, wer insbesondere Bläser-unterstützten Soul - immer mal wieder ergänzt um die klassische 'Schweineorgel' - mag, wer wirklich Leben auf der Bühne erleben will, der ist hier genau richtig! Optisch wie akustisch!
Line-up:
Warren Haynes (guitar, vocals)
Ron Holloway (tenor saxophone)
Ron Johnson (bass)
Terence Higgins (drums)
Nigel Hall (keyboards and vocals)
Alecia Chakour (vocals)
Special guests:
Ian McLagan (keyboards)
Grooveline Horns:
Carlos Sosa (saxophone)
Fernando Castillo (trumpet)
Reggie Watkins (trombone)
Tracklist |
01:Intro (nur DVD)
02:Man In Motion
03:River's Gonna Rise
04:Sick Of My Shadow
05:A Friend To You
06:On A Real Lonely Night
07:Power & The Glory (nur DVD)
08:Invisible
09:Take A Bullet
10:Hattiesburg Hustle
11:Everyday Will Be Like A Holiday
12:Frozen Fear
13:Dreaming The Same Dream
14:Pretzel Logic
15:Fire In The Kitchen
16:A Change Is Gonna Come
17:Spanish Castle Magic
18:WHB Intro
19:Tear Me Down
Encore:
20:Your Wildest Dreams
21:Soulshine
Bonus Tracks (nur DVD):
22:Patchwork Quilt
23:Hattiesburg Hustle
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Externe Links:
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